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Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

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Erziehungsvorstellungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

Die Anordnung von 1970 war noch gültig,<br />

als 1981 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bericht aus Potsdam die<br />

Aufgaben <strong>der</strong> Erzieher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Jugenddurchgangsheim<br />

(es gab <strong>in</strong> Potsdam auch e<strong>in</strong><br />

Durchgangsheim für K<strong>in</strong><strong>der</strong>) beschrieben<br />

wurden: „Entsprechend dieser Anweisung<br />

konzentriert sich die Arbeit mit den Jugendlichen<br />

auf die Durchführung <strong>der</strong> produktiven<br />

Tätigkeit, auf die Gestaltung <strong>der</strong><br />

Freizeit und den Unterricht mit dem Ziel, die<br />

Jugendlichen zu diszipl<strong>in</strong>ieren, den Umerziehungsprozess<br />

e<strong>in</strong>zuleiten, um sie so auf<br />

den Jugendwerkhof vorzubereiten. Mit dieser<br />

Zielstellung wurde zum Ende des abgelaufenen<br />

Schuljahres <strong>der</strong> Tagesablauf so verän<strong>der</strong>t,<br />

daß er dem Jugendwerkhof annähernd<br />

gleicht.“ Über die Umsetzung <strong>der</strong> Arbeitspflicht<br />

wird berichtet: „Die E<strong>in</strong>nahmen für<br />

den Staatshaushalt aus dieser Produktion beliefen<br />

sich im Jahre 1980 auf 27 TM (27.000<br />

Mark, Zus. d. Vf.).“ 324<br />

Vermutlich aus den Anfang <strong>der</strong> 1980er-<br />

Jahre immer deutlicher werdenden Sparzwängen<br />

heraus entstanden um 1984 mehrere<br />

Konzeptionen zur Dezentralisierung <strong>der</strong><br />

Durchgangsheime. Damit sollten vor allem<br />

die immensen Transport- und Personalkosten<br />

reduziert werden. Ab 1985 wurde die<br />

Funktion <strong>der</strong> Erstdiszipl<strong>in</strong>ierung als Vorbereitung<br />

auf die Spezialheime aufgegeben:<br />

„K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche, für die e<strong>in</strong>e Heime<strong>in</strong>weisung<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Normal- o<strong>der</strong> Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heim<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Jugendwerkhof vorgesehen<br />

ist, werden nicht <strong>in</strong> Durchgangsheime<br />

aufgenommen.“ 325 In <strong>der</strong> Folge standen e<strong>in</strong>ige<br />

<strong>der</strong> Durchgangsheime über Wochen h<strong>in</strong>weg<br />

leer. Sie wurden 1987 aufgelöst und durch<br />

Durchgangsstationen <strong>in</strong> den Landkreisen ersetzt.<br />

E<strong>in</strong>lieferungen <strong>in</strong> die Jugendwerkhöfe<br />

Er ziehungs arbeit <strong>in</strong> den Durchgangse<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe vom 15. September 1970 (mit Ordnung<br />

über die zeitweilige Isolierung (...) vom 1.12.1967). In:<br />

BLHA Rep. 801 RdB Ctb, Nr. 23607.<br />

324 Bericht über das Jugenddurchgangsheim<br />

Potsdam vom September 1981. In: BLHA Rep. 401 RdB<br />

Pdm, Nr. 33974.<br />

325 Anweisung über die Aufgaben und<br />

Arbeitsweise <strong>der</strong> Durchgangsheime <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

vom 25. April 1985 und Sicherheitsbestimmungen. In:<br />

BStU MfS HA IX, Nr. 18754, S. 38–46.<br />

sollten ab 1. September 1987 ohne Umweg<br />

über die Durchgangsheime erfolgen. 326<br />

Berichte aus dem folgenden Jahr lassen<br />

immerh<strong>in</strong> Zweifel zu, dass diese Verän<strong>der</strong>ungen<br />

tatsächlich <strong>in</strong> allen Bezirken umgesetzt<br />

worden s<strong>in</strong>d. Über die Ausgestaltung <strong>der</strong><br />

Durchgangsstationen <strong>in</strong> den Kreisen und<br />

über die sogenannten Aufnahmestationen, <strong>in</strong><br />

denen gefährliche Jugendliche untergebracht<br />

werden sollten, liegen <strong>der</strong>zeit ke<strong>in</strong>e gesicherten<br />

Erkenntnisse vor. E<strong>in</strong>e vermutlich<br />

vollständige Liste aller Durchgangsstationen<br />

und Aufnahmeabteilungen aus dem Jahr<br />

1987 wurde gefunden. 327<br />

Im März 1990 wurde im Bezirk Potsdam<br />

angeordnet, <strong>in</strong> den Aufnahmeabteilungen<br />

die Gitter von den Fenstern zu entfernen<br />

und „alle Türen zur normalen Benutzung<br />

herzurichten“. Gegenüber den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen, die sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Aufnahmeabteilung<br />

aufhielten, seien alle Formen von Zwang<br />

zu vermeiden. 328<br />

3.2.3.4 Arbeits- und Erziehungslager<br />

Rü<strong>der</strong>sdorf<br />

Das Arbeits- und Erziehungslager Rü<strong>der</strong>sdorf,<br />

das zeitweise zu den Jugendwerkhöfen<br />

gezählt wurde, entstand im November 1966,<br />

als alle Jugendwerkhöfe und Arbeitslager<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> Repressionen gegen<br />

die Jugendmusikkulturen überfüllt und<br />

Versuche, weitere Kapazitäten zu schaffen,<br />

gescheitert waren. Es entstand ohne jegliche<br />

Prüfung <strong>der</strong> rechtlichen Grundlagen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Vere<strong>in</strong>barung zwischen dem Berl<strong>in</strong>er Magistrat<br />

mit se<strong>in</strong>en Abteilungen Volksbildung und<br />

Inneres sowie dem Generalstaatsanwalt und<br />

dem Präsidenten <strong>der</strong> Ost-Berl<strong>in</strong>er Polizei. In<br />

326 Brief über die Modalitäten <strong>der</strong> direkten<br />

E<strong>in</strong>weisung von Jugendlichen <strong>in</strong> die Jugendwerkhöfe<br />

ohne Zwischenstation <strong>in</strong> den Durchgangsheimen vom<br />

16. Oktober 1987. In: BLHA Rep. 401 RdB Pdm, Nr.<br />

24492.<br />

327 Anhang zur Anweisung Nr. 11/87<br />

3. November 1987, ohne Datum, vermutlich 1988. In:<br />

BLHA Rep. 401 RdB Pdm, Nr. 24492.<br />

328 Festlegungen über den Aufenthalt <strong>in</strong><br />

E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> Jugendhilfe vom 15. März 1990. In:<br />

BLHA Rep. 401 RdB Pdm, Nr. 24493.<br />

diesem Fall gibt es ausführliche Belege, dass die<br />

Staatssicherheit an den E<strong>in</strong>weisungen <strong>in</strong> dieses<br />

Lager aktiv beteiligt war. 329 Die Tätigkeit <strong>der</strong><br />

Staatssicherheit beruhte ab Mai 1967 auf dem<br />

Befehl 11/66, <strong>der</strong> den „Kampf“ gegen E<strong>in</strong>flüsse<br />

<strong>der</strong> westlichen Jugendkultur zu e<strong>in</strong>em beson<strong>der</strong>en<br />

Schwerpunkt erklärte. 330 Das Lager war<br />

e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Aktion <strong>der</strong> oben genannten<br />

Institutionen, an <strong>der</strong> auch die Jugendhilfe beteiligt<br />

war. Der Berl<strong>in</strong>er Magistrat fasste selbst<br />

e<strong>in</strong>e Reihe von Beschlüssen, um die Repressionen<br />

wirksam zu organisieren. 331 Die E<strong>in</strong>weisungen<br />

erfolgten durch die Jugendhilfe und<br />

mehrfach ohne die dafür notwendigen formalen<br />

Beschlüsse. Als E<strong>in</strong>weisungsgründe galten<br />

Sachbeschädigung, tätliche Beleidigung und<br />

Körperverletzung leichter Art. Als Generalermächtigung<br />

wurde h<strong>in</strong>zugefügt: Jugendliche,<br />

„die Bürger auf an<strong>der</strong>e Weise belästigen<br />

bzw. die zwischenmenschlichen Beziehungen<br />

stören (z. B. <strong>in</strong> Verkehrsmitteln, während<br />

Filmvorführungen)“. 332 Im Februar gelangte<br />

e<strong>in</strong>e Beschwerde über diese E<strong>in</strong>richtung an<br />

Walter Ulbricht, <strong>der</strong> die gesetzlichen Grundlagen<br />

<strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung prüfen ließ. Sowohl die<br />

E<strong>in</strong>weisungspraxis als auch <strong>der</strong> Status <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung<br />

ließen sich nicht mit den Gesetzen <strong>der</strong><br />

<strong>DDR</strong> <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung br<strong>in</strong>gen. Daraufh<strong>in</strong><br />

wurde die E<strong>in</strong>richtung als Provisorium unter<br />

den gleichen Bed<strong>in</strong>gungen weitergeführt. 333<br />

Die E<strong>in</strong>weisungen wurden nun als „vorläufige<br />

Verfügungen“ ausgesprochen, die illegal über<br />

329 Bis März 1967 wurden dazu von <strong>der</strong><br />

Staatssicherheit mehr als 60 Berichte verfasst. In:<br />

BStU MfS HA XX. Nr. 6166 Teil 1 und 2.<br />

330 Befehl Nr. 11/66 vom 15. Mai 1966 zur<br />

politisch-operativen Bekämpfung <strong>der</strong> politischideologischen<br />

Diversion und Untergrundtätigkeit<br />

unter jugendlichen Personenkreisen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. In:<br />

BStU MfS BdL-Dok., Nr. 1083.<br />

331 Dienstanweisung über Maßnahmen zur Beseitigung<br />

von Jugendgefährdung und Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Asozialität vom 20. Februar 1967 (Stellvertreter<br />

des Oberbürgermeisters von Berl<strong>in</strong>). In: BArch DR<br />

2/51127.<br />

332 Die gesetzlichen Grundlagen für die<br />

E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> das Objekt Rü<strong>der</strong>sdorf (ohne Datum,<br />

etwa Februar 1967). In: BArch DR 2/51127.<br />

333 Aktennotiz Funke vom 22. Februar 1967<br />

den Status <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung Rü<strong>der</strong>sdorf betreffend. In:<br />

BArch DR 2/51127.<br />

die bestehenden Fristsetzungen h<strong>in</strong>aus verlängert<br />

wurden. 334 Im März wurden die fehlenden<br />

rechtlichen Grundlagen vom Leiter <strong>der</strong><br />

Abteilung Jugendhilfe, Eberhard Mannschatz,<br />

ausdrücklich bestätigt. Es bestünde allerd<strong>in</strong>gs<br />

e<strong>in</strong> „gesellschaftliches Bedürfnis“ nach e<strong>in</strong>er<br />

solchen E<strong>in</strong>richtung, weswegen die Legalisierung<br />

betrieben werden sollte: „Wenn sich<br />

im Rahmen <strong>der</strong> jetzt gültigen Gesetze ke<strong>in</strong>e<br />

Möglichkeiten eröffnen, dann muß e<strong>in</strong>e neue<br />

gesetzliche Regelung geschaffen werden.“ Dann<br />

sei „alles an<strong>der</strong>e nur e<strong>in</strong>e Frage <strong>der</strong> Orientierung<br />

<strong>der</strong> Rechtsprechung <strong>der</strong> Gerichte durch<br />

das Oberste Gericht.“ Unter diesen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

könnten auch noch weitere <strong>der</strong>artige<br />

E<strong>in</strong>richtungen geschaffen werden. 335 Sowohl<br />

die E<strong>in</strong>weisung als auch <strong>der</strong> Aufenthalt <strong>in</strong><br />

Rü<strong>der</strong>sdorf wurden nicht dokumentiert (z. B.<br />

Sozialversicherung, Strafregister). 336 Aufgrund<br />

<strong>der</strong> rechtlichen Schwierigkeiten erhielt das<br />

Lager ke<strong>in</strong>e feste Bezeichnung (nachweisbar<br />

s<strong>in</strong>d: Objekt Rü<strong>der</strong>sdorf, Arbeits- und Erziehungslager,<br />

Jugendwerkhof, Jugendhaus).<br />

Das Lager sollte die Funktion e<strong>in</strong>er „Schocktherapie“<br />

ausüben. Bereits bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>lieferung<br />

wurde diese Funktion deutlich. So berichtet<br />

<strong>der</strong> Zeitzeuge Ra<strong>in</strong>er Buchwald, dass ihm zum<br />

Empfang e<strong>in</strong>e entsicherte Masch<strong>in</strong>enpistole <strong>in</strong><br />

den Rücken gestoßen wurde. Die Jugendlichen<br />

wurden bewusst gedemütigt (Kurzhaarschnitt,<br />

Abspritzen mit kaltem Wasser, sträfl<strong>in</strong>gsartige<br />

Kleidung). Während <strong>der</strong> Arbeit wurden sie von<br />

bewaffneten Posten bewacht. Gearbeitet wurde<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Zementwerke <strong>in</strong> Rü<strong>der</strong>sdorf. Die<br />

Arbeit war sehr schwer, teilweise auch gesundheitsschädigend.<br />

337 Das Lager wurde vermutlich<br />

im September 1967 wie<strong>der</strong> aufgelöst.<br />

334 Vorläufige Verfügung zur E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong><br />

das Objekt Rü<strong>der</strong>sdorf für Clemens L<strong>in</strong>denau durch<br />

die Jugendhilfe vom 9. März 1967. In: Privatarchiv<br />

Clemens L<strong>in</strong>denau.<br />

335 Aktennotiz zum Objekt Rü<strong>der</strong>sdorf vom<br />

23. März 1967. In: BArch DR 2/51127.<br />

336 Schreiben des Generalstaatsanwaltes <strong>der</strong><br />

<strong>DDR</strong> vom 5. April 1967 zu den rechtlichen Aspekten<br />

<strong>der</strong> E<strong>in</strong>weisung nach Rü<strong>der</strong>sdorf (mit Anschreiben an<br />

Margot Honecker). In: BArch DR 2/51127.<br />

337 E<strong>in</strong>zelnachweise <strong>in</strong>: Sachse, Christian: Das<br />

illegale Arbeitserziehungslager Rü<strong>der</strong>sdorf. Horch &<br />

Guck, Heft 72 (2/2011), S. 30–34.<br />

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