Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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Erziehungsvorstellungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
übernahm ihn nur <strong>in</strong> dem Fall, wenn „e<strong>in</strong>e<br />
Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kommunalem Heim<br />
nicht möglich ist“. 369 Sowohl die Caritas als<br />
auch die Diakonie haben gegen diese Praxis<br />
protestiert und sie als Verstoß gegen das Aufenthaltsbestimmungsrecht<br />
und für verfassungswidrig<br />
angesehen. 370 Ganz ähnlich hat<br />
die <strong>DDR</strong>-Regierung, namentlich <strong>der</strong> damalige<br />
stellvertretende M<strong>in</strong>isterpräsident Otto<br />
Nuschke argumentiert. Er schreibt an den<br />
vorübergehend amtierenden Volksbildungsm<strong>in</strong>ister<br />
Laabs am 25.03.1954: „Ich bitte Sie,<br />
sehr geehrter Herr Kollege, im Interesse <strong>der</strong><br />
Festigung e<strong>in</strong>es guten Verhältnisses zwischen<br />
Staat und Kirche, zu veranlassen, dass<br />
die Anweisung, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat die konfessionellen<br />
Heime zu Heimen dritter Klasse degradieren<br />
würde, aufgehoben wird. Diese Anweisung<br />
bef<strong>in</strong>det sich über ihren grundsätzlichen<br />
Wi<strong>der</strong>spruch zur Verfassung h<strong>in</strong>aus<br />
auch im Gegensatz zu (...) Bestimmungen des<br />
Erziehungsrechts (BGB § 1631)“. Die Antwort<br />
belegt, die schon vor Margot Honecker<br />
außergewöhnliche Stellung des M<strong>in</strong>isteriums<br />
für Volksbildung, denn Laabs weist die<br />
E<strong>in</strong>wände knapp zurück und endet lapidar:<br />
„Ich bitte Sie, Herr M<strong>in</strong>isterpräsident, diese<br />
Erklärung zur Kenntnis zu nehmen und diese<br />
den Kirchen zu vermitteln.“ 371<br />
E<strong>in</strong>ige Berichte über Umprofilierungen z. B.<br />
aufgrund von Perspektivlosigkeit liegen vor.<br />
Das als „Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heim“ 1952 vom M<strong>in</strong>isterium<br />
für Volksbildung bestätigte Heim<br />
Börnichen ist zum Januar 1975 von e<strong>in</strong>em<br />
369 MfV Abt. Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong> an<br />
den Rat des Bezirks Potsdam, Betr. Rückfrage des<br />
Kreisreferates Rathenow bezüglich <strong>der</strong> Tragung<br />
<strong>der</strong> Heimkosten bei Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong> Heimen III.<br />
Trägerschaft, vom 30.12.1953. In: BArch DR 2/5638.<br />
370 Commissariat <strong>der</strong> Fuldaer Bischofskonferenz<br />
an die Regierung <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen<br />
Republik. M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung 3.9.1953,<br />
und: Kirchlicher Erziehungsverband Berl<strong>in</strong>-<br />
Brandenburg an den Rat des Bezirkes Brandenburg<br />
vom 31.3.1953. Beides <strong>in</strong>: BArch DR 2/5638.<br />
371 „Regierung <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> Otto Nuschke<br />
Stellvertreten<strong>der</strong> M<strong>in</strong>isterpräsident an M<strong>in</strong>ister<br />
für Volksbildung Herrn Laabs“ und Laabs an den<br />
stellvertretenden M<strong>in</strong>isterpräsidenten (Entwurf).<br />
Beides <strong>in</strong>: BArch DR 2/5638.<br />
Heim für „schulbildungsfähige“ zu e<strong>in</strong>em<br />
Heim für „nicht schulbildungsfähige geistig<br />
beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te K<strong>in</strong><strong>der</strong>“ umgewidmet worden.<br />
Das bedeutete zwar, dass vorher das MfV<br />
und später das MfG zuständig war (und die<br />
Tagessätze von <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzabteilung des jeweiligen<br />
M<strong>in</strong>isteriums gezahlt wurden), aber<br />
nicht, dass vorher nur schulbildungsfähige<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> im Heim lebten. „E<strong>in</strong>e größere Anzahl<br />
von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n“ war auch vorher schon „nicht<br />
schulbildungsfähig.“ 372 Begründet wurde die<br />
Umwidmung mit politischen Motiven. „Nach<br />
den Ausführungen des M<strong>in</strong>isters für Gesundheitswesen<br />
(...) entspricht es <strong>der</strong> Direktive<br />
<strong>der</strong> Regierung <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen<br />
Republik, wenn sich konfessionelle<br />
E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e mit <strong>der</strong> Pflege<br />
und För<strong>der</strong>ung von geistig Schwer- und<br />
Schwerstbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten befassen.“ 373<br />
3.3.3 Missstände <strong>in</strong> konfessionellen<br />
E<strong>in</strong>richtungen<br />
Für konfessionelle Heime liegen aus den<br />
50er-Jahren Aktenberichte vor, die Beschwerden<br />
enthalten. Diese dar<strong>in</strong> nie<strong>der</strong>gelegten<br />
Notizen kamen z. T. dadurch<br />
zustande, dass dem MfV „rückständige<br />
Erziehungsmethoden“ angezeigt wurden,<br />
um Heimkontrollen zu veranlassen 374 . Diese<br />
Kontrollen wurden vere<strong>in</strong>zelt durchgeführt<br />
und die Befunde kl<strong>in</strong>gen z. T. sachlich und<br />
ersche<strong>in</strong>en glaubwürdig.<br />
Bei Ohrfeigen musste die Heimleitung die<br />
Mitarbeiterschaft belehren, dass „grundsätzlich<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht geschlagen werden<br />
dürfen“. 375 Diese Kritik betraf mehr als nur<br />
den konkreten Anlass, weil es dabei um die<br />
Zuständigkeit <strong>der</strong> Dienstaufsicht g<strong>in</strong>g. Deshalb<br />
wird e<strong>in</strong>geräumt, dass<br />
372 Oberkirchenrat Petzold an das MfV vom<br />
15. März 1974. In: ADW DW <strong>DDR</strong> II, 769.<br />
373 Siehe auch den Briefwechsel <strong>in</strong>: BArch DR<br />
2/12328.<br />
374 Magistrat von Groß-Berl<strong>in</strong> an MfV, Abt.<br />
Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong> vom 12.5.1953. In: BArch<br />
DR 2/5638.<br />
375 Rat des Kreises Oranienburg an den Rat des<br />
Bezirkes Abt. Volksbildung 12.5.1953. In: BArch DR<br />
2/5638.<br />
„Mängel, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kirchlichen Anstalt<br />
zeigen, im Rahmen des Staatsaufsichtsrechts mit<br />
dem Dienstaufsichtsberechtigten, also hier den<br />
Vertretern <strong>der</strong> Kirche, erörtert und <strong>in</strong> bei<strong>der</strong>seitigem<br />
E<strong>in</strong>vernehmen abgestellt werden.“ Es fehlt<br />
nicht die Bitte, „an unseren kirchlichen Heime<br />
ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>en Maßstäbe anzulegen, als dies <strong>in</strong><br />
staatlichen Heimen geschieht.“ 376<br />
E<strong>in</strong> weiterer Kritikpunkt betrifft die Diskrim<strong>in</strong>ierung<br />
<strong>der</strong> Pioniere („Die Pioniere<br />
werden immer unter dem H<strong>in</strong>weis ‚Ihr seid<br />
doch Pioniere‘ zu allen Arbeiten im Heim<br />
herangezogen“ 377 ). Hier allerd<strong>in</strong>gs vermischen<br />
sich wahrsche<strong>in</strong>lich berechtigte Kritik<br />
mit politischen Gesichtspunkten.<br />
Generell wird man davon ausgehen<br />
müssen, dass <strong>in</strong> dieser Zeit erzieherische Probleme<br />
wenig Interesse hervorriefen, <strong>in</strong>sofern<br />
sie nicht politische Probleme anzeigten. Im<br />
„Bericht über die Überprüfung konfessioneller<br />
Heime <strong>in</strong> den Kreisen Erfurt-Stadt und<br />
Eisenach“ wird nach vier Fragestellungen<br />
geprüft: 1) E<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong> demokratischen<br />
Gesetzlichkeit, 2) Patriotische Erziehung, 3)<br />
Allgeme<strong>in</strong>er Zustand des Heimes, 4) Rechtliche<br />
Fragen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>weisung. Die Ergebnisse<br />
werden folgen<strong>der</strong>maßen e<strong>in</strong>geleitet:<br />
„Es wurde festgestellt, dass <strong>in</strong> allen konfessionellen<br />
Heimen die Staatsdiszipl<strong>in</strong> h<strong>in</strong>sichtlich<br />
<strong>der</strong> E<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong> Gesetze, Verordnungen,<br />
Anordnungen <strong>der</strong> Regierung <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Weise<br />
gewährleistet ist. (...) Dieses Ergebnis zeigt, dass<br />
die konfessionellen Erziehungse<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong><br />
ke<strong>in</strong>er Weise die Staatsautorität anerkennen“<br />
und es wird die Aussage e<strong>in</strong>es Diakons zitiert,<br />
<strong>der</strong> anführte:<br />
„Wir werden unsere K<strong>in</strong><strong>der</strong> niemals zum Haß<br />
erziehen, das wi<strong>der</strong>spricht unserem Glauben.“<br />
376 Kirchlicher Erziehungsverband Berl<strong>in</strong>-<br />
Brandenburg an den Rat des Bezirkes Brandenburg<br />
vom 31.03.1953. Beides <strong>in</strong>: BArch DR 2/5638.<br />
377 MfV Abt. Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong> an den<br />
Rat des Bezirkes Frankfurt vom 28.10.1952. In: BArch<br />
DR 2/5638.<br />
Der Rat des Kreises lässt im Kommunal-Blatt<br />
e<strong>in</strong>en Artikel veröffentlichen („E<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>d <strong>der</strong><br />
Jugend unter religiöser Maske“). 378<br />
Das MfV suchte Gründe, um konfessionelle<br />
E<strong>in</strong>richtungen zu schließen. In Berl<strong>in</strong> unternahm<br />
im August 1957 die leitende Schwester<br />
des K<strong>in</strong><strong>der</strong>heimes Siloah mit 20 K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er amerikanischen Militärmasch<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>en<br />
Ausflug zur Partnergeme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Frankfurt/<br />
M. 379 In <strong>der</strong> Zeit danach tauchen Beschwerden<br />
von Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n auf: „Es haben sich<br />
folgende Schüler gemeldet (...)“ schreibt das<br />
MfV. Schwester Herm<strong>in</strong>e wurde auf Druck<br />
des MfV entlassen und <strong>in</strong> den Akten des Landesarchives<br />
f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong> Schließungsentschluss<br />
für das Heim. Es ist unklar, weshalb<br />
er nicht umgesetzt wurde.<br />
3.3.4 Pädagogische Akzente <strong>in</strong><br />
konfessionellen Heimen<br />
Die pädagogische Situation <strong>in</strong> den konfessionellen<br />
Heimen ist sehr schwer e<strong>in</strong>zuschätzen.<br />
Es mangelt hier an Quellen und<br />
Literatur.<br />
Anfang <strong>der</strong> 50er-Jahre hatte das MfV die<br />
Kirchen aufgefor<strong>der</strong>t, die Differenzierung<br />
<strong>der</strong> Heimtypen zu übernehmen. Die Innere<br />
Mission lehnt dies mit Erfolg ab. Die konfessionellen<br />
Heime haben sich dem Typenaufbau<br />
verschlossen. Die Begründung setzt mit<br />
e<strong>in</strong>er Analyse staatlicher <strong>Heimerziehung</strong> e<strong>in</strong><br />
und stellt fest, dass die Heimdifferenzierung<br />
alle<strong>in</strong> dem Erziehungsziel, nicht aber den<br />
Problemen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> geschuldet ist. Dem<br />
staatlichen Konzept <strong>der</strong> Heimdifferenzierung<br />
liege die Organisation zur Arbeits- und<br />
Lernerziehung zugrunde, während dem<br />
christlichen Verständnis e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaft<br />
vorschwebe, <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> unabhängig von<br />
Arbeits- und Lernerfolg anerkannt s<strong>in</strong>d, die<br />
Familie. 380<br />
378 Bericht über die Überprüfung von<br />
konfessionellen Heimen <strong>in</strong> den Kreisen Erfurt-Stadt<br />
und Eisenach (ohne Datum, 1953). In: 2/5638.<br />
379 LAB C Rep. 104, Nr. 1955.<br />
380 „Vom Staat wird die Differenzierung<br />
<strong>der</strong> Heime für K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche als<br />
e<strong>in</strong>e organisatorische Voraussetzung für e<strong>in</strong>e<br />
<strong>in</strong>tensive und systematische Erziehungsarbeit<br />
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