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Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

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Was hilft ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bei <strong>der</strong> Bewältigung ihrer komplexen Traumatisierung?<br />

<strong>Aufarbeitung</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> und<br />

Erleichterungen bei <strong>der</strong> Rehabilitierung<br />

Immer wie<strong>der</strong> wird auch die umfassende<br />

<strong>Aufarbeitung</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

gefor<strong>der</strong>t, damit ausreichende Erkenntnisse<br />

als Entscheidungshilfe bei den Rehabilitierungskammern<br />

vorgelegt werden können.<br />

Die Heimzeit <strong>in</strong> den Spezialheimen <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe sollte aufgrund <strong>der</strong> dort herrschenden<br />

Menschenrechtsverletzungen und<br />

<strong>der</strong> Zwangsarbeit wie beim Jugendwerkhof<br />

Torgau ohne Prüfung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>weisungsgründe<br />

von den Gerichten rehabilitiert werden.<br />

In Mecklenburg-Vorpommern wurden bei<br />

<strong>der</strong> Gründung des Interessenverbandes ehemaliger<br />

Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> am 12.11.2011 50 Betroffene<br />

bezüglich ihrer Wünsche schriftlich<br />

befragt und e<strong>in</strong>e Gewichtung <strong>der</strong> Wünsche<br />

durchgeführt. Die Auswertung bestätigt die<br />

von uns gesammelten Aussagen. Die Teilnehmer<br />

sprachen sich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie für e<strong>in</strong>e moralische<br />

Rehabilitierung und die gesellschaftliche<br />

Anerkennung ihres Leides aus (44),<br />

gefolgt von <strong>der</strong> juristischen Rehabilitierung<br />

(31) und <strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziellen Entschädigung (27).<br />

Gefor<strong>der</strong>t wurden auch e<strong>in</strong>e gesundheitliche<br />

(9) und berufliche Rehabilitierung (3). Durch<br />

die Betroffenen wurde e<strong>in</strong> For<strong>der</strong>ungskatalog<br />

erstellt: „Alle Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> sollen die gleiche<br />

Entschädigung erhalten; die E<strong>in</strong>richtung<br />

e<strong>in</strong>er Anlaufstelle <strong>in</strong> MV sei notwendig; es<br />

solle e<strong>in</strong> Rentenausgleich erfolgen; es solle<br />

e<strong>in</strong>e Umkehr <strong>der</strong> Beweislast zugunsten <strong>der</strong><br />

Betroffenen bei den Rehabilitierungsentscheidungen<br />

erfolgen und die Rehabilitierung<br />

aller Heimaufenthalte die des JWH Torgau<br />

gleichgestellt werden; Ärzte, Psychologen,<br />

Richter sollten sich mit dem Heimsystem<br />

auskennen und dafür sensibilisiert werden;<br />

die Stigmatisierung <strong>der</strong> Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> als<br />

Krim<strong>in</strong>elle solle aufgehoben werden; die Betroffenen<br />

wollen ke<strong>in</strong>e Betreuung durch alte<br />

‚Systemka<strong>der</strong>‘, z. B. <strong>in</strong> den Jugendämtern.“<br />

Welche Hilfen werden gewünscht und<br />

benötigt?<br />

E<strong>in</strong> Betroffener schreibt:<br />

„Zum Schluss sollte sichergestellt werden, dass<br />

wegen <strong>der</strong> langjährigen Unterdrückung, dem<br />

Verschleiern und <strong>der</strong> notwendigen Anerkenntnis<br />

des Unrechts <strong>in</strong> jedem Bundesland Beratungsstellen<br />

e<strong>in</strong>gerichtet und diese auch professionell<br />

betrieben werden. Die Beratungsstellen sollen<br />

sicherstellen, dass Betroffene e<strong>in</strong>e Anlaufstelle<br />

haben, fachliche Beratung zur Rehabilitation<br />

bekommen und qualitative Angebote zur Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung.<br />

Hier sollte darauf geachtet<br />

werden, dass nicht <strong>der</strong> E<strong>in</strong>druck entsteht, dass<br />

Unbeteiligte mit dem Elend <strong>der</strong> Opfer ihren<br />

Lebensunterhalt verdienen, während die Opfer<br />

betteln müssen, um Gehör zu bekommen. Das<br />

trifft im Allgeme<strong>in</strong>en auch auf alle an<strong>der</strong>en Maßnahmen<br />

zu. Gerade h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Aussage,<br />

dass aus e<strong>in</strong>em möglichen Entschädigungsfonds<br />

auch noch die Verwaltungskosten des Staates<br />

bezahlt werden müssen.“<br />

„Die Zeit ist weg und kommt nicht wie<strong>der</strong>. Entschädigung<br />

alle<strong>in</strong> tut es auch nicht. Es braucht<br />

mehr Anlaufstellen, wo man anonym se<strong>in</strong>en<br />

Frust durch Reden loswird und trotzdem anonym<br />

ist. Es gibt D<strong>in</strong>ge, über die kann man nicht mal<br />

mit <strong>der</strong> Ehefrau o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Familienangehörigen<br />

reden. Das schleppt man se<strong>in</strong> Leben lang<br />

mit sich rum und wird es nicht los. Vor allem<br />

kann man nicht über Missbrauch reden, weil es<br />

zu pe<strong>in</strong>lich ist. Aber irgende<strong>in</strong>e Wie<strong>der</strong>gutmachung<br />

sollte es schon geben, z. B. Therapien, die<br />

auch durch die Kassen übernommen werden.“<br />

Viele ehemalige Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> äußern das<br />

Bedürfnis nach e<strong>in</strong>er speziellen Anlaufstelle,<br />

um e<strong>in</strong>mal über ihre Heimzeit reden<br />

zu können, sich erstmals e<strong>in</strong>em Menschen<br />

anzuvertrauen sowie auch notwendige Hilfen<br />

<strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Bereichen zu erhalten. Auch die<br />

Berater/-<strong>in</strong>nen halten aufgrund ihrer Erfahrungen<br />

und <strong>der</strong> ständig steigenden Nachfrage<br />

die E<strong>in</strong>richtung spezieller Anlauf- und<br />

Beratungsstellen für dr<strong>in</strong>gend notwendig.<br />

E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>er speziellen Anlaufund<br />

Beratungsstelle für ehemalige<br />

Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

Die Anlaufstellen sollen gut erreichbar se<strong>in</strong><br />

und ausreichend bekannt gemacht werden.<br />

Sie sollen den Betroffenen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die<br />

Möglichkeit bieten, e<strong>in</strong>fach über Heimerfahrungen<br />

und ihre Folgeprobleme reden zu<br />

können. Daneben sollten sie Hilfen bei <strong>der</strong><br />

Aktenrecherche, bei <strong>der</strong> Stellung von Rehabilitierungsanträgen,<br />

e<strong>in</strong>e juristische und<br />

soziale Beratung anbieten.<br />

Soziale und berufliche Hilfen<br />

Viele Betroffene wünschen aufgrund ihrer<br />

Ängste vor und negativen Erfahrungen mit<br />

Amtspersonen e<strong>in</strong>e Begleitung bei Behördengängen<br />

und bei <strong>der</strong> Aktene<strong>in</strong>sicht. Sie äußern<br />

auch den Wunsch, dass die Kranken- und<br />

Jugendhilfeakten e<strong>in</strong> Leben lang aufgehoben<br />

werden und nicht befristet wie bisher.<br />

Betroffene, die unter erheblichen Phobien<br />

und Rückzugsverhalten leiden, können nicht<br />

alle<strong>in</strong> das Haus verlassen und nehmen kaum<br />

an sozialen Aktivitäten teil. Sie benötigen<br />

e<strong>in</strong>e Unterstützung und Begleitung zur<br />

Bewältigung des Alltages und Hilfen zur Aktivierung<br />

wie z. B. durch e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelfallhilfe.<br />

„Ich brauche dr<strong>in</strong>gend soziale Unterstützung,<br />

ich traue mir nur wenig zu, habe Angst, alle<strong>in</strong>e<br />

was anzufangen, brauche e<strong>in</strong>fach Unterstützung<br />

zur Bewältigung me<strong>in</strong>es Alltages.“<br />

„Es muss sichergestellt werden, dass Opfer<br />

staatlicher Repressalien des Heimsystems,<br />

<strong>der</strong>en körperliche und geistige Fähigkeiten durch<br />

den Missbrauch e<strong>in</strong>geschränkt s<strong>in</strong>d, Zugang zu<br />

Rehabilitationsmaßnahmen haben, mit dem Ziel,<br />

nach Abschluss <strong>der</strong> Rehabilitationsmaßnahmen<br />

e<strong>in</strong> selbstständiges Leben führen zu können.<br />

Körperliche E<strong>in</strong>schränkungen, nicht verheilte<br />

o<strong>der</strong> noch bestehende Verletzungen müssen<br />

behandelt werden können. Auch hier s<strong>in</strong>d bei<br />

bleibenden Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen berufsbildende<br />

Maßnahmen erfor<strong>der</strong>lich, die zum Ziel haben<br />

müssen, Betroffenen den Zugang zu e<strong>in</strong>em<br />

selbstbestimmten Leben zu ermöglichen.“<br />

Auch Rehabilitationsangebote zur beruflichen<br />

Integration für Betroffene werden<br />

gefor<strong>der</strong>t. Viele <strong>der</strong> ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

s<strong>in</strong>d noch im arbeitsfähigen Alter, haben aber<br />

aufgrund <strong>der</strong> unzureichenden Ausbildungen<br />

<strong>in</strong> den Heimen nur wenige Chancen auf dem<br />

heutigen Arbeitsmarkt. Damit e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung<br />

<strong>in</strong> den Arbeitsmarkt gel<strong>in</strong>gen kann,<br />

müssten die entsprechenden Ansprechpartner<br />

wie Rentenstellen o<strong>der</strong> Arbeitsämter<br />

aber umfassend über die Probleme <strong>der</strong><br />

ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong>formiert werden.<br />

Nach Ansicht des Beraters Manfred May<br />

wäre es ratsam, speziell auf diese Gruppe<br />

abgestimmte Angebote zu konzipieren, da<br />

die Betroffenen aufgrund ihrer vielen negativen<br />

Erfahrungen und Probleme nicht <strong>in</strong><br />

die üblichen Angebote passen. Es reiche auf<br />

ke<strong>in</strong>en Fall e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung<br />

wie z. B. Bafög, son<strong>der</strong>n es sollten spezielle<br />

Konzepte für sehr kle<strong>in</strong>e Gruppen mit<br />

<strong>in</strong>dividuellen Lösungen entwickelt werden,<br />

z. B. begleitete Unternehmerprojekte. Bisher<br />

würden viele ehemalige Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> durch<br />

die Arbeitslosigkeit und Frühberentungen<br />

ungewollt hohe Kosten durch Sozial- und<br />

Rentenleistungen verursachen.<br />

„Ich b<strong>in</strong> durch me<strong>in</strong>e schlechte Ausbildung im<br />

<strong>DDR</strong>-Heim immer wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Situation,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> ich wie jetzt schon wie<strong>der</strong> me<strong>in</strong>e Arbeit<br />

verloren habe. Das ist e<strong>in</strong>fach so, dass mir die<br />

Ausbildung fehlt und vorenthalten wurde. Durch<br />

me<strong>in</strong>e mangelhafte Grundausbildung wurde mir<br />

mehrfach die berufliche Laufbahn versagt und<br />

ich stehe dem Arbeitsmarkt nur als Hilfskraft<br />

zur Verfügung, das ist e<strong>in</strong>e Schmach für e<strong>in</strong>en<br />

Mann.“<br />

Die Berater/-<strong>in</strong>nen berichten, dass viele<br />

ehemalige Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> sehr umfangreiche<br />

Belastungen erfahren haben und oft extreme<br />

Lebensläufe aufweisen, sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> wichtigsten<br />

Phase ihrer Entwicklung bee<strong>in</strong>trächtigt<br />

wurden, deshalb oft nicht über ausreichende<br />

soziale Kompetenzen verfügen. Die Betroffenen<br />

würden sich meist nicht trauen,<br />

auch nur e<strong>in</strong>fache Fragen wie zur Fahrtkostenerstattung<br />

o<strong>der</strong> ähnliche Probleme bei<br />

den entsprechenden Stellen anzusprechen.<br />

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