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Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

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Was hilft ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bei <strong>der</strong> Bewältigung ihrer komplexen Traumatisierung?<br />

Bericht e<strong>in</strong>es Betroffenen aus e<strong>in</strong>em<br />

Durchgangsheim:<br />

„Ich bekam nie genug zu tr<strong>in</strong>ken, hatte ständig<br />

Durst. Ich horte noch heute immer e<strong>in</strong>en Vorrat<br />

von mehreren Kisten mit Wasser <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wohnung,<br />

habe immer was zu tr<strong>in</strong>ken dabei. Ich will<br />

nie wie<strong>der</strong> Durst haben müssen.“<br />

Bericht aus dem Normalheim <strong>in</strong><br />

Quedl<strong>in</strong>gburg:<br />

„Wenn man früh beim Aufstehen gesprochen<br />

hat, bekam man ke<strong>in</strong> Frühstück und nichts zu<br />

tr<strong>in</strong>ken, musste am Tisch stehen und warten,<br />

bis die an<strong>der</strong>en fertig waren, dann g<strong>in</strong>g es so zur<br />

Schule, ohne Essen und Tr<strong>in</strong>ken.“<br />

Demütigungen<br />

Hatten K<strong>in</strong><strong>der</strong> Probleme, wie z. B. Bettnässen,<br />

dann wurden sie öffentlich vor <strong>der</strong><br />

Gruppe an den Pranger gestellt und von <strong>der</strong><br />

Gruppe schwer gedemütigt. E<strong>in</strong>ige K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

waren schon vor dem Heim als Bettnässer bekannt,<br />

an<strong>der</strong>e wurden es aber erst durch die<br />

Heimumstände.<br />

„Mehrere Betroffene berichten, dass sie als<br />

Bettnässer nackt durch e<strong>in</strong> Spalier des jeweils<br />

an<strong>der</strong>en Geschlechtes laufen mussten. Sie mussten<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Raummitte im Kreis <strong>der</strong> Gruppe sitzen<br />

und die nasse Unterhose stundenlang trocken<br />

wedeln o<strong>der</strong> sich das nasse Laken umlegen.“<br />

Bericht e<strong>in</strong>es Betroffnen aus e<strong>in</strong>em<br />

Normalheim:<br />

„Wenn man <strong>in</strong>s Bett gemacht hatte, wurde das<br />

Laken e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>s Gesicht gerieben o<strong>der</strong> man mit<br />

<strong>der</strong> roten Gummiunterlage geschlagen und mit<br />

eiskaltem Wasser abgewaschen.“<br />

Bericht e<strong>in</strong>er Betroffenen aus e<strong>in</strong>em<br />

Spezialheim:<br />

„Da ich Bettnässer<strong>in</strong> war, durfte ich zum<br />

Abendbrot nur ganz wenig Tee tr<strong>in</strong>ken. Ich hatte<br />

immer Durst.“<br />

„Me<strong>in</strong> erster Heimaufenthalt beg<strong>in</strong>nt 1961/62<br />

<strong>in</strong> dem Normalk<strong>in</strong><strong>der</strong>heim Erich We<strong>in</strong>ert <strong>in</strong><br />

Magdeburg und ist dadurch geprägt, dass ich<br />

erstmals körperliche Gewalt von Erwachsenen<br />

erlebe, die Prügel als Strafe ansehen und diese<br />

Strafe für jedes Vergehen anwenden. Ich erleide<br />

hier die ersten sichtbaren Verletzungen, die auch<br />

bis heute nachweisbar s<strong>in</strong>d. Me<strong>in</strong>e damaligen<br />

Vergehen bestehen aus <strong>der</strong> Schwierigkeit, sich<br />

e<strong>in</strong>em militärisch geordneten Tagesablauf unterzuordnen.<br />

Me<strong>in</strong> Vergehen besteht dar<strong>in</strong>, dass<br />

ich bestimmte Lebensmittel o<strong>der</strong> Essenszubereitungen<br />

nicht mag. Me<strong>in</strong> schlimmstes Vergehen<br />

ist, dass ich nach vier Wochen Heimaufenthalt<br />

zum Bettnässer wurde. Das Bettnässen wird mit<br />

Strafen, wie zum Beispiel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schüssel mit<br />

kaltem Wasser vor dem Schlafengehen stehen<br />

o<strong>der</strong> jeden Abend bei <strong>der</strong> Tagesauswertung vor<br />

versammelter Belegung beim Abendbrot stehen<br />

und Verbot <strong>der</strong> Essensaufnahme, geahndet. Das<br />

schlimmste Erlebnis habe ich, als ich mit dem<br />

vollur<strong>in</strong>ierten Bettlaken <strong>in</strong>s Gesicht geschlagen<br />

werde, dabei <strong>in</strong> dem Duschraum ausrutsche<br />

und mir drei tiefe Fleischwunden am Unterarm<br />

zuziehe.“<br />

Gewalt durch die Erzieher/Lehrer<br />

Viele <strong>der</strong> ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> berichten<br />

über erhebliche Erfahrungen von Gewalt<br />

durch die Erzieher und Lehrkräfte. Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

mussten oft stundenlang <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kälte<br />

stehen o<strong>der</strong> z. B. im sogenannten „Entengang“<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Hocke bis zur Erschöpfung die<br />

Treppe rauf- und runterlaufen. Sie wurden<br />

von den Erziehern getreten, mit Händen,<br />

Fäusten o<strong>der</strong> Gegenständen geschlagen,<br />

ihnen wurden die Arme umgedreht. Beliebt<br />

war es bei den Erziehern und Lehrkräften,<br />

e<strong>in</strong>en schweren Schlüsselbund wahllos nach<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zu werfen, dabei kam es häufig auch<br />

zu körperlichen Verletzungen. Sie fesselten<br />

die K<strong>in</strong><strong>der</strong> ans Bett o<strong>der</strong> ketteten sie an die<br />

Heizung. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> mussten zur Strafe<br />

duschen mit eiskaltem Wasser o<strong>der</strong> wurden<br />

sogar mittels e<strong>in</strong>es Wasserrohres mit eiskaltem<br />

Wasser, wie mit e<strong>in</strong>em Wasserwerfer,<br />

abgespritzt und flogen durch den heftigen<br />

Druck gegen die Wand.<br />

Aus dem K<strong>in</strong><strong>der</strong>heim Heldburg:<br />

„Mit <strong>der</strong> Zeit merkte ich, dass e<strong>in</strong> Erzieher <strong>der</strong><br />

Brutalste von allen war. Er drehte mir oft die<br />

Brustwarzen und filzte sie, schlug mit se<strong>in</strong>em<br />

Knie <strong>in</strong> die Oberschenkel und <strong>in</strong> den Intimbereich.<br />

Dabei lachte er und sagte, schön brav se<strong>in</strong>.“<br />

Aus dem Durchgangsheim Freienwalde:<br />

„E<strong>in</strong>mal wurde ich dabei erwischt, wie ich<br />

heimlich e<strong>in</strong> Stück trocken Brot <strong>in</strong> die Schürze<br />

steckte. Die Erzieher<strong>in</strong> war so wütend, dass sie<br />

me<strong>in</strong>en Kopf <strong>in</strong> den Scheißeimer steckte. Ich<br />

durfte mich e<strong>in</strong>e Ewigkeit nicht waschen und als<br />

Krönung musste ich Strafsport machen. Aber ich<br />

hatte eigentlich Glück im Unglück. Ich hätte auch<br />

für Tage <strong>in</strong> die Zelle mit Strafstehen e<strong>in</strong>gesperrt<br />

werden können. Es gab viele Möglichkeiten, uns<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> kaputtzubekommen.“<br />

Bericht aus dem Normalheim Quedl<strong>in</strong>gburg:<br />

„Wenn man sich nachts im Schlafsaal noch<br />

e<strong>in</strong> wenig unterhielt und <strong>der</strong> Erzieher bekam<br />

das mit, holte er uns aus dem Bett, um uns<br />

im Nachthemd auf den Hof zu stellen, egal bei<br />

welchem Wetter, Regen, Kälte o<strong>der</strong> Schnee, oft zwei<br />

bis drei Stunden.“<br />

Gewalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe, Kollektivstrafen<br />

Die Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen wurden von den<br />

Erziehern hierarchisch aufgebaut, beson<strong>der</strong>s<br />

folgsame K<strong>in</strong><strong>der</strong> privilegiert und als Gruppenführer<br />

e<strong>in</strong>gesetzt. Diese sollten für Ordnung<br />

sorgen und Meldungen über Verstöße<br />

machen. Dadurch kam es immer wie<strong>der</strong> zu<br />

Kämpfen <strong>in</strong>nerhalb des Gruppengefüges mit<br />

teils brutalen Schlägereien und Misshandlungen<br />

aller Art. Die Erzieher bestraften<br />

oft nicht den E<strong>in</strong>zelnen, son<strong>der</strong>n die ganze<br />

Gruppe stellvertretend, was zu Ärger <strong>der</strong><br />

Gruppe gegen den Verursacher und damit<br />

wie<strong>der</strong>um zu e<strong>in</strong>er Kollektivstrafe führte.<br />

Die älteren und stärkeren K<strong>in</strong><strong>der</strong> wurden<br />

von den Erziehern so gegen die Jungen und<br />

Schwachen zur Gewalt angetrieben.<br />

Es wurden auch Boxkämpfe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe von<br />

den Erziehern angeordnet. Die Gruppenstrafen<br />

wurden oft ritualisiert durchgeführt. Die<br />

Erzieher sahen absichtlich weg o<strong>der</strong> for<strong>der</strong>ten<br />

<strong>in</strong>direkt auch zu solchen Strafen auf.<br />

Betroffene berichten über ritualisierte<br />

Gruppenstrafen, <strong>der</strong> Fantasie schien dabei<br />

ke<strong>in</strong>e Grenze gesetzt: „Klaubautermann o<strong>der</strong><br />

schwarze Katze“ bedeutete, das Opfer bekam<br />

e<strong>in</strong>e dunkle Decke o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Sack über den<br />

Kopf und alle aus <strong>der</strong> Gruppe schlugen o<strong>der</strong><br />

traten darauf e<strong>in</strong>. Als „U-Boot“ wurde das<br />

lange Untertauchen des Opfers <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vollen<br />

Wasserwanne bezeichnet o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kopf des<br />

Opfers wurde dabei <strong>in</strong> die Kloschüssel gesteckt.<br />

„Raumdisco“ hieß, die Gruppe versammelte<br />

sich im Umklei<strong>der</strong>aum, manchmal<br />

wurden vorher extra die Stiefel <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> von<br />

den Erziehern rausgegeben, das Opfer wurde<br />

<strong>in</strong> die Mitte genommen, h<strong>in</strong>- und hergeschubst,<br />

geschlagen o<strong>der</strong> getreten.<br />

Aus dem K<strong>in</strong><strong>der</strong>heim Heldburg:<br />

„Die erste Woche war die schlimmste, als e<strong>in</strong><br />

Schüler mir sagte, fass die Schnur an, die war e<strong>in</strong><br />

Stromkabel. Erst als ich am Boden lag, zog er den<br />

Stecker raus. Die großen K<strong>in</strong><strong>der</strong> mussten oft auf<br />

Anweisung <strong>der</strong> Erzieher die Kle<strong>in</strong>eren verprügeln.<br />

Manchmal haben sie versucht, mich mit dem<br />

Kopfkissen zu ersticken.“<br />

„Ins K<strong>in</strong><strong>der</strong>heim für schwer Erziehbare, Adolf<br />

Reichwe<strong>in</strong>, nach Pretzsch wurde ich gebracht,<br />

gerade elf Jahre alt und verstand die Welt nicht<br />

mehr, e<strong>in</strong> o<strong>der</strong> zwei Tage nach <strong>der</strong> zwangsweisen<br />

Unterbr<strong>in</strong>gung b<strong>in</strong> ich damals abgehauen, bis nach<br />

Wittenberg hatte ich es geschafft, wollte wie<strong>der</strong><br />

nach Hause, wurde dort von <strong>der</strong> TraPo am Bahnhof<br />

erwischt und wie<strong>der</strong> <strong>in</strong>s Heim gebracht. Nach<br />

me<strong>in</strong>en Fluchtversuch am zweiten Tag, ich würde<br />

es Heimweh nennen, lernte ich die Gruppe 8,<br />

me<strong>in</strong>e Gruppe für die nächsten drei Jahre, kennen,<br />

die Länge me<strong>in</strong>er Anwesenheit <strong>in</strong> diesem Heim<br />

war mir am Anfang noch nicht bekannt. Wegen<br />

me<strong>in</strong>es Abhauens bekam die gesamte Gruppe<br />

e<strong>in</strong>e Strafe, ich glaube, es wurde e<strong>in</strong> Besuch am<br />

Samstag für das K<strong>in</strong>o gestrichen. Ich lernte dafür<br />

die Kollektivstrafe kennen, mit Absicht o<strong>der</strong><br />

nicht hat <strong>der</strong> Erzieher die Gruppe alle<strong>in</strong> gelassen,<br />

den Zeitraum se<strong>in</strong>er Abwesenheit angesagt und<br />

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