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Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

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Erziehungsvorstellungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

Abteilungen <strong>in</strong> allen Son<strong>der</strong>heimen. 271 Ob<br />

und <strong>in</strong> welcher Weise die geschlossenen<br />

Abteilungen e<strong>in</strong>gerichtet wurden, ist bis jetzt<br />

nicht bekannt.<br />

Im Jahr 1978 wurden die Insassen wie<br />

folgt charakterisiert: (1) „Schüler mit Verhaltensstörungen<br />

auf im wesentlichen milieureaktiver<br />

Grundlage, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nach<br />

zweijährigem Aufenthalt im Son<strong>der</strong>heim<br />

korrigiert s<strong>in</strong>d.“ (2) „Schüler mit milieureaktiven<br />

Verhaltensstörungen, bei denen jedoch<br />

relativ stabile Persönlichkeitsbeson<strong>der</strong>heiten<br />

e<strong>in</strong>en wesentlichen Anteil am Gesamtzustandsbild<br />

haben.“ Dazu gehörten: „starke<br />

Verlangsamung, herabgesetzte Belastbarkeit,<br />

erhöhte Affektbereitschaft, Steuerungsschwäche,<br />

u.s.w. (häufig als Folgeersche<strong>in</strong>ung<br />

e<strong>in</strong>er frühk<strong>in</strong>dlichen Hirnschädigung.). (…)<br />

abnorme Persönlichkeitsentwicklung.“ 272<br />

Entgegen den Absichten und mehrfach<br />

nachweisbaren Anweisungen, vor allem<br />

Pro blemfälle aus den Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen<br />

aufzunehmen, entwickelte sich das Komb<strong>in</strong>at<br />

Son<strong>der</strong>heime Anfang <strong>der</strong> 1970er-Jahre zu<br />

e<strong>in</strong>em Hoffnungsträger für Eltern, die ihre<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht <strong>in</strong> den Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen untergebracht<br />

sehen wollten. Vor allem Eltern<br />

aus den höheren Bildungsschichten verwahrten<br />

sich gegen e<strong>in</strong>e Sicht, ihre verhaltensauffälligen<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> als schwererziehbar zu stigmatisieren.<br />

273 Bereits 1968 meldete das Son<strong>der</strong>heim<br />

Bollersdorf, dass 80 Prozent aller<br />

Insassen direkt aus den Familien kamen. 274<br />

271 Protokoll zur Berichterstattung <strong>der</strong> zentralen<br />

E<strong>in</strong>richtungen. 1. Son<strong>der</strong>heimkomb<strong>in</strong>at Berl<strong>in</strong> vom<br />

28. Mai 1965. In: BArch DR 2/12197.<br />

272 M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung, Abteilung<br />

Jugendhilfe und <strong>Heimerziehung</strong>: Information über<br />

Aufgabenstellung und Arbeitsweise des Komb<strong>in</strong>ats<br />

Son<strong>der</strong>heime vom 24. Mai 1978. In: BArch DR<br />

2/12196.<br />

273 Dies ergibt sich aus verschiedenen E<strong>in</strong>gaben<br />

und Beschwerden zu diesem Themenfeld, die stark<br />

verstreut im M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung zu f<strong>in</strong>den<br />

s<strong>in</strong>d. Z. B.: Vorgang H.-C. R. vom 14. Juni 1977 bis<br />

8. August 1977: Ablehnung e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

Son<strong>der</strong>heim wegen fehlen<strong>der</strong> Kapazitäten. In: BArch<br />

DR 2/51060.<br />

274 Bericht zur Überprüfung des<br />

Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimes Bollersdorf, E<strong>in</strong>richtung des<br />

Komb<strong>in</strong>ates Son<strong>der</strong>heime, vom 27. November 1968.<br />

In Groß Köris waren es 45 Prozent. 275<br />

In diesem S<strong>in</strong>ne nahmen die Son<strong>der</strong>heime<br />

zwei Funktionen wahr: E<strong>in</strong>erseits fungierten<br />

sie als Alternative zu den Spezialheimen,<br />

an<strong>der</strong>erseits sollten Insassen so weit therapiert<br />

werden, dass sie <strong>in</strong> die Spezialheime<br />

zurückkehren und erfolgreich umerzogen<br />

werden konnten. Deutlich wird dies an den<br />

1969/1970 vorgesehenen Verlegungen bzw.<br />

Entlassungen (vgl. folgende Grafik).<br />

In: BArch DR 2/28167.<br />

275 Bericht zu den Untersuchungen im Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heim<br />

Groß-Köris, sonst Groß Köris, E<strong>in</strong>richtung<br />

des SHK <strong>der</strong> Jugendhilfe am 19. November 1968 (vom<br />

27. November 1968). In: BArch DR 2/28167.<br />

Verlegungen und Entlassungen<br />

aus den Son<strong>der</strong>heimen 1969/1970<br />

Spezialheime 22%<br />

Normalheime 18%<br />

Jugendwohnheime 4%<br />

Quelle: BArch DR 2/28167<br />

Erziehungsberechtigte<br />

51%<br />

Die sich bereits 1964 <strong>in</strong> Werftpfuhl abzeichnenden<br />

Konflikte zwischen Therapie und<br />

Ansprüchen <strong>der</strong> Korrektiverziehung können<br />

als symptomatisch für die gesamte Zeit des<br />

späteren Komb<strong>in</strong>ates bezeichnet werden:<br />

Die Mehrzahl <strong>der</strong> therapeutischen Verfahren<br />

erwies sich als unvere<strong>in</strong>bar mit den Elementen<br />

<strong>der</strong> Kollektiverziehung. Die „<strong>in</strong>dividualistische<br />

Ausrichtung“ <strong>der</strong> therapeutischen<br />

Maßnahmen wurde als Störung des straffen,<br />

e<strong>in</strong>heitlichen Tagesablaufes bewertet. Die Erzieher,<br />

denen zumeist die Qualifikation zum<br />

Umgang mit psychisch auffälligen Insassen<br />

fehlte, wurden an den bisherigen rigorosen<br />

Praktiken <strong>der</strong> Diszipl<strong>in</strong>ierung geh<strong>in</strong><strong>der</strong>t, was<br />

sie als Kompetenzüberschreitung <strong>der</strong> Psychologen<br />

verstanden. 276<br />

In e<strong>in</strong>er Ausarbeitung von Mitte <strong>der</strong><br />

1970er-Jahre wurden die Erziehungsziele <strong>der</strong><br />

Son<strong>der</strong>heime folgen<strong>der</strong>maßen umrissen: Die<br />

276 Protokoll über die Überprüfung des<br />

Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimes für Psychodiagnostik und<br />

Psychotherapie Werftpfuhl (...) vom 29. Januar 1964.<br />

In: BArch DR 2/28167.<br />

Gesundheitswesen 1%<br />

Jugendwerkhöfe 4%<br />

Aufgabe bestünde nicht dar<strong>in</strong>, den Insassen<br />

„die geistige Reife von Schülern <strong>der</strong> 8. Klasse<br />

anzuerziehen, son<strong>der</strong>n vor allem dar<strong>in</strong>, ihre<br />

Arbeitshaltung soweit zu entwickeln, daß<br />

sie ohne schwerwiegende Ausfälle bzw. ohne<br />

Rückfall <strong>in</strong> frühere Verhaltensauffälligkeiten<br />

<strong>in</strong> Lehrgruppen zu <strong>in</strong>tegrieren s<strong>in</strong>d. (…) Es<br />

ersche<strong>in</strong>t deshalb unabd<strong>in</strong>gbar, bei ihnen<br />

vorrangig E<strong>in</strong>sichten <strong>in</strong> die Notwendigkeit<br />

von Anleitung, Unterweisung und Reglementierung<br />

zu wecken, die über ihren Aufenthalt<br />

im Heim h<strong>in</strong>ausreichen. (…) Je mehr Kritik<br />

unseren Jugendlichen zugestanden wird,<br />

jemehr (sic) Gewohnheiten und feste normative<br />

Regelungen außer Kraft gesetzt werden,<br />

um so größer ist auch die Gefahr wachsen<strong>der</strong><br />

Diszipl<strong>in</strong>losigkeit, des Autoritätsverlustes<br />

aller Erwachsenen und überhöhter<br />

sachlich nicht gerechtfertigter Ansprüche.“<br />

Es g<strong>in</strong>ge, so fasst die Autor<strong>in</strong> zusammen,<br />

„um die Vorbeugung e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en<br />

Normzersetzung“. 277<br />

277 Kollege Dietze: Über e<strong>in</strong>ige Probleme <strong>der</strong><br />

Lernarbeit und För<strong>der</strong>ung im Jugendalter (ohne<br />

198 199

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