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Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

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Erziehungsvorstellungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

Es war die Auflage jedes <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> publizierten<br />

wissenschaftlichen Werkes, sich von<br />

„bürgerlicher“ Ideologie – geme<strong>in</strong>t war die<br />

europäische Wissenschaft – abzugrenzen.<br />

Unabd<strong>in</strong>gbar war die Berufung auf Len<strong>in</strong>s<br />

„Grundsatz“, wonach jede „Schmälerung <strong>der</strong><br />

sozialistischen Ideologie und jedes Abweichen<br />

von ihr gleichzeitig e<strong>in</strong>e Stärkung <strong>der</strong><br />

bürgerlichen Ideologie bedeuten.“ 67<br />

Es wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reihe „Kritik <strong>der</strong> bürgerlichen<br />

Ideologie“ Texte publiziert, <strong>in</strong> denen<br />

Ausschnitte „bürgerlicher Werke“ verkürzt<br />

zitiert wurden, <strong>der</strong>en Orig<strong>in</strong>al verschlossen<br />

blieb.<br />

Dies galt für die Pädagogik im beson<strong>der</strong>en<br />

Maße, weil es hier um die „Hausherren von<br />

morgen“ g<strong>in</strong>g 68 . Für die <strong>Heimerziehung</strong> war<br />

die „politisch-ideologische Erziehung“ nur e<strong>in</strong><br />

an<strong>der</strong>es Wort für die „Überw<strong>in</strong>dung rückständiger-bürgerlicher<br />

Anschauungen“. 69<br />

1.2.6.2 Erziehungsziele und<br />

Erziehungsmethoden<br />

Pädagogik ist e<strong>in</strong> Komplex zweier sich gegenseitig<br />

bed<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> Faktoren. Die Erziehungsziele<br />

stehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>neren Verhältnis<br />

zu den pädagogischen Methoden, die den<br />

Umgang mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n prägen. Aus <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

s<strong>in</strong>d dagegen ke<strong>in</strong>e ausgearbeiteten Vorstellungen<br />

bekannt, <strong>in</strong> denen versucht wurde, diesen<br />

Anspruch umzusetzen.<br />

Das gilt natürlich nicht für e<strong>in</strong>zelne Lernschritte,<br />

wenn z. B. im Geschichtsunterricht<br />

die Feststellungen zu Mängeln und Missständen im<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>heim ‚A.S. Makarenko‘, die im Ergebnis <strong>der</strong><br />

Ermittlungsverfahren gegen <strong>DDR</strong>-Bürger (Name<br />

geschwärzt) und (Name geschwärzt) getroffen wurden.<br />

In: BStU MfS BV Berl<strong>in</strong> AKG, Nr. 1336.<br />

67 Malkowa, 1974, S. 163.<br />

68 „Die Vertreter <strong>der</strong> Entideologisierung,<br />

die ihren Antikommunismus mit Aufrufen zur<br />

‚Wissenschaftlichkeit‘ und ‚Objektivität‘ tarnen,<br />

s<strong>in</strong>d bestrebt, die ideologische Grundlage <strong>der</strong><br />

sozialistischen Pädagogik aufzuweichen. Doch diese<br />

Absichten s<strong>in</strong>d zum Scheitern verurteilt“ (Malkowa,<br />

1974, S. 162).<br />

69 Informationen zur politisch-operativen Lage<br />

und Situation an den Jugendwerkhöfen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>,<br />

12.12.1963 (BStU MfS HA XX, Nr. 10055).<br />

die historische Wichtigkeit des „antifaschistischen<br />

Schutzwalls“ durch methodische Arbeitsschritte<br />

und pädagogische Medien gelehrt<br />

wurde. Aber es gilt generell. Insbeson<strong>der</strong>e ist<br />

nirgends e<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerer o<strong>der</strong> sachlich begründeter<br />

Zusammenhang deutlich gemacht worden,<br />

<strong>der</strong> zwischen dem Erziehungsziel <strong>der</strong> „allseitig<br />

gebildeten sozialistischen Persönlichkeit“ und<br />

<strong>der</strong> Erziehungspraxis e<strong>in</strong>e methodisch-pädagogische<br />

Konkretisierung vornimmt.<br />

In <strong>der</strong> 1969 verfassten „Anordnung über die<br />

Bildungs- und Erziehungsarbeit <strong>in</strong> den Heimen<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe“ 70 heißt es (§ 1 Abs. 1):<br />

„Die Heime <strong>der</strong> Jugendhilfe s<strong>in</strong>d E<strong>in</strong>richtungen<br />

des sozialistischen Staates. (...) Die spezifischen<br />

Aufgaben <strong>der</strong> Heime bestehen dar<strong>in</strong>, die im<br />

Heim gegebenen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> sozialistischen<br />

Geme<strong>in</strong>schaftserziehung optimal zu nutzen und<br />

so zu gestalten, dass durch sie die Funktion <strong>der</strong><br />

sozialistischen Familienerziehung erfüllt wird.“<br />

Weitere „pädagogische“ Anmerkungen<br />

enthält dieser für die <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

gesamten <strong>DDR</strong> normative Text nicht.<br />

Der Grund für die Unterbewertung <strong>der</strong><br />

Vielfältigkeit und Differenziertheit von<br />

Sozialisationsproblemen ist das Gefüge<br />

sozial is tischer Erziehungsvorstellungen<br />

selbst. Wenn den sozialen Umständen die<br />

Führungsrolle im Erziehungsprozess zugesprochen<br />

wird, dann<br />

• ist <strong>der</strong> diese Umstände organisierende<br />

Staat auch <strong>der</strong> oberste „Erzieher“,<br />

• bleibt <strong>der</strong> Jugendhilfe die Aufgabe<br />

den „gesellschaftlichen E<strong>in</strong>fluss“ zu<br />

organisieren,<br />

• besteht die „pädagogische“ Funktion<br />

des Heimes zunächst dar<strong>in</strong>, im K<strong>in</strong>de<br />

die Bed<strong>in</strong>gungen zu entwickeln, dass<br />

<strong>der</strong> gesellschaftliche E<strong>in</strong>fluss fruchten<br />

kann,<br />

• muss, wo dies nicht möglich ist, die<br />

„Umorientierung <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Welt des<br />

K<strong>in</strong>des“ (Umerziehung) erfolgen. 71<br />

70 GBl. <strong>DDR</strong> II, Nr. 90, 17.11.1969, S. 555.<br />

71 Mannschatz, 1994, S. 75.<br />

1.2.6.3 Erziehung und Mündigkeit<br />

Schließlich darf e<strong>in</strong> weiteres Moment nicht<br />

ohne Beachtung bleiben. Jede Erziehung<br />

muss wünschen, dass sie zu e<strong>in</strong>em Zustand<br />

beiträgt, <strong>der</strong> ohne sie auskommt. Sie muss<br />

darauf gerichtet se<strong>in</strong>, sich selbst als überflüssig<br />

zu erweisen, weil das K<strong>in</strong>d erwachsen,<br />

mündig und selbstständig werden soll. Erziehung<br />

zielt auf ihre Beendigung. Denn „sobald<br />

die Erziehung geendigt ist, ist das K<strong>in</strong>d frei“. 72<br />

Wo diese Aussicht nicht besteht, wo die<br />

Konstellation Erzieher – Erzogener gar nicht<br />

auf Zeit angelegt ist, son<strong>der</strong>n sich zu e<strong>in</strong>em<br />

Gesellschaftszustand verstetigt, <strong>in</strong> dem die<br />

Erziehungskonstellation das Verhältnis von<br />

Regierung und Regierten ausfüllt, darf man<br />

nicht von Pädagogik sprechen. Die im M<strong>in</strong>isterium<br />

für Volksbildung verwalteten Erziehungse<strong>in</strong>richtungen<br />

aber waren Vorbereitungen<br />

auf diesen Zustand. Sie waren Auslesee<strong>in</strong>richtungen,<br />

<strong>in</strong> denen es bei allem, worum es<br />

gehen konnte, immer zugleich um die E<strong>in</strong>übung<br />

dieser Konstellation g<strong>in</strong>g. Im Parteijargon<br />

wurde dieser Aspekt unter dem Term<strong>in</strong>us<br />

e<strong>in</strong>en „festen Klassenstandpunkt“ e<strong>in</strong>nehmen<br />

kommuniziert. Damit sollte unbeschadet<br />

persönlicher Interessen, <strong>in</strong>dividueller Urteile<br />

und Gewissensbisse das Treueverhältnis des<br />

Bürgers zu se<strong>in</strong>em Staat ausgedrückt werden.<br />

Die Erziehung zu dieser Haltung begann <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>krippe 73 und endete nicht.<br />

Die <strong>DDR</strong>-Führung g<strong>in</strong>g auch nicht davon aus,<br />

dass die Erziehungsarbeit <strong>in</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen<br />

zu Resultaten führen werde, die man<br />

„Erziehungserfolg“ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em unbestimmten<br />

S<strong>in</strong>ne nennen könnte. Das Innenm<strong>in</strong>isterium<br />

<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> jedenfalls ließ 1966 die „Führung<br />

<strong>der</strong> Kartei krim<strong>in</strong>ell gefährdeter K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />

Jugendlicher“ anlegen. Hier hießt es unter 2c,<br />

dass alle aus e<strong>in</strong>em Spezialheim o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Jugendwerkhof entlassenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />

Jugendlichen erfasst werden unter Angabe<br />

72 Fichte, 1962, S. 368.<br />

73 „Damit leisten sie (die K<strong>in</strong><strong>der</strong>krippen)<br />

ihren <strong>der</strong> Altersstufe angemessenen Anteil an <strong>der</strong><br />

Realisierung des sozialistischen Erziehungszieles, <strong>der</strong><br />

Herausbildung allseitig entwickelter sozialistischer<br />

Persönlichkeiten“ (Autorenkollektiv, 1986, S. 6).<br />

ihrer „Erziehungssituation“ 3a), <strong>der</strong> „begangenen<br />

Straftat o<strong>der</strong> des sonstigen Grundes“<br />

(3b), „Vermerke über e<strong>in</strong>geleitete Straf- o<strong>der</strong><br />

Erziehungsmaßnahmen“ (3b). 74<br />

1.2.6.4 Umerziehung<br />

Die oben aus Mannschatz zitierte Def<strong>in</strong>ition<br />

von Umerziehung stammt aus dem Jahre<br />

1994 („Umorientierung <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Welt des<br />

K<strong>in</strong>des“). Diese Formulierung ist im 1984<br />

erschienenen Standardwerk zur <strong>Heimerziehung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> vorgeprägt. „Erziehung und<br />

Umerziehung ist auf die Umorientierung <strong>der</strong><br />

Psyche des K<strong>in</strong>des gerichtet“, heißt es dort. 75<br />

Der Term<strong>in</strong>us „Umerziehung“ taucht dort<br />

selten e<strong>in</strong>zeln 76 , son<strong>der</strong>n zumeist als Erziehung<br />

und/o<strong>der</strong> Umerziehung auf. 77 Das Werk<br />

entwirft den systematischen Zusammenhang<br />

dieser Idee. Es g<strong>in</strong>g dabei um die pädagogische<br />

Arbeit an <strong>der</strong> Identität <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

Richtung auf die rationale Anerkennung<br />

und die emotionale Ver<strong>in</strong>nerlichung „sozialistischer<br />

Überzeugungen“. Die Problematik<br />

dieser staatlichen Versuche, das Bewusstse<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf die Ausbildung von Überzeugungen<br />

zu verän<strong>der</strong>n, ist auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

erkannt worden. Richard Schrö<strong>der</strong> hat <strong>in</strong> Gesprächen<br />

mit dem Autor darauf h<strong>in</strong>gewiesen,<br />

dass die Bemühung, e<strong>in</strong>e Überzeugung direkt<br />

zu stiften, Überzeugungslosigkeit bewirkt.<br />

Die Bemühung, den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

den „sozialistischen Klassenstandpunkt“<br />

beizubr<strong>in</strong>gen, verwischte schließlich<br />

auch noch die L<strong>in</strong>ie, die zwischen e<strong>in</strong>er geheuchelten<br />

Wie<strong>der</strong>gabe e<strong>in</strong>er durch Drohung<br />

abverlangten Me<strong>in</strong>ung und ihrer mechanischen<br />

Wie<strong>der</strong>gabe, die ohne <strong>in</strong>nere Beteiligung<br />

entsteht, verläuft.<br />

Dieses Vorhaben f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anb<strong>in</strong>dung<br />

74 M<strong>in</strong>isterium des Innern – Hauptabteilung<br />

Krim<strong>in</strong>alpolizei – Instruktion, Nr. 13/66 des Leiters<br />

<strong>der</strong> Hauptabteilung Krim<strong>in</strong>alpolizei über die<br />

Führung <strong>der</strong> Kartei krim<strong>in</strong>ell gefährdeter K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />

Jugendlicher vom 30. August 1966. In: BStU MfS BdL,<br />

Nr. 011453.<br />

75 Autorenkollektiv, 1984, S. 42.<br />

76 „Umerziehung ist e<strong>in</strong> spezieller Fall <strong>der</strong><br />

Kollektiverziehung“, Mannschatz, 1984, S. 42.<br />

77 Autorenkollektiv, 1984, passim.<br />

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