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Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

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Anhang<br />

Personal. Wie bereits <strong>in</strong> den 1950er- und<br />

1960er-Jahren wurde daraufh<strong>in</strong> versucht,<br />

„geeignete Werktätige“ – also pädagogische<br />

Laien – als Erzieher zu gew<strong>in</strong>nen. 679 Weitere<br />

Plätze konnten aus unbekannten Gründen<br />

nicht genutzt werden, sodass schließlich ab<br />

1981 zeitweise bis zu 35 Prozent <strong>der</strong> Plätze<br />

nicht belegt waren. Diese faktischen Reduzierungen<br />

g<strong>in</strong>gen nicht <strong>in</strong> die formalen statistischen<br />

Erhebungen des Volksbildungsm<strong>in</strong>isteriums<br />

e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck vermittelt die<br />

folgende Tabelle (Auszug) über die Belegung<br />

<strong>der</strong> Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime (POS). 680<br />

Stichtag<br />

Kapazität<br />

nach Plan<br />

Nutzbare<br />

Kapazität<br />

Faktische<br />

Belegung<br />

1. September 1981 3.149 2.824 2.039 64,7<br />

Die Belegung <strong>der</strong> Jugendwerkhöfe war 1981<br />

deutlich höher. Von den 2.905 erfassten Plätzen<br />

waren am Stichtag 2.727 (94 Prozent)<br />

belegt. 681 Um die Kapazitäten aufzubessern,<br />

wurden an verschiedenen Heimen kle<strong>in</strong>ere<br />

Jugendwerkhofgruppen zusätzlich e<strong>in</strong>gerichtet<br />

(Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heim Weißwasser). 682<br />

Trotz des Mangels an Plätzen <strong>in</strong> den Normalheimen<br />

sollten „geeignete Objekte für e<strong>in</strong>e<br />

mögliche Umprofilierung <strong>in</strong> Jugendwerkhöfe“<br />

gefunden werden. 683<br />

Im Januar 1982 wurde im M<strong>in</strong>isterium für<br />

Volksbildung e<strong>in</strong>e Liste mit den seit 1977<br />

679 Mitteilung über die Gew<strong>in</strong>nung von<br />

Werktätigen als Erzieher <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen vom<br />

3. März 1982. In: BLHA Rep. 401 RdB Pdm, Nr. 24498.<br />

680 Auslastung Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime im Schuljahr<br />

1981/1982. In: BArch DR 2/60880.<br />

681 Statistische Zusammenstellung über die<br />

Jugendwerkhöfe vom 31. Mai 1981 (Abschrift). In:<br />

BArch DR 2/12327.<br />

682 Auftrag an das Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heim<br />

Weißwasser, e<strong>in</strong>e Jugendwerkhofgruppe aufzunehmen<br />

vom 28. Dezember 1982. In: BLHA Rep. 801 RdB Ctb.,<br />

23621.<br />

683 Beschluß <strong>der</strong> Dienstbesprechung vom<br />

19. Januar 1982 u. a. zur Inbetriebnahme von<br />

E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong>, mit<br />

e<strong>in</strong>er Liste neu geschaffener Heimplätze. In: BArch DR<br />

2/12109.<br />

<strong>in</strong>sgesamt 5.110 neu geschaffenen Heimplätzen<br />

zusammengestellt. Die Bilanz wird durch<br />

das reale Platzangebot allerd<strong>in</strong>gs relativiert.<br />

Von den neuen Plätzen waren nur 2.624<br />

tatsächlich nutzbar. Zusätzlich mit Bleistift<br />

e<strong>in</strong>getragene Zahlen ergeben e<strong>in</strong>en noch<br />

ger<strong>in</strong>geren Wert. Als Gründe für die ger<strong>in</strong>gfügige<br />

Belegung <strong>der</strong> neuen Plätze wurden<br />

regelmäßig bauliche Schwierigkeiten angeführt:<br />

„Weißwasser, Inbetriebnahme: 1981,<br />

Kapazität: 216, Belegung November 1981:<br />

56, Sozialtrakt noch nicht <strong>in</strong> Betrieb.“ 684<br />

Prozent <strong>der</strong> faktischen<br />

Belegung zur Plankapazität<br />

Unklar ist an dieser Zusammenstellung, wie<br />

viele Plätze wegen <strong>der</strong> maroden Bausubstanz<br />

weggefallen waren. Als Signal für die F<strong>in</strong>anznot<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe ist auch die Anweisung<br />

von 1983 zu werten, K<strong>in</strong><strong>der</strong> möglichst nur<br />

noch zu Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es Schuljahres <strong>in</strong> die Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime<br />

e<strong>in</strong>zuweisen. Damit sollte<br />

e<strong>in</strong>e effektivere Auslastung dieser Heime erreicht<br />

werden. Die Regelung erg<strong>in</strong>g allerd<strong>in</strong>gs<br />

zulasten akuter Fälle – wie daraufh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gehende<br />

Beschwerden von Eltern und Kritiken<br />

<strong>der</strong> Heimleiter zeigen. 685<br />

In Bezug auf die Jugendwerkhöfe ist ab<br />

etwa 1983 e<strong>in</strong>e vorsichtige Trendwende zu<br />

verzeichnen. An<strong>der</strong>s als <strong>in</strong> den vergangenen<br />

20 Jahren erschienen nun vere<strong>in</strong>zelt<br />

Artikel <strong>in</strong> <strong>der</strong> überregionalen Presse über<br />

diese E<strong>in</strong>richtungen. Die Berichte waren<br />

zwar durchweg bemüht, das Leben <strong>in</strong> den<br />

Jugendwerkhöfen positiv darzustellen und<br />

sich jeglicher Kritik zu enthalten. Deutlich<br />

684 Beschluß <strong>der</strong> Dienstbesprechung vom<br />

19. Januar 1982 u. a. zur Inbetriebnahme von<br />

E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong>, mit<br />

e<strong>in</strong>er Liste neu geschaffener Heimplätze. In: BArch DR<br />

2/12109.<br />

685 Direktive zur E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong><br />

Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime vom 1. März 1983 (mit<br />

Kommentar, Anschreiben vom 9.3.1983). In: BLHA<br />

Rep. 801 RdB Ctb, Nr. 23607.<br />

ist aber, dass hier e<strong>in</strong> Tabu gebrochen wurde<br />

o<strong>der</strong> gebrochen werden sollte. Jugendwerkhöfe<br />

sollten zu e<strong>in</strong>em Thema <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

werden. 686 Parallel dazu wurde die<br />

Zusammenarbeit <strong>der</strong> Jugendhilfe mit den<br />

Organen <strong>der</strong> Rechtspflege und die Kontrolle<br />

<strong>der</strong> Jugendszene (zu dieser Zeit vor allem<br />

Punker) <strong>in</strong>tensiv fortgesetzt und die Funktion<br />

<strong>der</strong> Jugendwerkhöfe für e<strong>in</strong>en möglichen<br />

Ausnahmezustand <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> vorbereitet.<br />

Die Staatssicherheit und Polizei setzten<br />

mit regelmäßig erneuerten Direktiven die<br />

Kontrolle <strong>der</strong> Jugend fort. 687<br />

8. Letzte Umstrukturierung (1987–1989)<br />

Bereits 1984 deuten sich erste Tendenzen an,<br />

das System <strong>der</strong> Spezialheime noch e<strong>in</strong>mal<br />

e<strong>in</strong>em Strukturwandel zu unterziehen.<br />

Bestimmendes Motiv war <strong>in</strong> diesem Fall die<br />

chronische F<strong>in</strong>anznot <strong>der</strong> Jugendhilfe und<br />

<strong>der</strong> Heime<strong>in</strong>richtungen. In diesem Zusammenhang<br />

wurde 1984 erstmals die faktische<br />

Auflösung des Komb<strong>in</strong>ates <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>heime<br />

vorgeschlagen. Die vier Heime befanden sich<br />

bereits seit Längerem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em baulich desolaten<br />

Zustand und hätten nur mit großem<br />

Aufwand saniert werden können. Neben dem<br />

Personalmangel hatte dies dazu geführt, dass<br />

die Kapazität <strong>der</strong> Heime von ca. 320 auf 260<br />

gesenkt werden musste. 688<br />

686 Beispiel: „E<strong>in</strong> Jahr <strong>in</strong>teressanter Begegnungen.<br />

Literaturwettbewerb am Jugendwerkhof<br />

‚Karl Leonhardt‘ hat Jubiläum“. In: Märkische<br />

Volkszeitung, Februar (1983?).<br />

687 Direktive Nr. 4/83 des M<strong>in</strong>isters des<br />

Innern und Chefs <strong>der</strong> Deutschen Volkspolizei vom<br />

20. Juli 1983 über Aufgaben und Maßnahmen zur<br />

Vorbeugung und Bekämpfung von Jugendgefährdung<br />

und Jugendkrim<strong>in</strong>alität sowie deliktischen<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>handlungen. In: BStU MfS BdL/Dok., Nr.<br />

011528, u. 1. Durchführungsanweisung des Leiters <strong>der</strong><br />

Hauptabteilung Krim<strong>in</strong>alpolizei zur Direktive Nr. 4/83<br />

des M<strong>in</strong>isters des Innern und Chefs <strong>der</strong> DVP vom 20.<br />

Juli 1983. In: BStU MfS BdL/Dok., Nr. 011529.<br />

688 Vorlage: Stellung, Aufgaben und Arbeitsweise<br />

des Komb<strong>in</strong>ates Son<strong>der</strong>heime von 1984 (Gründung<br />

e<strong>in</strong>es pädagogisch-mediz<strong>in</strong>ischen Zentrums, faktische<br />

Auflösung des Komb<strong>in</strong>ates Son<strong>der</strong>heime). In: BArch<br />

DR 2/12927.<br />

In die Diskussion gerieten ebenso die bezirksgeleiteten<br />

Durchgangsheime, <strong>der</strong>en<br />

Personal- und Betriebskosten wegen <strong>der</strong><br />

langen Transportwege sehr hoch waren.<br />

Aufgegriffene K<strong>in</strong><strong>der</strong> mussten beispielsweise<br />

aus ihrem Heimatkreis <strong>in</strong> das zentrale<br />

Durchgangsheim gebracht und im Bedarfsfall<br />

am nächsten Tag wie<strong>der</strong> zurücktransportiert<br />

werden. E<strong>in</strong>e dezentrale Lösung war 1965<br />

wegen des damit verbundenen politischen<br />

Kontrollverlustes nicht <strong>in</strong> Erwägung gezogen<br />

worden. Nun wurde sie durch Sparmaßnahmen<br />

erzwungen. 689 Ab 1986 wurden entlaufene<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> und M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährige, die für Normalheime<br />

vorgesehen waren, generell nicht<br />

mehr <strong>in</strong> die Durchgangsheime e<strong>in</strong>geliefert.<br />

Auch E<strong>in</strong>weisungen <strong>in</strong> Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime<br />

und Jugendwerkhöfe erfolgten seit dieser<br />

Zeit oftmals direkt. 690<br />

Die allgeme<strong>in</strong>e Situation aller Heime<br />

jenseits dieser Umstrukturierungen war um<br />

1986 noch immer durch den Mangel an Personal<br />

bestimmt und den mangelhaften Zustand<br />

<strong>der</strong> Gebäude geprägt. Betroffen waren<br />

vor allem Heime<strong>in</strong>richtungen, die <strong>in</strong> abgelegenen<br />

Dörfern e<strong>in</strong>gerichtet worden waren.<br />

Um den Betrieb überhaupt aufrechterhalten<br />

zu können, waren Schulräte <strong>in</strong> den Kreisen<br />

dazu übergegangen, Mitarbeiter ohne Ausbildung<br />

und ohne Verpflichtung, sich zu qualifizieren,<br />

e<strong>in</strong>zustellen. Im Jahr 1986 waren von<br />

8.600 Erziehern 390 ohne jegliche Ausbildung<br />

„im Gruppendienst“ tätig (knapp 5 Prozent).<br />

520 weitere Erzieher wurden durch die<br />

Absolventenlenkung jährlich zur Arbeit <strong>in</strong><br />

Heimen verpflichtet, die sie nach drei Jahren<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel wie<strong>der</strong> verließen. Für e<strong>in</strong>zelne<br />

Heime werden unzumutbare Bed<strong>in</strong>gungen<br />

diagnostiziert. 691<br />

689 Entwurf: Anweisung über Aufgaben und<br />

Arbeitsweise <strong>der</strong> Durchgangsheime <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

vom April 1985 (M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung)<br />

Sicherheitsbestimmungen, Ordnung zeitweilige<br />

Isolierung im Anhang. In: BArch DR 2/12203.<br />

690 Ordnung zur E<strong>in</strong>weisung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>er Heime <strong>der</strong> Jugendhilfe vom<br />

10. Dezember 1981 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fassung vom 15. Dezember<br />

1986. In: BStU MfS AU Berl<strong>in</strong> KD Köpenick, Nr. 7716.<br />

691 Auszug aus e<strong>in</strong>er Untersuchung <strong>der</strong> ABI<br />

zur Situation <strong>in</strong> den Heimen <strong>der</strong> Jugendhilfe (ohne<br />

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