Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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Rechtsfragen <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
mit den unbestimmten Rechtsbegriffen des<br />
K<strong>in</strong>deswohls, <strong>der</strong> Verwahrlosung und speziell<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>der</strong> Erziehungsgefährdung wurde<br />
nicht das K<strong>in</strong>d als Individuum mit eigenen<br />
Bedürfnissen nach Fürsorge und Entfaltung<br />
<strong>in</strong> den Mittelpunkt gerückt. Die Entscheidung<br />
für die <strong>Heimerziehung</strong> wurde vielmehr<br />
an Verhaltensweisen des K<strong>in</strong>des o<strong>der</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Eltern festgemacht, die als gesellschaftlich<br />
missbilligtes Fehlverhalten nicht <strong>in</strong>frage gestellt<br />
wurden.<br />
(4) Zwei wesentliche Unterschiede zwischen<br />
<strong>der</strong> Rechtslage <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
müssen jedoch festgehalten werden: Zum<br />
e<strong>in</strong>en war <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> das Erziehungsziel<br />
„sozialistische Persönlichkeit“ politisch und<br />
rechtlich vorgegeben und wurde von <strong>der</strong><br />
Staatsführung von oben durchgesetzt. In<br />
Westdeutschland ist die Praxis <strong>der</strong> Jugendämter<br />
und Gerichte dagegen auf e<strong>in</strong>en unbestimmten<br />
und bis <strong>in</strong> die 1960er-Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />
kaum h<strong>in</strong>terfragten Wertekonsens <strong>der</strong> Entscheidungsträger<br />
zurückzuführen, <strong>der</strong> allerd<strong>in</strong>gs<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Politik durchaus Unterstützung<br />
fand. Zweitens zeigte sich das Rechtssystem<br />
<strong>der</strong> Bundesrepublik ab den 1960er-Jahren<br />
als offen für den gesellschaftlichen Wandel.<br />
Die Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong><br />
wurden von <strong>der</strong> öffentlichen Me<strong>in</strong>ung und<br />
den fachlichen Diskursen <strong>in</strong> Pädagogik und<br />
Justiz sowie von <strong>der</strong> Rechtsprechung angestoßen<br />
und von <strong>der</strong> Gesetzgebung aufgegriffen.<br />
Das System <strong>der</strong> Bundesrepublik hat sich<br />
damit als lern- und wandlungsfähig erwiesen,<br />
wenn auch mit deutlicher Verspätung gegenüber<br />
an<strong>der</strong>en gesellschaftlichen Bereichen.<br />
Ganz an<strong>der</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, <strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e kritische<br />
Diskussion we<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit noch<br />
<strong>in</strong> Fachkreisen o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wissenschaft<br />
stattf<strong>in</strong>den konnten. E<strong>in</strong> grundsätzlicher<br />
Wandel <strong>der</strong> Verhältnisse <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong><br />
war aus dem System heraus daher nicht<br />
zu erwarten, son<strong>der</strong>n konnte erst mit dem<br />
Umbruch 1989 angestoßen werden.<br />
5.2 Die E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong>s Heim<br />
Wenn die Anordnung <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong><br />
nach e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> aufgeführten Rechtsgrundlagen<br />
vorlag, konnte das K<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Jugendliche <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Heim e<strong>in</strong>gewiesen werden.<br />
Jedenfalls aus den 1950er-Jahren s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs<br />
Fälle bekannt, <strong>in</strong> denen die Heime<strong>in</strong>weisung<br />
auch ohne Rechtsgrundlage durchgeführt<br />
wurde. 314<br />
5.2.1 Zuständigkeiten und Verfahren<br />
Für die Heime<strong>in</strong>weisung waren zu allen Zeiten<br />
das Jugendamt bzw. die Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />
zuständig. Die Auswahl des Heims oblag<br />
grundsätzlich den Abteilungen Jugendhilfe/<br />
<strong>Heimerziehung</strong> des Kreisrates. E<strong>in</strong>weisungen<br />
<strong>in</strong> Normalk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime verfügten diese Organe<br />
nach den Vorgaben <strong>der</strong> 1. DfB zur Heimordnung<br />
von 1951 selbst. Offenbar war es aber<br />
auch möglich, dass sich Kreise zusammentaten<br />
und e<strong>in</strong>en „Leitkreis“ benannten o<strong>der</strong> auf<br />
Bezirksebene e<strong>in</strong>e Lenkungsstelle e<strong>in</strong>richteten.<br />
In diesen Fällen mussten die Kreisreferate die<br />
E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Normalheim bei dieser Stelle<br />
beantragen. 315<br />
Grundsätzlich war die Heime<strong>in</strong>weisung erst<br />
dann zulässig, wenn die E<strong>in</strong>weisungsverfügung<br />
vorlag. 316 E<strong>in</strong>e Ausnahme galt nur für die<br />
Unterbr<strong>in</strong>gung aufgegriffener K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Durchgangsheimen<br />
o<strong>der</strong> bei Gefahr im Verzug (ebd.).<br />
314 Richter & Messerschmitt 1954, 22.<br />
315 M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung 1953, 64.<br />
Diese Praxis sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Bezirken noch <strong>in</strong><br />
den 1980er-Jahren verbreitet gewesen zu se<strong>in</strong>, vgl.<br />
die „Anweisung über das E<strong>in</strong>weisungsverfahren für<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche <strong>in</strong> die Heime <strong>der</strong> Jugendhilfe“<br />
des Bezirksrates Cottbus v. 1.4.1982, BLHA Rep. 801<br />
RdB Ctb Nr. 23607. Danach mussten alle Anträge auf<br />
Heime<strong>in</strong>weisung beim Bezirksrat gestellt werden. E<strong>in</strong>weisungen<br />
<strong>in</strong> Normalheime und das Durchgangsheim<br />
verfügte die Heime<strong>in</strong>weisungsstelle des Bezirksrates<br />
selbst. Die Unterlagen für E<strong>in</strong>weisungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Spezialheim<br />
g<strong>in</strong>gen an das Aufnahmeheim <strong>in</strong> Eilenburg.<br />
Dort wurde auch über E<strong>in</strong>weisungen <strong>in</strong> das Komb<strong>in</strong>at<br />
<strong>der</strong> Son<strong>der</strong>heime entschieden. Die Heime<strong>in</strong>weisungsordnung<br />
war nur für den Bezirk Cottbus verb<strong>in</strong>dlich.<br />
Siehe auch den H<strong>in</strong>weis auf „Bezirkse<strong>in</strong>weisungsstellen“<br />
bei Mannschatz 1984, 25.<br />
316 M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung 1953, 65.<br />
5.2.2 Spezielle Vorschriften für die<br />
E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime<br />
E<strong>in</strong>weisungen <strong>in</strong> Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime sollten<br />
<strong>in</strong> speziellen Aufnahme- und Beobachtungsheimen<br />
geprüft werden (§ 2 Abs. 3<br />
und § 3 Abs. 1 <strong>der</strong> 1. DfB zur Heimordnung<br />
von 1951). 317 Dazu wurde im Jahr 1953 e<strong>in</strong>e<br />
Zentrale Lenkungsstelle im M<strong>in</strong>isterium für<br />
Volksbildung e<strong>in</strong>gerichtet, bei <strong>der</strong> die Kreisreferate<br />
die E<strong>in</strong>weisung beantragen mussten.<br />
318 Die Zentrale Lenkungsstelle wurde<br />
später <strong>in</strong> Zentralstelle für Amts- und Rechtshilfeverkehr<br />
für M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährige mit dem Ausland<br />
und für Heime<strong>in</strong>weisungen umbenannt.<br />
Nach <strong>der</strong> „Anordnung über die Durchführung<br />
<strong>der</strong> Aufgaben <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen“<br />
vom 11.12.1956 319 war diese Zentralstelle für<br />
die E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> die Jugendwerkhöfe verantwortlich<br />
(§ 2 Abs. 2). Folgendes Verfahren<br />
war vorgesehen: Das Referat Jugendhilfe/<br />
<strong>Heimerziehung</strong> des Kreises beantragt die<br />
E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Spezialheim bei <strong>der</strong> Zentralen<br />
Lenkungsstelle und übermittelt ihr die<br />
Unterlagen. Die Zentrale Lenkungsstelle beschließt<br />
über die Anordnung und sendet die<br />
Unterlagen direkt dem Heim. Es war vorgesehen,<br />
dass alle E<strong>in</strong>weisungen <strong>in</strong> Spezialheime<br />
nach diesem Muster abgewickelt werden<br />
sollten. Berichte aus <strong>der</strong> Praxis bemängeln,<br />
dass die Lenkungsstelle zu langsam arbeitete<br />
und dass außerdem zu wenig Plätze <strong>in</strong><br />
Jugendwerkhöfen zur Verfügung standen.<br />
Jugendliche, die eigentlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Jugendwerkhof<br />
e<strong>in</strong>gewiesen wurden, wurden darum<br />
häufig zunächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Jugendwohnheim<br />
untergebracht, und zwar auch dann, wenn<br />
sie von e<strong>in</strong>em Strafgericht zur Erziehung im<br />
Jugendwerkhof verurteilt worden waren. 320<br />
317 Erste Durchführungsbestimmung zur<br />
Verordnung über <strong>Heimerziehung</strong> von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />
Jugendlichen vom 27.11.1951, GBl. 1951, 1104.<br />
318 Anordnung über die Regelung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>weisung<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen <strong>in</strong> staatliche<br />
Heime v. 5.3.1953, VuM des MfV 3/1953, 3, http://<br />
bbf.dipf.de/kataloge/bibliothekskatalog/digibert.<br />
pl?id=BBF0862808. Siehe auch M<strong>in</strong>isterium für<br />
Volksbildung 1953, 64.<br />
319 GBl. 1956, 1336.<br />
320 Lenzer 1954, 18.<br />
In <strong>der</strong> Praxis wurde die Prozedur daher umgangen<br />
und K<strong>in</strong><strong>der</strong> wurden direkt von den<br />
Kreisreferaten <strong>in</strong> Spezialheime e<strong>in</strong>gewiesen.<br />
Dieses Vorgehen wurde <strong>in</strong> den 1950er-Jahren<br />
als rechtswidrig kritisiert. 321 Es führte<br />
offenbar auch dazu, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche<br />
ohne Rechtsgrundlage <strong>in</strong> Spezialheime<br />
e<strong>in</strong>gewiesen wurden. 322<br />
Am 1.9.1964 wurde die Zentrale Lenkungsstelle<br />
<strong>in</strong> Zentralstelle für Spezialheime <strong>der</strong><br />
Jugendhilfe umbenannt; ihr Sitz war zunächst<br />
<strong>in</strong> Eilenburg, ab 1965 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Nach<br />
<strong>der</strong> „Anordnung über die Spezialheime <strong>der</strong><br />
Jugendhilfe“ 323 entschied sie nur noch über<br />
E<strong>in</strong>weisungen nach Torgau, <strong>in</strong> das Komb<strong>in</strong>at<br />
<strong>der</strong> Son<strong>der</strong>heime und <strong>in</strong> das Aufnahme- und<br />
Beobachtungsheim Eilenburg.<br />
5.2.3 E<strong>in</strong>weisungen nach Torgau<br />
E<strong>in</strong> spezielles Verfahren gab es nach 1964 für<br />
E<strong>in</strong>weisungen nach Torgau. Der Aufenthalt<br />
im Geschlossenen Jugendwerkhof war ausdrücklich<br />
als Diszipl<strong>in</strong>ierungsmaßnahme für<br />
Jugendliche aus an<strong>der</strong>en Jugendwerkhöfen<br />
gedacht. Direkte E<strong>in</strong>weisungen waren auch<br />
möglich, im Regelfall aber gelangten die Jugendlichen<br />
auf <strong>der</strong> Grundlage e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternen<br />
Verweisung aus dem Stamm-Jugendwerkhof<br />
dorth<strong>in</strong>. Der Leiter dieser E<strong>in</strong>richtung<br />
stellte e<strong>in</strong>en schriftlichen Antrag bei <strong>der</strong><br />
Zentralstelle für <strong>Heimerziehung</strong>, die dann<br />
den E<strong>in</strong>weisungsbeschluss fertigte. 324 In <strong>der</strong><br />
Praxis wurde dieser Verfahrensgang allerd<strong>in</strong>gs<br />
häufig dadurch umgangen, dass die<br />
Jugendlichen nach Torgau verbracht wurden,<br />
bevor <strong>der</strong> E<strong>in</strong>weisungsbeschluss e<strong>in</strong>gegangen<br />
war. 325 E<strong>in</strong>e Anhörung fand nicht statt;<br />
häufig wurden die Eltern <strong>der</strong> Jugendlichen<br />
erst <strong>in</strong>formiert, wenn ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> schon<br />
321 Richter & Messerschmitt 1954, 22; siehe<br />
dazu Zimmermann 2004, 258 f.<br />
322 Richter & Messerschmitt 1954, 22, mit H<strong>in</strong>weis<br />
auf e<strong>in</strong>e Überprüfung <strong>der</strong> Jugendwerkhöfe, die<br />
ergeben hatte, dass e<strong>in</strong> erheblicher Teil <strong>der</strong> Unterbr<strong>in</strong>gungen<br />
rechtswidrig war.<br />
323 Vom 22.4.1965; berichtigt am 4.9.1965, GBl.<br />
II, 368.<br />
324 Zimmermann 2004, 384.<br />
325 Vgl. Zimmermann 2004, 84 m. N.<br />
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