Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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Erziehungsvorstellungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
große Bedeutung erlangte. 42<br />
Die Bedeutung, die man diesem Erziehungszugang<br />
beimaß, wird daraus ersichtlich,<br />
dass ihm gegenüber die Verschiedenheit<br />
<strong>der</strong> sozialen Problemlagen wenig Beachtung<br />
fand. Deshalb konnte man auf e<strong>in</strong>en spezifisch<br />
für die <strong>Heimerziehung</strong> entwickelten<br />
pädagogischen Zugang verzichten.<br />
„Für schwererziehbare K<strong>in</strong><strong>der</strong> muss nicht e<strong>in</strong>e<br />
beson<strong>der</strong>e Heimpädagogik entwickelt werden,<br />
son<strong>der</strong>n auch sie benötigen e<strong>in</strong>e gute Schulbildung<br />
und Erziehung“. 43<br />
Diese Äußerung fasst die Resultate des VI.<br />
Pädagogischen Kongresses (1961) zusammen.<br />
Aber bereits 1952 formulierte die<br />
Rechtsstelle des MfV:<br />
„Die <strong>Heimerziehung</strong> steht aber als ausgesprochene<br />
Kollektiverziehung im engsten Zusammenhang<br />
mit <strong>der</strong> Schulerziehung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> (Diszipl<strong>in</strong>,<br />
Hausaufgaben usw.). Die Erziehung <strong>in</strong> den<br />
Heimen wird daher von Kräften übernommen,<br />
die pädagogisch ausgebildet se<strong>in</strong> müssen, denn<br />
sie ist, <strong>der</strong> Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> untergebrachten<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> entsprechend, e<strong>in</strong>e notwendige Ergänzung<br />
zur schulischen Erziehung“. 44<br />
Auch die Konzepte für die pädagogische<br />
Arbeit <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen tragen ke<strong>in</strong>e<br />
spezifische Prägung.<br />
„Die Erziehung im Jugendwerkhof erfolgt<br />
vor allem durch den E<strong>in</strong>satz zu gesellschaftlich<br />
nützlicher Arbeit sowie durch kulturelle und<br />
sportliche Betätigung“. 45<br />
Innerhalb <strong>der</strong> Aufgabe <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en<br />
kommunistischen Erziehung – so das Standardwerk<br />
<strong>der</strong> <strong>DDR</strong>-<strong>Heimerziehung</strong> – benötige<br />
es „ke<strong>in</strong>e speziellen Ziele und Inhalte<br />
42 Zimmermann, 2000.<br />
43 VI. Pädagogische Kongress 1961, 1961, S. 4.<br />
44 Rechtsstelle (Krahn) an M<strong>in</strong>ister Wandel am<br />
17.3.1952. In: BArch DR 2/84482.<br />
45 Erste Durchführungsbestimmung zur<br />
Verordnung Volksbildung – Jugendwerkhöfe – 6. Februar<br />
1989 (Entwurf). In: BStU MfS AGM, Nr. 604.<br />
für die <strong>Heimerziehung</strong>, gelten ke<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>en<br />
Pr<strong>in</strong>zipien für die Gestaltung des<br />
Erziehungsprozesses“. 46<br />
Damit ist <strong>der</strong> sachliche Grund benannt, <strong>der</strong><br />
die Anb<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> an das<br />
M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung erklärt. In <strong>der</strong><br />
im M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung verfassten<br />
„Handreichung für die Arbeitsweise <strong>der</strong><br />
Jugendhilfekommissionen auf dem Gebiet<br />
<strong>der</strong> Erziehungshilfe“ von 1986 f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong><br />
23-seitiger Text, <strong>der</strong> sich im Vorwort dadurch<br />
empfiehlt, dass <strong>in</strong> ihm die Erziehungsvorstellungen<br />
enthalten s<strong>in</strong>d, die „für grundsätzlich<br />
alle Erziehungsfälle gelten“. 47<br />
1.2.4 Die absterbende Tendenz <strong>der</strong><br />
Jugendhilfe<br />
Das ger<strong>in</strong>ge Gewicht, das man <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> beimaß, reflektierte<br />
die Annahme, dass die Gründe für Erziehungsprobleme<br />
unter den gesellschaftlichen<br />
Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> ger<strong>in</strong>ger werden und<br />
dass damit die Wichtigkeit des Referates<br />
Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong> abnimmt.<br />
Flankiert und erläutert wird diese Vorstellung<br />
durch die weitere Annahme, dass durch<br />
die neuen „gesellschaftlichen Bed<strong>in</strong>gungen“<br />
Interessenkonflikte nicht mehr bestehen.<br />
Genauer gesagt, steht <strong>der</strong> Sozialismus dafür,<br />
dass e<strong>in</strong>e „objektive“ Übere<strong>in</strong>stimmung <strong>der</strong><br />
Individual<strong>in</strong>teressen mit den Staats<strong>in</strong>teressen<br />
(<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> wurde dies „gesellschaftliche<br />
Interessen“ genannt) Realität geworden ist.<br />
Diese Ansicht ist zwar nicht 1949, aber<br />
1968 <strong>in</strong> die Verfassung <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> e<strong>in</strong>geflossen:<br />
„Die Übere<strong>in</strong>stimmung <strong>der</strong> politischen, materiellen<br />
und kulturellen Interessen <strong>der</strong> Werktätigen<br />
und ihrer Kollektive mit den gesellschaftlichen<br />
Erfor<strong>der</strong>nissen ist die wichtigste Triebkraft <strong>der</strong><br />
sozialistischen Gesellschaft“. 48<br />
46 Autorenkollektiv, 1984, S. 44.<br />
47 Handreichung für die Arbeitsweise <strong>der</strong><br />
Jugendhilfekommissionen auf dem Gebiet <strong>der</strong><br />
Erziehungshilfe. In: BStU MfS HA XX, Nr. 5930.<br />
48 Verfassung <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> (1968) Art. 2, Abs. 4.<br />
1974 wurde <strong>der</strong> Absatz geän<strong>der</strong>t: „Die Ausbeutung<br />
des Menschen durch den Menschen ist für immer<br />
beseitigt. Was des Volkes Hände schaffen, ist des<br />
Sie f<strong>in</strong>det sich vorher bereits unterhalb <strong>der</strong><br />
Verfassungsebene auf die Interessen <strong>der</strong><br />
Jugend angewandt im Jugendgesetz von<br />
1964: „In <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen<br />
Republik haben Staat und junge Generation<br />
zum erstenmal <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschen Geschichte<br />
geme<strong>in</strong>same Interessen und Ziele.“ 49 Ähnlich<br />
steht es im Jugendgesetz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fassung von<br />
1974: „In <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen<br />
Republik stimmen die grundlegenden Ziele<br />
und Interessen von Gesellschaft, Staat und<br />
Jugend übere<strong>in</strong>.“ 50<br />
„Auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> objektiven Übere<strong>in</strong>stimmung<br />
<strong>der</strong> gesellschaftlichen und persönlichen<br />
Interessen kann <strong>in</strong> <strong>der</strong> sozialistischen<br />
Gesellschaft <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruch zwischen dem<br />
objektiven Soll-Wert <strong>der</strong> Gesellschaft und dem<br />
<strong>in</strong>dividuellen Ist-Wert <strong>der</strong> Persönlichkeit, das<br />
heißt zwischen Individuum und Gesellschaft,<br />
gelöst werden.“ 51<br />
Dass hier von e<strong>in</strong>er Möglichkeit die Rede<br />
ist, bedeutet ke<strong>in</strong>e Skepsis o<strong>der</strong> Unsicherheit,<br />
son<strong>der</strong>n beschreibt die Übergangszeit,<br />
die Zeit, <strong>in</strong> dem die <strong>DDR</strong>-Gesellschaft noch<br />
mit vergangenen o<strong>der</strong> äußeren E<strong>in</strong>flüssen zu<br />
kämpfen hat.<br />
„Sie (die Lügner, Diebe, Ausreißer, Arbeitsbummelanten,<br />
Schulschwänzer, etc.) waren nicht<br />
von Geburt an so; sie s<strong>in</strong>d erst so geworden. Sie<br />
s<strong>in</strong>d so geworden auf dem Boden e<strong>in</strong>er faschistischen<br />
Erziehung, unter den schwierigen Zuständen<br />
<strong>in</strong> den ersten Jahren nach 1945, auf Grund<br />
Volkes Eigen. Das sozialistische Pr<strong>in</strong>zip ‚Je<strong>der</strong> nach<br />
se<strong>in</strong>en Fähigkeiten, jedem nach se<strong>in</strong>er Leistung‘ wird<br />
verwirklicht“.<br />
49 Gesetz über die Teilnahme <strong>der</strong> Jugend am<br />
Kampf um den umfassenden Aufbau des Sozialismus<br />
... <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>(4. Mai 1964), Abs. I.. In: GBl. <strong>DDR</strong> I,<br />
Nr. 4, S. 75 ff.<br />
50 Gesetz über die Teilnahme <strong>der</strong> Jugend<br />
<strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik an<br />
<strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> entwickelten sozialistischen<br />
Gesellschaft und über ihre allseitige För<strong>der</strong>ung <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik (28. Januar<br />
1974), Abs. I. In: GBl. <strong>DDR</strong> I, Nr. 5, vom 28.01.1974,<br />
S. 45.<br />
51 Schütze, 1964, S. 84; Krebs, 1965, S. 166.<br />
unnormaler Familienverhältnisse, auf Grund<br />
falscher Erziehungsmethoden <strong>der</strong> Eltern.“ 52<br />
„Es herrschte zunächst die Auffassung vor,<br />
dass nach <strong>der</strong> Bewältigung <strong>der</strong> Nachkriegsprobleme<br />
<strong>der</strong> nachwachsenden Generation und dem<br />
Aufbau des sozialistischen Staates e<strong>in</strong>e Spezial<strong>in</strong>stitution<br />
für Jugendhilfe langfristig überflüssig<br />
werden würde, da die eigentlich zuständigen<br />
gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen<br />
für e<strong>in</strong>e optimale Bildung und Erziehung<br />
von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen sorgen würden.“ 53<br />
Konflikte zwischen Individuen und Gesellschaft<br />
können zwar noch erlebt werden. Aber<br />
dabei ist <strong>der</strong> Konfliktpartner nicht die Gesellschaft,<br />
son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Individuum:<br />
„Konflikte f<strong>in</strong>den ihre Ausprägung <strong>in</strong> den<br />
zwischenmenschlichen Beziehungen, werden<br />
von den Beteiligten aber manchmal als<br />
Konflikte zwischen Individuen e<strong>in</strong>erseits und<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft o<strong>der</strong> dem Staat an<strong>der</strong>erseits<br />
erlebt“. 54 Der Konflikt Gesellschaft – Individuum<br />
hat mit <strong>der</strong> Errichtung <strong>der</strong> sozialistischen<br />
Gesellschaft se<strong>in</strong>e Grundlage verloren.<br />
Deshalb mag er zwar subjektiv erlebt werden,<br />
aber dies ist „falsches Bewusstse<strong>in</strong>“. Denn<br />
e<strong>in</strong>en objektiven Konflikt zwischen Individuum<br />
und Gesellschaft kann es nur dort<br />
geben, wo ausgebeutet wird, also nicht im<br />
Sozialismus.<br />
Dieser Zusammenhang ist etwas ausführlicher<br />
belegt, um den E<strong>in</strong>druck zu zerstreuen,<br />
es handele sich um e<strong>in</strong>e Marg<strong>in</strong>alie. Natürlich<br />
wird man nicht davon ausgehen können,<br />
dass die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis Tätigen diese Vorgaben<br />
mit <strong>in</strong>nerer Anteilnahme bejahten. Aber die<br />
Idee <strong>der</strong> Interessenharmonie und die daraus<br />
abgeleitete Idee des Verschw<strong>in</strong>dens sozialer<br />
Probleme und damit auch <strong>der</strong> beteiligten<br />
Institutionen war nicht alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Grund, die<br />
Jugendämter aufzulösen und ihre „vorläufige“<br />
Funktion (Mannschatz spricht von e<strong>in</strong>er<br />
„Maßnahme auf Zeit“ 55 ) vom M<strong>in</strong>isterium<br />
für Volksbildung übernehmen zu lassen,<br />
52 Heuchler, 1952, S. 30.<br />
53 Olk/Bertram, 1994, S. 323.<br />
54 M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung (Hg.), Leitfaden<br />
für Jugendhilfekommissionen, Berl<strong>in</strong> 1968, S. 12.<br />
55 Mannschatz, 1994, S. 32.<br />
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