Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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Was hilft ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bei <strong>der</strong> Bewältigung ihrer komplexen Traumatisierung?<br />
Deshalb sei e<strong>in</strong> Rehaberater für sie beson<strong>der</strong>s<br />
wichtig, <strong>der</strong> ihre sozialen o<strong>der</strong> beruflichen<br />
Probleme klären helfe, z. B. auch <strong>in</strong> Fragen<br />
des Rentenausgleiches. Da die ehemaligen<br />
Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> oft nur Teilfacharbeiter- o<strong>der</strong><br />
Hilfsarbeiterausbildungen machen konnten,<br />
s<strong>in</strong>d sie heute <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rentenzahlung<br />
benachteiligt, deshalb sollte nach Me<strong>in</strong>ung<br />
vieler Betroffener e<strong>in</strong> Rentenausgleich<br />
erfolgen.<br />
F<strong>in</strong>anzielle Entschädigung<br />
Wünsche e<strong>in</strong>es Betroffenen:<br />
„Ich b<strong>in</strong> <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung, dass je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> ähnlicher<br />
Erfahrungen machen musste wie ich und<br />
ke<strong>in</strong>erlei Hilfe <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>in</strong> Anspruch nehmen<br />
konnte, zweifelsohne <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em beruflichen<br />
Werdegang geh<strong>in</strong><strong>der</strong>t war. Sehr viele Betroffene<br />
leben heute von Hartz IV o<strong>der</strong> können nur Hilfsarbeiten<br />
leisten, weil ihnen die Qualifikation<br />
fehlt. Es ist wirklich sehr schlimm, dass die Täter<br />
von damals durch ihren lückenlosen beruflichen<br />
Werdegang sehr viel besser gestellt s<strong>in</strong>d als die<br />
Betroffenen. Von <strong>der</strong> Politik wünsche ich mir,<br />
dass wir nicht vergessen werden und auch die<br />
jungen Politiker e<strong>in</strong>en Zugang zu den Betroffenen<br />
f<strong>in</strong>den können. Opfer, die betroffen s<strong>in</strong>d,<br />
allerd<strong>in</strong>gs noch selbst agieren können, kann mit<br />
e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>maligen Entschädigung das Bewusstse<strong>in</strong><br />
gegeben werden, dass sie <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
angekommen s<strong>in</strong>d. Das Geld hätte dann<br />
e<strong>in</strong>e Schmerzl<strong>in</strong><strong>der</strong>ungsfunktion. Den Betroffenen,<br />
denen durch Missbrauch <strong>der</strong> geistigen und<br />
körperlichen Fähigkeiten im Heimsystem <strong>der</strong><br />
<strong>DDR</strong> <strong>der</strong>artiges Unrecht wi<strong>der</strong>fahren ist, dass<br />
sie heute an den Folgen leiden und nicht mehr<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>er die Existenz sichernden<br />
Tätigkeit nachzugehen o<strong>der</strong> die durch den<br />
Missbrauch im Heimsystem <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> überhaupt<br />
nicht <strong>in</strong> die Lage versetzt wurden, e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>artige<br />
Tätigkeit überhaupt aufzunehmen, sollte e<strong>in</strong>e<br />
monatliche Entschädigung ähnlich <strong>der</strong> SED-<br />
Opferpension gezahlt werden. Was sich hier so<br />
anhört wie e<strong>in</strong>e Rundumversorgung für Opfer<br />
<strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong>, ist lediglich die Wie<strong>der</strong>gutmachung<br />
<strong>der</strong> Schuld, die sich die Gesellschaft<br />
mit ihrer Negierung von menschenunwürdigen<br />
Zuständen <strong>in</strong> den Heime<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
selbst aufgeladen hat. Es muss also h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>er<br />
Maßnahme auch e<strong>in</strong>e greifbare Möglichkeit <strong>der</strong><br />
selbstständigen Entwicklung stehen. Wenn nur<br />
e<strong>in</strong>e Kur o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e begrenzte Arbeits- o<strong>der</strong> Qualifizierungsmaßnahme<br />
besteht, an <strong>der</strong>en Ende<br />
es wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> die Versenkung geht, demütigt man<br />
die Opfer erneut. Die Wahrnehmung <strong>der</strong> Betroffenen<br />
wäre dann, dass dieser heutige Staat nicht<br />
besser ist als die <strong>DDR</strong>, und würde zu e<strong>in</strong>er Verweigerung<br />
führen, die letztendlich unumkehrbar<br />
se<strong>in</strong> wird. Für mich steht also an erster Stelle,<br />
weil wahrsche<strong>in</strong>lich als e<strong>in</strong>zige effektiv umsetzbar,<br />
e<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>anzielle Entschädigungsleistung.“<br />
Von den meisten Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n wird e<strong>in</strong>e<br />
f<strong>in</strong>anzielle regelmäßige Entschädigung<br />
nicht an erster Stelle gefor<strong>der</strong>t. Es wird aber<br />
aus den Ausführungen <strong>der</strong> Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
deutlich, dass e<strong>in</strong>er solchen f<strong>in</strong>anziellen<br />
Entschädigung e<strong>in</strong>e ganz an<strong>der</strong>e moralische<br />
Bedeutung beigemessen würde als lediglich<br />
den <strong>in</strong>direkten Hilfen. Die f<strong>in</strong>anzielle Entschädigung<br />
würde als e<strong>in</strong>e großzügige Geste<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft aufgefasst werden und das<br />
Gefühl e<strong>in</strong>er wirklichen Anerkennung des<br />
Unrechtes, daneben aber auch e<strong>in</strong>e Besserung<br />
<strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Lebensqualität bewirken.<br />
E<strong>in</strong>malzahlungen s<strong>in</strong>d dabei nicht so s<strong>in</strong>nvoll<br />
wie regelmäßige Zahlungen, da aus <strong>der</strong> Sicht<br />
<strong>der</strong> Berater e<strong>in</strong> langfristiger Unterstützungsbedarf<br />
besteht. Auch sollte es ke<strong>in</strong>e Befristungen<br />
für die Anträge auf Hilfen geben, da<br />
erfahrungsgemäß auch später im Leben noch<br />
Verschlimmerungen möglich s<strong>in</strong>d. Auch die<br />
Berater/-<strong>in</strong>nen sehen <strong>in</strong> <strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziellen, aber<br />
regelmäßigen Entschädigung e<strong>in</strong> wichtiges<br />
Zeichen von Großzügigkeit, das moralisch<br />
wichtig wäre und auch die großen Zukunftsängste<br />
<strong>der</strong> ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> l<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
würde, die aufgrund <strong>der</strong> oft schlechten f<strong>in</strong>anziellen<br />
und gesundheitlichen Situation bestehen.<br />
Der Staat könnte auf diese Weise se<strong>in</strong>en<br />
Willen demonstrieren, die Lebensqualität <strong>der</strong><br />
heutigen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> wirklich verbessern zu<br />
wollen, und ihnen so e<strong>in</strong> Stück ihrer verlorenen<br />
Würde zurückgeben. Bei den politischen<br />
Haftopfern <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> habe die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong><br />
regelmäßigen Opferrente nach <strong>der</strong> Erfahrung<br />
<strong>der</strong> Berater/-<strong>in</strong>nen bereits e<strong>in</strong>en großen<br />
Effekt auf die Zufriedenheit und die heutige<br />
Lebensqualität gezeigt, diesen E<strong>in</strong>druck kann<br />
die Autor<strong>in</strong> auch aus ihrer Gutachtertätigkeit<br />
bestätigen. Viele <strong>der</strong> Haftopfer berichten<br />
über die Möglichkeit, durch ihre Opferrente<br />
wie<strong>der</strong> mehr am sozialen Leben <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft<br />
teilnehmen zu können, beson<strong>der</strong>s<br />
wichtig ist dabei auch, selbst entscheiden zu<br />
können, wozu das Geld ausgegeben wird, also<br />
selbstbestimmt zu handeln und ke<strong>in</strong>e Anträge<br />
auf Hilfen stellen zu müssen.<br />
E<strong>in</strong>e Betroffene schreibt:<br />
„Es fällt mir schwer, das zu sagen. Aber ich<br />
musste mit me<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n all die Jahre immer<br />
mit so wenig Geld auskommen. Ich habe ja nichts<br />
gelernt wegen dem Heim, alles was ich gelernt<br />
habe, war nachher wertlos. Ich musste immer<br />
überlegen, können wir uns das leisten o<strong>der</strong> nicht.<br />
E<strong>in</strong> bisschen Geld wäre e<strong>in</strong>e große Hilfe und e<strong>in</strong><br />
gutes Gefühl.“<br />
Als notwendig und s<strong>in</strong>nvoll wird von allen<br />
angesehen, auch E<strong>in</strong>malleistungen zur Übernahme<br />
von Anwaltskosten o<strong>der</strong> Fahrtkosten<br />
z. B. zu Ehemaligentreffen, Interessenverbänden,<br />
Veranstaltungen und zur Therapiedurchführung<br />
zu übernehmen.<br />
E<strong>in</strong>e Betroffene schreibt:<br />
„S<strong>in</strong>nvolle Hilfe wäre, dass Krankenfahrten zu<br />
Ärzten und Psychologen, die oft weit außerhalb<br />
des Wohnortes s<strong>in</strong>d, frei wären. Denn bei mir ist<br />
es lei<strong>der</strong> so, dass ich nicht regelmäßig zu me<strong>in</strong>em<br />
vertrauten Psychotherapeuten fahren kann, die<br />
Bez<strong>in</strong>kosten s<strong>in</strong>d zu hoch, ich kann aber aufgrund<br />
me<strong>in</strong>er Ängste nicht mit dem Bus o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Bahn fahren.“<br />
Therapieangebote<br />
„Wenn Hilfe, dann brauche ich dr<strong>in</strong>gend<br />
Therapie, es gibt aber ke<strong>in</strong>e Plätze, es bestehen<br />
extreme Wartezeiten. Das müsste gebessert<br />
werden.“<br />
Den Berichten <strong>der</strong> Betroffenen und <strong>der</strong><br />
Berater/-<strong>in</strong>nen zufolge bestehen sehr lange<br />
Wartezeiten für ambulante Psychotherapien,<br />
beson<strong>der</strong>s mangelt es an traumaspezifischen<br />
Angeboten. Es wäre deshalb sehr schwierig,<br />
den Bedarf an Therapie zu decken. Viele<br />
Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> waren bereits <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Psychotherapie,<br />
haben dort aber nie über die<br />
Heimzeit geredet. Sie bemängeln, dass die<br />
Therapeuten die Heimsituation nicht kennen<br />
würden, ihnen jegliches H<strong>in</strong>tergrundwissen<br />
fehle, was die Betroffenen dann abschrecke<br />
und zu Therapieabbrüchen führe.<br />
E<strong>in</strong>e Betroffene schil<strong>der</strong>t:<br />
„In <strong>der</strong> psychosomatischen Kl<strong>in</strong>ik habe ich<br />
mich völlig fehl am Platze gefühlt. In solchen E<strong>in</strong>richtungen<br />
sollten sie mehr darüber wissen, wie<br />
es uns ergangen ist und wie es uns jetzt deshalb<br />
geht. Auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Tageskl<strong>in</strong>ik war es das Gleiche,<br />
die sagten, verdrängen Sie es wie<strong>der</strong>, es war<br />
doch schon mal weg. Das hilft mir aber nicht.“<br />
Auch nach <strong>der</strong> Erfahrung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Behandlung<br />
ehemaliger Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> von Herrn Dipl.-<br />
Psych. Trobisch-Lüdtgke von Gegenw<strong>in</strong>d<br />
Berl<strong>in</strong> wären traumaspezifische Kenntnisse <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Behandlung betroffener Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> von<br />
Vorteil und notwendig. Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Therapie<br />
sei es sehr wichtig, e<strong>in</strong>e gute Beziehung<br />
aufzubauen, da bei den Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n aufgrund<br />
ihrer negativen zwischenmenschlichen<br />
Erfahrungen e<strong>in</strong> hoher Vertrauensverlust<br />
vorliegt. Die Störungsbil<strong>der</strong> und Probleme <strong>der</strong><br />
ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> seien sehr komplex<br />
und verlangten deshalb e<strong>in</strong>e längere Therapie<br />
als die üblichen vorgesehenen Zeiten. Bei <strong>der</strong><br />
Überweisung <strong>in</strong> stationäre Behandlungen<br />
müssten vorher dr<strong>in</strong>gend Absprachen mit<br />
<strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ik getroffen werden. Viele Betroffene<br />
benötigen aufgrund <strong>der</strong> Phobien E<strong>in</strong>zelzimmer<br />
und kämen zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Zeit<br />
mit den Gruppenangeboten, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ik<br />
<strong>in</strong> großem Umfang angeboten werden, nicht<br />
zurecht, da sie dies an den ständigen Zwang<br />
im Heim – immer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe se<strong>in</strong> zu<br />
müssen – er<strong>in</strong>nert, die negativen Heimerfahrungen<br />
dadurch reaktiviert werden können.<br />
In <strong>der</strong> Therapie müssten auch sozialtherapeutische<br />
Methoden angewandt werden, e<strong>in</strong>e<br />
eher <strong>in</strong>tegrative Therapie, dabei sei z. B. auch<br />
die Anwendung spezieller Traumatherapiemethoden<br />
wie EMDR zur Besserung e<strong>in</strong>zelner<br />
Symptomkomplexe sehr hilfreich.<br />
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