Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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Was hilft ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bei <strong>der</strong> Bewältigung ihrer komplexen Traumatisierung?<br />
vorsätzlich, schwerwiegend und wie<strong>der</strong>holt<br />
verletzten, sollten m<strong>in</strong>destens zwei und<br />
höchstens sechs Monate hier verbleiben.<br />
Etwa 5000 Jugendliche durchliefen den<br />
Jugendwerkhof Torgau zwischen 1964 und<br />
1989, manche mehrfach und trugen schwere<br />
seelische Schäden davon (Gatzemann 2008).<br />
Der Jugendwerkhof Torgau war haftähnlich<br />
aufgebaut, hier wurden beson<strong>der</strong>s harte Strafen,<br />
Demütigungen, Arreste verhängt und<br />
herrschten menschenunwürdige Zustände.<br />
Die ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>, die hier zwangsweise<br />
e<strong>in</strong>gewiesen wurden, s<strong>in</strong>d deshalb<br />
heute automatisch rehabilitiert und können<br />
e<strong>in</strong>e Opferrente o<strong>der</strong> Entschädigungsansprüche<br />
nach den strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzen<br />
beantragen. Die Zustände im<br />
Jugendwerkhof Torgau s<strong>in</strong>d bereits ausführlich<br />
untersucht und veröffentlicht worden<br />
und werden durch die Gedenkstätte Torgau<br />
mit angeschlossenem Vere<strong>in</strong> im Rahmen<br />
vieler Veranstaltungen und Ausstellungen<br />
<strong>der</strong> Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Auf<br />
weitere Ausführungen wurde deshalb <strong>in</strong> unserer<br />
Befragung <strong>der</strong> Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> verzichtet.<br />
Das Komb<strong>in</strong>at <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>heime für<br />
Psychodiagnostik und pädagogischpsychologische<br />
Therapie<br />
Die eigenartigerweise als „Komb<strong>in</strong>at“ benannte<br />
E<strong>in</strong>richtung für Psychodiagnostik<br />
und pädagogisch-psychologische Therapie –<br />
bestehend aus e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>weisungsheim <strong>in</strong><br />
Berl<strong>in</strong> und vier Heimen <strong>in</strong> Groß-Köris, Bollersdorf,<br />
Werftpfuhl und Borgsdorf – wurde<br />
ursprünglich zur Entlastung <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Heime e<strong>in</strong>gerichtet. E<strong>in</strong> Schwerpunkt bestand<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> stationären, aber beson<strong>der</strong>s auch<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> ambulanten Diagnostik von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
mit sogenannten „Verhaltensauffälligkeiten“,<br />
außerdem aus Forschung, Beratung und<br />
sollte <strong>der</strong> Separation entsprechen<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
dienen. Die eigentliche Unterscheidung <strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>weisungsgründe von „Verhaltensauffälligen“<br />
zu den sogenannten „Schwer erziehbaren<br />
o<strong>der</strong> Verwahrlosten“, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Spezialheim<br />
o<strong>der</strong> Jugendwerkhof sollten, war <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Praxis kaum durchführbar, da ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>igkeit<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Def<strong>in</strong>ition <strong>der</strong> Begriffe bestand und<br />
Unterschiede kaum e<strong>in</strong>deutig festzustellen<br />
waren (siehe Methner 2009). Die Heime des<br />
Komb<strong>in</strong>ats waren immer mit Psychologen<br />
besetzt, die Zahl <strong>der</strong> Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>plätze von<br />
<strong>der</strong> Besetzung dieser Stellen abhängig. Es<br />
herrschte <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en Personalbereichen<br />
aber <strong>der</strong> gleiche Mangel an Erziehern und<br />
Lehrern wie <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en Heimen, diese<br />
waren oft nicht ausreichend ausgebildet.<br />
Aussage e<strong>in</strong>es ehemaligen Erziehers (aus<br />
Methner 2009):<br />
„Nach <strong>der</strong> Ausbildung wurde man als Erzieher<br />
<strong>in</strong>s kalte Wasser geworfen und war nicht auf den<br />
praktischen Alltag vorbereitet.“<br />
Zu den baulichen Zuständen wurden sehr<br />
unterschiedliche Angaben gemacht, offenbar<br />
waren bis Mitte <strong>der</strong> 80er-Jahre Gitter vor den<br />
Fenstern, z. B. <strong>in</strong> Werftpfuhl, die dann später<br />
entfernt wurden, aber immer bestand das<br />
Verbot, das Gelände zu verlassen. Die Lage<br />
war auch hier sehr abgelegen im Umland von<br />
Berl<strong>in</strong> <strong>in</strong> alten Gebäuden. E<strong>in</strong> ehemaliger Erzieher<br />
beschreibt die Ausstattung als „lausig“,<br />
über Bollersdorf wird angegeben: „Das Heim<br />
war <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em miserablen Zustand, alles voll<br />
mit Kakerlaken, auch <strong>der</strong> Tee war voll.“ E<strong>in</strong><br />
Großteil <strong>der</strong> Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> berichtet von permanentem<br />
Hunger. E<strong>in</strong> Erzieher berichtet:<br />
„Um den Heimhaushalt aufzufrischen,<br />
wurden die Kosten umgeschichtet, von <strong>der</strong><br />
Taschengeldanweisung wurde den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
nur die Hälfte ausgezahlt, von <strong>der</strong> Bekleidungssumme<br />
abgewichen, <strong>der</strong> Verpflegungssatz<br />
manipuliert, um ausreichend Beschäftigungsmaterial<br />
anzuschaffen.“ (Methner<br />
2009). Die Erziehungsmethoden entsprachen<br />
denen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Spezialheime, übermäßige<br />
Ansprüche an Diszipl<strong>in</strong> und Ordnung,<br />
alles sei sehr verschult gewesen. Als wesentliches<br />
therapeutisches Mittel wurde hier die<br />
Milieutherapie gesehen, also <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong><br />
äußeren Heimumstände und des Tagesablaufes<br />
auf die Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>, eher selten seien<br />
E<strong>in</strong>zel- o<strong>der</strong> Gruppengespräche durchgeführt<br />
worden. E<strong>in</strong>zig die Musiktherapie stand<br />
als Alternative immer auf dem Plan. In den<br />
Heimen des Son<strong>der</strong>komb<strong>in</strong>ats wurde Wert<br />
auf mehr Kontakt zu den Eltern gelegt, aber<br />
die Post ebenfalls zensiert und kontrolliert.<br />
In den Berichten gibt es immer wie<strong>der</strong> auch<br />
H<strong>in</strong>weise auf Arrestzellen und Isolierung<br />
o<strong>der</strong> Verlegung zum Arrest <strong>in</strong> an<strong>der</strong>e Heime.<br />
Von <strong>der</strong> hier bestehenden Ausnahmegenehmigung<br />
zur Arrestierung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> ab<br />
dem 12. Lebensjahr, wäre e<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong><br />
Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> betroffen gewesen. Auffällig<br />
sche<strong>in</strong>t, dass über 50 % <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> oft mehrere<br />
Psychopharmaka gleichzeitig erhielten,<br />
sodass <strong>in</strong> vielen Fällen vermutlich e<strong>in</strong>e bloße<br />
Ruhigstellung damit bewirkt werden sollte.<br />
Der Verdacht, dass eventuell hier Versuche<br />
mit Medikamenten durchgeführt wurden,<br />
konnte bisher nicht bewiesen werden. Nach<br />
den Angaben von Methner (2009) gibt es E<strong>in</strong>zelberichte,<br />
die Erfahrungen mit erheblicher<br />
Gewalt von Erziehern und mit Kollektivstrafen<br />
enthalten. Ca. 50 % <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> seien aus<br />
den Komb<strong>in</strong>aten direkt nach Hause o<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
Jugendwohnheime zur weiteren Ausbildung<br />
entlassen worden.<br />
Frau Morawe berichtet über ihre Aktenrecherche<br />
zu dem Son<strong>der</strong>heim Werftpfuhl:<br />
Hier wurden K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit angeblich schweren<br />
Verhaltensstörungen e<strong>in</strong>gewiesen, die oft<br />
vorher schon <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Heimen waren und<br />
aus e<strong>in</strong>em schwierigen Elternhaus kamen.<br />
In den durchgesehenen Akten fanden sich<br />
als Gründe für das gestörte Verhalten dann<br />
nur H<strong>in</strong>weise auf: „Nägelkauen, heischt nach<br />
Zuspruch.“ Die Palette reiche von „<strong>in</strong>aktiver<br />
Schüler“, „konzentrationsgestört“, „E<strong>in</strong>ordnungsschwierigkeiten“<br />
und „Bettnässen“ bis<br />
zu auffallend häufig vermuteter, aber nicht<br />
durch mediz<strong>in</strong>ische Unterlagen o<strong>der</strong> fachliche<br />
Kommentierungen begründete Diagnosen<br />
wie „frühk<strong>in</strong>dliche Hirnschädigung.“ In<br />
e<strong>in</strong>igen Fällen werde „Hospitalismus“ <strong>in</strong> den<br />
Diagnosefel<strong>der</strong>n aufgeführt, teilweise gar<br />
ke<strong>in</strong>e Diagnosen son<strong>der</strong>n lediglich Bemerkungen,<br />
dass e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d beim Essen „mäkelt“<br />
o<strong>der</strong> das Verhalten des K<strong>in</strong>des als „lie<strong>der</strong>lich“<br />
o<strong>der</strong> „unbeholfen“ bezeichnet. Die E<strong>in</strong>tragungen<br />
therapeutischer Maßnahmen seien<br />
eher spärlich, als Therapie maßnahme sei<br />
z. B. auch e<strong>in</strong>getragen, „das K<strong>in</strong>d solle sich<br />
für den Pionierrat melden.“ Aus den Akten<br />
gehe hervor, dass viele K<strong>in</strong><strong>der</strong> über lange<br />
Zeiträume bis zu drei Psychopharmaka<br />
gleichzeitig erhielten. Nach den Berichten<br />
<strong>der</strong> dort untergebrachten Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> seien<br />
die Heime sehr isoliert gewesen, wiesen hohe<br />
bauliche Mängel auf, seien nie renoviert<br />
worden, Kakerlaken und Ungeziefer seien<br />
nicht selten gewesen. Es sei immer auch<br />
von Schlägen und Misshandlungen durch<br />
Lehrer berichtet worden. Betroffene seien<br />
aufgrund <strong>der</strong> damit verbundenen starken<br />
psychischen Belastung kaum <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage,<br />
darüber zu reden. Experimente mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
würden vermutet, denn es habe häufige<br />
Liquorentnahmen gegeben. K<strong>in</strong><strong>der</strong> hätten<br />
auch darunter gelitten, dass sie ständig vom<br />
Professor mitgenommen und vor den Studenten<br />
gezeigt wurden. Die Befriedigung <strong>der</strong><br />
Grundbedürfnisse hätten die Erzieher des<br />
Son<strong>der</strong>heims Werftpfuhl für Erziehungsmaßnahmen<br />
genutzt, <strong>in</strong>dem <strong>der</strong> Entzug bzw.<br />
teilweiser Entzug von Nahrung als Strafmaßnahme<br />
e<strong>in</strong>gesetzt worden sei.<br />
Zwei Beispiele dazu fanden sich <strong>in</strong> den 23<br />
bisher ausgewerteten Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>akten. Zwei<br />
Jungen berichteten <strong>in</strong> ihrer Not <strong>in</strong> Briefen<br />
an ihre Mütter davon: E<strong>in</strong> Zwölfjähriger<br />
schil<strong>der</strong>t se<strong>in</strong>er Mutter die erbitterte Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />
mit e<strong>in</strong>er Erzieher<strong>in</strong>, die ihm<br />
untersagt hatte, se<strong>in</strong> Mittagessen aufzuessen.<br />
Weil er sich gegen ihre Schläge zur Wehr<br />
setzte, war er <strong>in</strong> den folgenden Tagen mit Essenentzug<br />
bestraft worden. Er hatte zuletzt<br />
nur noch e<strong>in</strong> Brötchen erhalten und wurde<br />
nicht mehr satt. Am Ende des Briefes bittet<br />
er darum, dass sie ihm Essen schicke. E<strong>in</strong><br />
Achtjähriger schrieb aus dem Krankenbett an<br />
se<strong>in</strong>e Mutter. Er freue sich bald zu Hause zu<br />
se<strong>in</strong> und beklagte se<strong>in</strong>en anhaltenden Durst.<br />
Diese Hilferufe <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> erreichten die<br />
Mütter nicht. Die Post wurde nicht an sie<br />
abgeschickt. Sie wurde von den Erziehern<br />
gelesen, beschlagnahmt, gelocht und <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
jeweiligen K<strong>in</strong><strong>der</strong>akte abgeheftet. Dadurch<br />
wurde verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t, dass Informationen über<br />
die Erziehungsmethoden und Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />
außerhalb des Heimes bekannt<br />
wurden. Heute dokumentiert die aufgefundene<br />
Post, dass es dort e<strong>in</strong>e Postkontrolle<br />
und Zensur gab. In drei <strong>der</strong> nach dem Zufallspr<strong>in</strong>zip<br />
ausgewählten 23 Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>akten<br />
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