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Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

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Was hilft ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bei <strong>der</strong> Bewältigung ihrer komplexen Traumatisierung?<br />

5.4 Hilfen bei <strong>der</strong> sozialen Rehabilitation<br />

Zur sozialen Rehabilitation von ehemaligen<br />

Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n bedarf es konkreter Hilfen zur<br />

Kompensation <strong>der</strong> Schädigungsfolgen und<br />

zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Teilhabe am sozialen und<br />

kulturellen Leben. Es geht darum, dem oft<br />

habituellen Rückzugsverhalten und den sozialen<br />

Ängsten Betroffener zu begegnen und<br />

diese zu unterstützen, ihre Probleme aktiv<br />

zu lösen und zu bewältigen. Manche Betroffen<br />

benötigen E<strong>in</strong>zelfallhilfe beispielsweise<br />

bei Behördengängen und bei <strong>der</strong> Regelung<br />

ihrer sozialen Belange o<strong>der</strong> zur Aktivitätssteigerung.<br />

Antragstellung von beson<strong>der</strong>em<br />

Hilfsbedarf besteht bezüglich beruflicher<br />

Integrationsmaßnahmen (Weiterbildung,<br />

Qualifizierung; Belastungserprobungen). Da<br />

übliche berufliche Qualifizierungsmaßnahmen<br />

häufig an den sozialen Ängsten Betroffener<br />

scheitern, sollten speziell angepasste Integrationsprogramme<br />

entwickelt werden, die<br />

auf den spezifischen Unterstützungsbedarf<br />

ehemaliger Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> ausgerichtet s<strong>in</strong>d.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> oft ger<strong>in</strong>gen E<strong>in</strong>künfte o<strong>der</strong><br />

Rentenansprüche Betroffener besteht Bedarf<br />

bezüglich konkreter f<strong>in</strong>anziellen Hilfen im<br />

Zusammenhang mit <strong>der</strong> Bewältigung von<br />

Schädigungsfolgen beispielsweise für Rechtsberatung<br />

und Anwaltskosten o<strong>der</strong> für Fahrtkosten<br />

zum Arzt o<strong>der</strong> zur Psychotherapie.<br />

Auch hier wären regelmäßige Geldleistungen<br />

hilfreich, um überhaupt Aktivitäten im S<strong>in</strong>ne<br />

<strong>der</strong> sozialen Teilhabe zu för<strong>der</strong>n. Beispielsweise<br />

könnten f<strong>in</strong>anzielle Zuwendungen<br />

für die Zahlung von Gebühren für Vere<strong>in</strong>e,<br />

Sportclubs, K<strong>in</strong>o- o<strong>der</strong> Theaterbesuche,<br />

Familienausflüge und Freizeitaktivitäten genutzt<br />

werden und dadurch helfen, den Alltag<br />

Betroffener lebenswerter zu gestalten. Durch<br />

För<strong>der</strong>ung von Freizeitaktivitäten könnte<br />

gezielt e<strong>in</strong> Ausgleich zu den <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit<br />

und Jugend erfahrenen E<strong>in</strong>schränkungen<br />

und Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen ermöglicht werden. Zu<br />

prüfen wäre, ob die Gewährung notwendiger<br />

sozialer Hilfen eventuell auch durch Anwendung<br />

des Bundesversorgungsgesetzes f<strong>in</strong>anziert<br />

werden könnte.<br />

5.5 Psychotherapeutische Behandlung <strong>der</strong><br />

Schädigungsfolgen<br />

Selbstverständlich s<strong>in</strong>d nicht alle Lebensprobleme<br />

von ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n durch<br />

Psychotherapie zu lösen o<strong>der</strong> zu bewältigen.<br />

Oft stehen soziale Probleme im Vor<strong>der</strong>grund<br />

und es s<strong>in</strong>d konkrete soziale Hilfen zur Integration<br />

o<strong>der</strong> zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Funktionalität<br />

im Alltagsleben vordr<strong>in</strong>glich. Die Anerkennung<br />

<strong>der</strong> Schädigungsfolgen und e<strong>in</strong>e<br />

f<strong>in</strong>anzielle Kompensation können e<strong>in</strong>e Vorbed<strong>in</strong>gung<br />

für e<strong>in</strong>e gel<strong>in</strong>gende Bewältigung<br />

<strong>der</strong> psychischen Belastungen se<strong>in</strong>. Dies gilt<br />

beson<strong>der</strong>s dann, wenn das erlebte Unrecht zu<br />

Verbitterung und e<strong>in</strong>em Gefühl andauern<strong>der</strong><br />

Benachteiligung im Leben geführt hat (Dobricki<br />

& Maercker 2010).<br />

Psychotherapeutische Behandlung ist <strong>in</strong>diziert,<br />

wenn anhaltende psychische o<strong>der</strong> psychosomatische<br />

Beschwerden bestehen, die zu<br />

e<strong>in</strong>er Bee<strong>in</strong>trächtigung <strong>der</strong> Funktionsfähigkeit<br />

im Alltag führen. Ehemalige Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

f<strong>in</strong>den bislang eher selten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e psychotherapeutische<br />

Behandlung. E<strong>in</strong>erseits bestehen oft<br />

Vorbehalte gegen Psychotherapie o<strong>der</strong> Psychotherapeuten.<br />

Betroffene können sich häufig<br />

nicht vorstellen, dass es Psychotherapeuten<br />

gel<strong>in</strong>gt, sich <strong>in</strong> die im Heim erlebten Belastungen<br />

und die daraus resultierenden Schwierigkeiten<br />

e<strong>in</strong>zufühlen. Oft bestehen nachvollziehbare<br />

Ängste, nicht verstanden zu werden,<br />

da viele Therapeuten nicht über ausreichendes<br />

H<strong>in</strong>tergrundwissen zum Thema Heim verfügen.<br />

Aber auch aufgrund von Schamgefühlen<br />

o<strong>der</strong> wegen Angst vor erneuter Ausgrenzung<br />

durch die Gesellschaft o<strong>der</strong> davor, als „verrückt“<br />

erklärt zu werden, wird e<strong>in</strong>e Konfrontation<br />

mit den eigenen Problemen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Therapie unter Umständen vermieden. Betroffene<br />

haben häufig ke<strong>in</strong>e klare Vorstellung<br />

davon, was Psychotherapie ist. Sie befürchten,<br />

dass durch das Reden über Belastungen und<br />

über die Heimer<strong>in</strong>nerungen die Probleme nur<br />

wie<strong>der</strong> aufgewühlt werden, ohne dass es zu<br />

e<strong>in</strong>er Besserung kommt. Manchmal wurden<br />

bereits enttäuschende Vorerfahrungen mit<br />

Therapeuten gemacht, die zu wenig auf die<br />

För<strong>der</strong>ung von Ressourcen geachtet haben<br />

und wenig aktiv unterstützend waren.<br />

Auch kann es sehr schwierig se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Behandlung von Traumafolgestörungen spezialisierte<br />

Psychotherapeuten zu f<strong>in</strong>den, dies<br />

trifft beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> ländlichen Gegenden zu.<br />

Gegenüber <strong>der</strong> Aufnahme <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e psychosomatische<br />

Kl<strong>in</strong>ik bestehen oft Vorbehalte, da<br />

das Krankenhaus mit langen Fluren, vielen<br />

Zimmern und Geme<strong>in</strong>schaftsräumen an den<br />

Heimaufenthalt er<strong>in</strong>nert. Die Gruppentherapien<br />

<strong>in</strong> Kl<strong>in</strong>iken er<strong>in</strong>nern an den Druck<br />

durch Kollektiverziehung im Heim und s<strong>in</strong>d<br />

nur schwer auszuhalten.<br />

Der Zugang zu Psychotherapie ist aber<br />

für ehemalige Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> auch dadurch<br />

erschwert, dass diese bei Psychotherapeuten<br />

als weniger attraktive Patienten gelten,<br />

da häufig die Diagnosekriterien für e<strong>in</strong>e<br />

chronifizierte Traumafolgestörung o<strong>der</strong> für<br />

e<strong>in</strong>e Persönlichkeitsstörung erfüllt s<strong>in</strong>d<br />

und von e<strong>in</strong>er längeren Behandlungsdauer<br />

ausgegangen werden muss. Aufgrund <strong>der</strong> im<br />

Heim erworbenen Entwicklungsstörungen<br />

verfügen erwachsene ehemalige Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

über weniger psychosoziale Ressourcen und<br />

sie gelten bei Psychotherapeuten als weniger<br />

e<strong>in</strong>sichtsfähig und schwer behandelbar,<br />

zudem ist <strong>der</strong> organisatorische Aufwand bei<br />

<strong>der</strong> zu erwartenden längeren Therapiedauer<br />

aufgrund <strong>der</strong> notwendigen Antragstellung im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Psychotherapierichtl<strong>in</strong>ien hoch.<br />

Beson<strong>der</strong>er Aufwand besteht auch bezüglich<br />

<strong>der</strong> notwendigen Vernetzung von Psychotherapie<br />

mit an<strong>der</strong>en Hilfsstellen. Die Behandlung<br />

stellt daher für die Therapeuten e<strong>in</strong>e<br />

beson<strong>der</strong>e Anfor<strong>der</strong>ung dar.<br />

Spezielle psychotherapeutische Behandlungsbedürfnisse<br />

bei ehemaligen<br />

Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

• Soziale Kompetenz, Kontakt und Beziehungsfähigkeit<br />

för<strong>der</strong>n<br />

• Selbstfürsorge und Selbstakzeptanz<br />

för<strong>der</strong>n<br />

• Eigene Bedürfnisse erkennen lernen<br />

• Sich als handlungsfähig erleben<br />

• Grenzen setzen lernen<br />

• Umgang mit Angst und Phobien<br />

erlernen<br />

• Umgang mit belastenden Affekten<br />

lernen (z. B. Wut, Hass, Trauer, Scham,<br />

Schuldgefühlen)<br />

• Bearbeitung von<br />

Traumafolgesymptomen<br />

Grundsätzlich sollte die psychotherapeutische<br />

Behandlung bei Folgen k<strong>in</strong>dlicher Entwicklungsbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />

und traumatischer<br />

Belastungen ressourcenorientiert erfolgen.<br />

Das heißt, die Behandlung orientiert sich<br />

nicht daran, Defizite aufzudecken, son<strong>der</strong>n<br />

bestehende Fähigkeiten zu för<strong>der</strong>n und neue<br />

Ressourcen aufzubauen. Neben den für die<br />

Behandlung spezieller Störungsbil<strong>der</strong>, wie<br />

beispielsweise phobischer Störungen, notwendigen<br />

Behandlungsstrategien lassen sich<br />

typische Behandlungsbedürfnisse def<strong>in</strong>ieren,<br />

die direkt aus den Schädigungen im Heim<br />

abgeleitet werden können. Unabhängig von<br />

<strong>der</strong> Orientierung an Therapieschulen sollte<br />

die Behandlung <strong>in</strong>dividuell auf die Bedürfnisse<br />

des Patienten ausgerichtet werden. E<strong>in</strong>e<br />

aktive und unterstützende therapeutische<br />

Vorgehensweise ist aufgrund <strong>der</strong> fehlenden<br />

För<strong>der</strong>ung im K<strong>in</strong>des- und Jugendalter ausgesprochen<br />

wichtig (Sack 2010).<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergrund vorwiegend negativer<br />

zwischenmenschlicher Erfahrungen sowie<br />

im Heim erworbener sozialer Ängste kann<br />

es notwendig se<strong>in</strong>, gezielt die Fähigkeit zu<br />

zwischenmenschlichem Kontakt und Beziehung<br />

zu för<strong>der</strong>n. Soziale Kontakte s<strong>in</strong>d<br />

e<strong>in</strong>e außerordentlich wichtige Ressource im<br />

Alltag. Wenn soziale Kompetenzen fehlen<br />

o<strong>der</strong> im Heim erworbene problematische<br />

Verhaltensmuster vorliegen, ist es schwierig,<br />

befriedigende zwischenmenschliche Kontakte<br />

aufzubauen. E<strong>in</strong>e gezielte therapeutische<br />

Behandlung von Beziehungsstörungen,<br />

optimalerweise auch im Rahmen von Gruppentherapie,<br />

kann Betroffenen helfen, die<br />

eigenen Beziehungsmuster zu reflektieren,<br />

Rückmeldung beim Gegenüber e<strong>in</strong>zuholen,<br />

durch Ausprobieren neue Erfahrungen zu<br />

gew<strong>in</strong>nen und eigene Verhaltensmuster zu<br />

korrigieren.<br />

Die För<strong>der</strong>ung von Selbstfürsorge und<br />

Selbstakzeptanz ist gerade für ehemalige<br />

Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong> wichtiges Thema.<br />

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