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Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

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Was hilft ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bei <strong>der</strong> Bewältigung ihrer komplexen Traumatisierung?<br />

dann das Gefühl, wenn sie das lesen müssen, es<br />

wie<strong>der</strong>hole sich das alte Unrecht. Dann stellen sie<br />

sich oft die Frage, ob so e<strong>in</strong> Prozess denn überhaupt<br />

zumutbar ist. Auch die Übernahme von<br />

Anwaltskosten stelle e<strong>in</strong> oft unlösbares Problem<br />

für Betroffene dar, weshalb es schwierig für sie<br />

sei, e<strong>in</strong>en Wi<strong>der</strong>spruch e<strong>in</strong>zulegen.“<br />

E<strong>in</strong>e Berater<strong>in</strong> schil<strong>der</strong>t die Geschichte e<strong>in</strong>es<br />

Betroffenen, dessen Mutter <strong>in</strong> den Westen<br />

geflüchtet war und den Sohn nach <strong>der</strong> Geburt<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> zurücklassen musste, da se<strong>in</strong><br />

Leben <strong>in</strong> akuter Gefahr war. Er habe e<strong>in</strong>e<br />

lange Heimkarriere durchgemacht, war im<br />

Normalheim, Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heim, Jugendwerkhof<br />

und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Heim <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>komb<strong>in</strong>ate<br />

untergebracht. Die Mutter habe mit<br />

e<strong>in</strong>em Antrag auf Familienzusammenführung<br />

versucht, den Sohn zu sich <strong>in</strong> die BRD<br />

zu holen, dieser wurde von <strong>DDR</strong>-Seite abgelehnt,<br />

was <strong>in</strong> den Akten auch dokumentiert<br />

ist. Der Rehabilitierungsantrag des Betroffenen<br />

wurde durch das Landgericht Halle <strong>in</strong><br />

erster Instanz abgelehnt, das Oberlandesgericht<br />

Naumburg habe ihn dann rückwirkend<br />

ab dem Säugl<strong>in</strong>gsalter für die ganze Heimzeit<br />

rehabilitiert, da die Bemühungen <strong>der</strong> Mutter<br />

doch nachgewiesen werden konnten. Die<br />

Reaktion des Betroffenen auf die Rehabilitierung<br />

macht <strong>der</strong>en symbolischen Wert noch<br />

e<strong>in</strong>mal sehr deutlich:<br />

„Er habe seit <strong>der</strong> Rehabilitierung e<strong>in</strong>en ganz<br />

an<strong>der</strong>en Gang bekommen, es seien schwere<br />

Lasten von ihm abgefallen. Er fühle sich erstmals<br />

im Leben bestätigt, das ewig auf ihm lastende<br />

Stigma sei nun endlich weg.“<br />

E<strong>in</strong>e Berater<strong>in</strong> berichtet:<br />

„Mehrfach hätten Gerichte als Ablehnungsgründe<br />

angegeben, die belastenden Erfahrungen<br />

<strong>in</strong> den Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> wären<br />

gleichzusetzten mit denen <strong>der</strong> Westheimk<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />

E<strong>in</strong>e strafrechtliche Rehabilitierung sei deshalb<br />

nicht möglich, die Betroffenen könnten ja Anträge<br />

an den geplanten Entschädigungstopf für<br />

alle Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> stellen.“<br />

E<strong>in</strong>e Betroffene, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Durchgangsheim und Jugendwerkhof war<br />

und sehr belastende Heimerfahrungen<br />

durchlebte, berichtet:<br />

„Ich wurde nicht persönlich angehört o<strong>der</strong><br />

befragt vor dem Gericht, die Richter sahen sich<br />

nur die Aktenlage an, ich habe sie nie kennengelernt<br />

und sie mich nicht. Da stand ja nicht viel<br />

und manches auch noch falsch, alle Anträge auf<br />

Rehabilitierung wurden abgelehnt. Ich als Person<br />

war gar nicht wichtig, war nur e<strong>in</strong>e Akte wie <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. Ich empf<strong>in</strong>de das als Wie<strong>der</strong>holung des<br />

damaligen Unrechtes, und schon wie<strong>der</strong> b<strong>in</strong> ich<br />

hilflos. Wie soll ich da Vertrauen <strong>in</strong> den Rechtsstaat<br />

f<strong>in</strong>den? Ich g<strong>in</strong>g bis <strong>in</strong> die dritte Instanz,<br />

hatte aber ke<strong>in</strong>en Erfolg im Bundesland Sachsen.<br />

Heute sitze ich auf den Anwaltskosten und muss<br />

diese von me<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>gen EU-Rente abstottern.“<br />

2.5 Welche Wünsche und Bedürfnisse<br />

äußern die Betroffenen?<br />

Gesellschaftliche Anerkennung des<br />

Unrechtes, Rehabilitierung, präventive<br />

Maßnahmen für die Zukunft<br />

An erster Stelle <strong>der</strong> Wünsche ehemaliger<br />

Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> steht das Bedürfnis, dass ihre<br />

negativen Heimerfahrungen als Unrecht<br />

durch die heutige Gesellschaft anerkannt<br />

wird, sie also rehabilitiert werden. Um dies<br />

zu erreichen, müssten die Heimzustände<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> erst e<strong>in</strong>mal <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

ausreichend bekannt gemacht werden. Nur so<br />

könne das bis heute andauernde Gefühl <strong>der</strong><br />

Stigmatisierung, „e<strong>in</strong> Heimk<strong>in</strong>d und von <strong>der</strong><br />

Gesellschaft missachtet zu se<strong>in</strong>“, gebessert<br />

werden. Genauso häufig wird <strong>der</strong> Wunsch geäußert,<br />

dass Ähnliches nie wie<strong>der</strong> passieren<br />

dürfe, also nach Prävention.<br />

„Auf jeden Fall müsste mehr <strong>in</strong> den Medien<br />

wie Zeitungen o<strong>der</strong> Fernsehen darüber berichtet<br />

werden, denn nach wie vor ist es nur e<strong>in</strong>e Handvoll<br />

ehemaliger Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>, die für das Unrecht<br />

entschädigt wurden. Oft haben wir ehemaligen<br />

‚Heimis‘ das Gefühl, dass das Thema von den<br />

Medien totgeschwiegen werden soll, denn es<br />

wird kaum wirklich darüber gesprochen, bis auf<br />

wenige Ausnahmen.“<br />

„Was ich mir wünsche, dass auch diese schreckliche<br />

Seite, eben von uns Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n, geschrieben<br />

wird, nicht nur immer über die schöne <strong>DDR</strong>.“<br />

„E<strong>in</strong>e wichtige Rolle wird unabhängig von <strong>der</strong><br />

ganzen Frage ums Geld spielen, wie die Gesellschaft<br />

mit <strong>der</strong> Tatsache, dass solche E<strong>in</strong>richtungen<br />

existiert haben und was da genau passiert<br />

ist, als mahnendes Gedenken umgeht.“<br />

„Wir for<strong>der</strong>n, dass das Durchgangsheim Bad<br />

Freienwalde als unrechtmäßige Unterbr<strong>in</strong>gungse<strong>in</strong>richtung<br />

für Hun<strong>der</strong>te von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, die dort<br />

Zwangsarbeit leisten mussten, ohne Ausnahmen<br />

als Unrecht anerkannt wird. Wir werden heute<br />

nicht mehr schweigen. Wir haben e<strong>in</strong> Anrecht auf<br />

e<strong>in</strong>e strafrechtliche Rehabilitierung.“<br />

„Me<strong>in</strong> größter Wunsch ist, dass ich nie wie<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>e Gesellschaft erleben muss, die sich so wenig<br />

um ihre Schutzbefohlenen kümmert.“<br />

„Bevor man K<strong>in</strong><strong>der</strong>, egal wie alt und egal<br />

wegen was, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>heim, so wie ich es<br />

kennenlernen musste, steckt, sollten wirklich<br />

alle, e<strong>in</strong>fach alle an<strong>der</strong>en Schritte <strong>in</strong> Erwägung<br />

gezogen werden, dieses zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Dem K<strong>in</strong>d<br />

wird etwas genommen, das es später nie wie<strong>der</strong><br />

bekommen kann und was immer im Leben fehlen<br />

wird. Ich wünsche niemandem, solch e<strong>in</strong>e Zeit<br />

erleben zu müssen, das kann mit Geld auch nicht<br />

wie<strong>der</strong>gutgemacht werden.“<br />

„Das Fazit soll e<strong>in</strong>fach se<strong>in</strong>, aus solchen damaligen<br />

Zeiten zu lernen, Ost und West, und nach<br />

besseren Lösungen heutzutage zu suchen.“<br />

„K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollen nicht politisch manipuliert<br />

werden, nicht wie Vieh untergebracht werden,<br />

sollen nicht unter Zwang arbeiten müssen, das<br />

Wort ‚Erzieher‘ soll ke<strong>in</strong>e Angst mehr machen,<br />

sie sollen Pädagogen und Freunde <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

werden.“<br />

„Ob das Ganze gut o<strong>der</strong> schlecht gewesen ist,<br />

konnte ich damals nicht beurteilen als 11- bis 14-<br />

Jähriger. Ich denke und hoffe heute, dass me<strong>in</strong>e<br />

Tochter so etwas nie erleben soll. Es fehlten im<br />

Heim die Elternliebe und <strong>der</strong> Bezug zur Familie.<br />

Ich habe Geschwister, die ich gar nicht kennenlernen<br />

konnte <strong>in</strong> dieser Zeit. Für alle, die mich<br />

damals kannten, werde ich immer – passt auf, <strong>der</strong><br />

war im K<strong>in</strong><strong>der</strong>heim – also e<strong>in</strong> Heimk<strong>in</strong>d bleiben.“<br />

Bedürfniss die Verantwortlichen zur Rede<br />

zu stellen, und nach Wie<strong>der</strong>gutmachung<br />

E<strong>in</strong>ige Betroffene äußern auch das Bedürfnis,<br />

die damaligen Erzieher und Verantwortlichen<br />

e<strong>in</strong>mal zur Rede stellen zu können, und ihren<br />

Ärger darüber, dass es den damals Verantwortlichen<br />

heute f<strong>in</strong>anziell deutlich besser<br />

gehe als ihren Opfern, den Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />

„Ich würde gerne zu den Erziehern fahren und<br />

es ihnen sagen, sie zur Rede stellen, was sie mit<br />

mir gemacht haben, ob sie das heute begreifen,<br />

was sie dazu sagen.“<br />

„Sie fragten noch, was ich mir wünschen<br />

würde, hier me<strong>in</strong>e Antwort. Es sollten zum<strong>in</strong>dest<br />

die Erzieher o<strong>der</strong> Verantwortlichen, welche<br />

namentlich benannt werden können, strafrechtlich<br />

überprüft und aus ihren Ämtern entfernt<br />

werden. E<strong>in</strong> Wie<strong>der</strong>aufnahmeverfahren gegen<br />

Margot Honecker, solange sie noch lebt! Abschaffung<br />

des Begriffes Opferrente, da diese nur e<strong>in</strong>e<br />

Art Sozialhilfe ist, stattdessen die E<strong>in</strong>führung<br />

e<strong>in</strong>er echten Ehrenpension für alle Opfer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

angemessenen Höhe, denn den Opfern muss<br />

unbed<strong>in</strong>gt endlich e<strong>in</strong>e echte persönliche Anerkennung<br />

zuteilwerden. Außerdem e<strong>in</strong>en automatischen<br />

Rentenausgleich, vielleicht auch zulasten<br />

<strong>der</strong> Täter, welche zum Großteil heute gut versorgt<br />

s<strong>in</strong>d und nicht nur über Hartz IV und e<strong>in</strong>e<br />

M<strong>in</strong>destrente verfügen. Die Heimzeit <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

sollte e<strong>in</strong> fester Bestandteil <strong>der</strong> Lehrpläne für die<br />

Klassen 5 bis 13 <strong>in</strong> allen Schulformen se<strong>in</strong>.“<br />

„Ich wünsche mir e<strong>in</strong>e Bestrafung <strong>der</strong> gewalttätigen<br />

Erzieher, manche <strong>der</strong> damaligen Heimleiter<br />

und Erzieher sitzen noch <strong>in</strong> den Jugendämtern.<br />

Die sollten nicht auch noch Geld, also Rente, für<br />

die damalige Arbeit und das Unrecht bekommen,<br />

davon sollte man e<strong>in</strong>en Teil für die Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

zur Wie<strong>der</strong>gutmachung e<strong>in</strong>behalten.“<br />

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