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Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

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Anhang<br />

den Schluss zu, dass <strong>in</strong> den Heimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

(Normalheime und Spezialheime) <strong>der</strong> Lebensstandard<br />

<strong>der</strong> Insassen auch nach <strong>DDR</strong>-<br />

Maßstäben an <strong>der</strong> Grenze zur Armut angesiedelt<br />

war. Viele Heime waren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>der</strong>artig<br />

schlechten baulichen Zustand, dass Teile<br />

polizeilich gesperrt waren. Die Ausstattung<br />

<strong>der</strong> Heime hatte sich seit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1960er-<br />

Jahre im Wesentlichen nicht mehr geän<strong>der</strong>t.<br />

Verwaltung und F<strong>in</strong>anzgebaren waren <strong>in</strong><br />

verschiedenen Heimen mangelhaft und<br />

teilweise korrupt. Die Heime waren <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Regel überbelegt. Normen <strong>der</strong> Verpflegung,<br />

Bekleidung und des Raumangebotes wurden<br />

mehrfach unterschritten. Erziehung, Betreuung<br />

und schulischer Unterricht entsprachen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er großen Zahl <strong>der</strong> Heime nicht den gesetzlichen<br />

Vorgaben. Gel<strong>der</strong>, die den Insassen<br />

zustanden o<strong>der</strong> von ihnen erarbeitet wurden,<br />

wurden notgedrungen für die Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Heimsituation e<strong>in</strong>gesetzt. 669 Mit e<strong>in</strong>er<br />

<strong>in</strong>ternen Weisung des M<strong>in</strong>isterrates vom<br />

Juni 1974 sollte diese Situation schnell und<br />

ohne Aufsehen verän<strong>der</strong>t werden. Es wurden<br />

f<strong>in</strong>anzielle Mittel <strong>in</strong> Aussicht gestellt, um<br />

„dr<strong>in</strong>gende unaufschiebbare Werterhaltungsmaßnahmen<br />

noch im Jahr 1974 durchzuführen“<br />

und die Innenausstattung zu verbessern.<br />

Der mehrfache Verweis auf die zur<br />

Unterstützung zu gew<strong>in</strong>nenden Betriebe im<br />

Umfeld <strong>der</strong> Heime macht allerd<strong>in</strong>gs bereits<br />

deutlich, dass die staatliche Initiative nicht<br />

ausreichen würde. 670 Im Spätherbst 1974<br />

durchgeführte Kontrollen ergaben, dass<br />

zwar genügend Gel<strong>der</strong> bereitgestellt worden<br />

waren, diese jedoch wegen <strong>der</strong> Knappheit an<br />

Baustoffen und Handwerkerkapazitäten nur<br />

zum Teil abgerufen werden konnten. 671<br />

669 Komitee <strong>der</strong> ABI: Kontrolle <strong>der</strong> Lebens<br />

bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> den Normal- und Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen<br />

sowie Jugendwerkhöfen vom 8. Mai<br />

1974. In: BArch DR 2/12328.<br />

670 Interne Weisung des M<strong>in</strong>isterrates <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

zur Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Situation <strong>in</strong> den Heimen <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe vom 5. Juni 1974. In: BArch DR 2/12328.<br />

671 Beispiel: Bericht über die Nachkontrolle<br />

<strong>der</strong> Prüfung des E<strong>in</strong>satzes <strong>der</strong> materiellen Mittel<br />

<strong>in</strong> Normal- und Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen sowie<br />

Jugendwerkhöfen des Bezirkes Frankfurt/O<strong>der</strong> vom<br />

8. November 1974. In: BArch DR 2/12195, Bd. 2.<br />

Die allgeme<strong>in</strong>en Lebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong><br />

den Normalheimen und Jugendwerkhöfen<br />

wurden vier Jahre später – 1978 – von <strong>der</strong><br />

staatlichen F<strong>in</strong>anzrevision überprüft. Der<br />

zusammenfassende Bericht belegt, dass sich<br />

die Situation gegenüber <strong>der</strong> letzten allgeme<strong>in</strong>en<br />

Überprüfung im Jahr 1974 nicht<br />

wesentlich verbessert hatte. Gebäude waren<br />

<strong>in</strong> großem Umfang im Verfall begriffen.<br />

Die e<strong>in</strong>malige Aktion von 1974/1975 hatte<br />

ke<strong>in</strong>e stabilen Verbesserungen gebracht. Wie<br />

bereits 1974 wird über Korruption, Zweckentfremdung<br />

von Gel<strong>der</strong>n und e<strong>in</strong>er mangelhaften<br />

Verwaltung von Gel<strong>der</strong>n berichtet.<br />

Die Sätze für Verpflegung und Bekleidung<br />

wurden <strong>in</strong> erheblichem Maße unterschritten,<br />

zustehende Gel<strong>der</strong> nicht ausgezahlt. Dazu<br />

gehörten auch Gel<strong>der</strong>, welche die Heime lediglich<br />

zu verwalten hatten (Renten, Arbeitsentgelte,<br />

Prämien). 672<br />

Im Jahr 1975 stellte das M<strong>in</strong>isterium für<br />

Volksbildung fest, dass weiterh<strong>in</strong> zu wenige<br />

Plätze <strong>in</strong> den Normalheimen vorhanden<br />

waren. E<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck von <strong>der</strong> Größe des<br />

Fehlbestandes vermittelt <strong>der</strong> Bezirk Erfurt.<br />

Dort fehlten 1977 trotz <strong>der</strong> Errichtung von<br />

zwei neuen Heimen noch 600 Heimplätze. 673<br />

Um die Zahlen <strong>der</strong> Heime<strong>in</strong>weisungen generell<br />

zu senken, wurde den örtlichen Stellen<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe e<strong>in</strong>e verstärkte Präventionsarbeit<br />

anempfohlen. 674<br />

E<strong>in</strong> Umdenken gab es auch, was die Vorbereitung<br />

<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen für<br />

das Leben nach dem Heimaufenthalt betraf.<br />

„K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche müssen sich viel<br />

stärker als bisher hauswirtschaftliche und<br />

lebenskundliche Kenntnisse und Können<br />

aneignen, welches im ‚Normalfall‘ durch das<br />

Leben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie vermittelt und angeeignet<br />

wird.“ 675 Diese Erkenntnis wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen<br />

672 Information über die Durchführung<br />

<strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzrevision <strong>in</strong> Normalk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen und<br />

Jugendwerkhöfen vom 5. April 1978. In: BArch DR<br />

2/12328.<br />

673 Statistik im Bereich <strong>der</strong> Volksbildung -<br />

Statistik <strong>der</strong> Heime 1977, Bd. 1. In: BArch DR 2/28178.<br />

674 H<strong>in</strong>weise zur Entwicklung <strong>der</strong> Normalheime<br />

im Zeitraum 1976-1980 (undatiert, um 1976). In:<br />

BArch DR 2/12328.<br />

675 Rat des Bezirkes Erfurt, Abteilung<br />

Heimen und Jugendwerkhöfen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>in</strong><br />

den 1980er-Jahren tatsächlich ansatzweise<br />

umgesetzt. Schließlich wurde Anfang <strong>der</strong><br />

1980er-Jahre die Berufsausbildung an den<br />

Jugendwerkhöfen umgestellt. Sie wurde im<br />

Regelfall auf drei Jahre erweitert. Daneben<br />

blieb die alte Teilausbildung weiter bestehen.<br />

676 E<strong>in</strong>e Liste von angebotenen Berufen<br />

zeigt jedoch, dass die bisherige Ausbildung<br />

<strong>in</strong> Teilberufen nur auf drei Jahre ausgedehnt<br />

und mit formalen Berufsnummern versehen<br />

worden war. 677<br />

7. Nie<strong>der</strong>gang (1980–1987)<br />

Insgesamt ist für die 1980er-Jahre e<strong>in</strong><br />

wirtschaftlicher Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong> Heime zu<br />

konstatieren, <strong>der</strong> dem allgeme<strong>in</strong>en wirtschaftlichen<br />

Nie<strong>der</strong>gang folgt. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Spezialheime litten unter Personalmangel,<br />

<strong>der</strong> nur durch Zwangsabordnungen zu<br />

überbrücken war. In e<strong>in</strong>igen Heimen arbeiteten<br />

bis zu zwei Dritteln junge Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

und Erzieher, die durch die sogenannte<br />

Heimplätze und ihre Belegung<br />

35.000<br />

30.000<br />

25.000<br />

20.000<br />

15.000<br />

10.000<br />

5.000<br />

0<br />

Belegt<br />

Nicht belegt<br />

1975 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989<br />

Quelle: Statistisches Jahrbuch <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> für 1989<br />

Volksbildung, Referat Jugendhilfe: Berichterstattung<br />

über die politisch-ideologische Situation und<br />

materiell-technischen Voraussetzungen <strong>in</strong> den<br />

Heimen vom 2. März 1977. In: BArch DR 2/12192.<br />

676 Anordnung über die Berufsausbildung<br />

Jugendlicher <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen vom 5. Mai<br />

1980. In: GBl. Teil I, Nr. 18 vom 26. Juni 1980, S. 167.<br />

677 Berufsbil<strong>der</strong> für Ausbildungsberufe (ohne<br />

Datum, vermutlich 1989). In: BLHA Rep. 401 RdB<br />

Pdm, Nr. 24495.<br />

Absolventenlenkung nach Abschluss ihres<br />

Studiums für drei Jahre zur Arbeit <strong>in</strong> diesen<br />

Heimen verpflichtet worden waren. Dieser<br />

Personalmangel spiegelt nicht nur die gewachsenen<br />

Ansprüche an Arbeitse<strong>in</strong>kommen<br />

und -standards wi<strong>der</strong>. Er deutet auch auf e<strong>in</strong>e<br />

schw<strong>in</strong>dende Akzeptanz <strong>der</strong> Methodik und<br />

des allgeme<strong>in</strong>en pädagogischen Klimas an<br />

den Spezialheimen h<strong>in</strong>. 678<br />

Der schlechte bauliche Zustand und die<br />

prekäre Lage beim Personal <strong>in</strong> den Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen<br />

führten dazu, dass e<strong>in</strong>e hohe<br />

Prozentzahl <strong>der</strong> Kapazitäten nicht genutzt<br />

werden konnte. E<strong>in</strong>en Überblick über die<br />

Nutzung <strong>der</strong> vorhandenen planmäßigen<br />

Kapazitäten vermittelt die Grafik.<br />

Die Auslastung <strong>der</strong> Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime<br />

war noch weit niedriger. Als Grund kann<br />

man vermuten, dass Sanierung (1974) und<br />

Neubauten (ab 1978) von Heimen auf die<br />

Normalk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime konzentriert worden<br />

war, sodass <strong>der</strong> bauliche Zustand <strong>der</strong> Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime<br />

sehr schlecht blieb. H<strong>in</strong>zu<br />

trat, wie bereits erwähnt, <strong>der</strong> Mangel an<br />

678 Vgl. dazu als Beispiel: Antrag auf<br />

Aufhebung des Arbeitsvertrages mit Schil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Arbeitsverhältnisse im Heim Werftpfuhl vom 8. Juli<br />

1980. In: BArch DR 2/12325.<br />

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