Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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Anhang<br />
An<strong>der</strong>s als im Westteil nahmen die Offiziellen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> an, dass die Jugendhilfe, <strong>der</strong><br />
die <strong>Heimerziehung</strong> oblag, e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>richtung<br />
ist, die im Laufe <strong>der</strong> Geschichte aufgelöst<br />
werden wird, weil die Ursachen für soziale<br />
Probleme im Sozialismus entfallen s<strong>in</strong>d. Weil<br />
soziale o<strong>der</strong> sozialisationsbed<strong>in</strong>gte Probleme<br />
im Sozialismus nicht entstanden se<strong>in</strong> konnten,<br />
mussten sich hier E<strong>in</strong>flüsse auswirken,<br />
die aus „dem Westen“ herrührten (Westfernsehen,<br />
Schund-Literatur, Popmusik etc.). Wer<br />
<strong>in</strong> den Blick <strong>der</strong> Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong><br />
geriet, war damit immer zugleich e<strong>in</strong> Problem<br />
für die Legitimation <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>-Gesellschaft.<br />
An<strong>der</strong>s als im Westen erschwerte <strong>der</strong><br />
Glaube an die Formbarkeit des Menschen die<br />
E<strong>in</strong>sicht, dass soziale Probleme unter allen<br />
Bed<strong>in</strong>gungen entstehen können. Wer <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>DDR</strong> auffiel, störte deshalb <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em politischen<br />
S<strong>in</strong>ne, er litt unter Problemen, die vom<br />
Faschismus o<strong>der</strong> aus dem Westen herrührten.<br />
Die <strong>Heimerziehung</strong> hatte deshalb mit<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zu tun, die aus dem <strong>DDR</strong>-Staatskonzept<br />
<strong>der</strong> Schaffung des sozialistischen<br />
Menschen herausgefallen s<strong>in</strong>d. Dass die für<br />
die <strong>Heimerziehung</strong> aufgewendeten Mittel im<br />
Laufe <strong>der</strong> 40 Jahre <strong>DDR</strong> nicht erhöht, son<strong>der</strong>n<br />
eher verm<strong>in</strong><strong>der</strong>t wurden, ist die f<strong>in</strong>anzielle<br />
und praktische Seite dieser Annahme.<br />
An<strong>der</strong>s als im Westen spielte <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>-<br />
Geheimdienst (das M<strong>in</strong>isterium für Staatssicherheit)<br />
e<strong>in</strong>e Rolle im Umgang mit Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />
Das Ausmaß und die Art und Weise<br />
dieses bedrückenden Umstandes s<strong>in</strong>d noch<br />
nicht h<strong>in</strong>reichend bekannt und bedürfen<br />
weitgehen<strong>der</strong> Studien. Ihre Bedeutung reicht<br />
über die Aufklärung <strong>der</strong> Heimsituation<br />
h<strong>in</strong>aus.<br />
An<strong>der</strong>s als im Westen spielte für die Bewertung<br />
<strong>der</strong> Heimsituation e<strong>in</strong>e große Rolle,<br />
dass die Familie <strong>in</strong> ihrer Bedeutung für die<br />
Sozialisation e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des für ger<strong>in</strong>g erachtet<br />
wurde und ke<strong>in</strong>e ihr angemessene Würdigung<br />
erfuhr. Die <strong>Heimerziehung</strong> hat die auf<br />
die Familie orientierte Pädagogik, die <strong>in</strong> den<br />
konfessionellen E<strong>in</strong>richtungen beibehalten<br />
wurde, abgelehnt („Kollektiverziehung“).<br />
Auch für dieses Kapitel muss abschließend<br />
<strong>der</strong> Bedarf an weiterer Forschung angemeldet<br />
werden.<br />
Die <strong>DDR</strong> war zu ke<strong>in</strong>em Zeitpunkt ihrer<br />
Existenz e<strong>in</strong> Rechtsstaat. Sie ist das Resultat<br />
e<strong>in</strong>er durch den Krieg h<strong>in</strong>terlassenen<br />
Machtkonstellation und sah die Mittel e<strong>in</strong>er<br />
nachträglichen Legitimation durch die <strong>in</strong><br />
ihr lebenden Menschen – zu Recht – als<br />
Existenzbedrohung an. Das erschwert es,<br />
<strong>in</strong>nerhalb dieses Unrechtsgebildes e<strong>in</strong> davon<br />
isoliertes Unrecht <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> präzise<br />
zu umgrenzen. Es ist also nicht alle<strong>in</strong> die<br />
subjektive Sicht <strong>der</strong> Betroffenen, die zwischen<br />
SED-Unrecht und Heim-Unrecht nicht<br />
unterscheidet. Auch die sachliche Analyse<br />
bestätigt diesen Befund. Die Erziehungssituation<br />
konnte <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> alle<strong>in</strong> durch ihren<br />
Untergang verbessert werden.<br />
Anhang I: Geschichte, Etappen<br />
und Perioden <strong>der</strong> Jugendhilfe/<br />
<strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
Die Neuorientierung nach 1945 suggerierte<br />
e<strong>in</strong>en radikalen Bruch mit jeglicher Vergangenheit,<br />
<strong>der</strong> freilich so nicht stattfand.<br />
Neben weittragenden Verän<strong>der</strong>ungen setzten<br />
sich überkommene Gegebenheiten fort. Diese<br />
Beobachtung trifft auch auf die Institutionen<br />
<strong>der</strong> Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong> zu. Innerhalb<br />
des nach 1945 beg<strong>in</strong>nenden Umbaus <strong>der</strong><br />
bestehenden Strukturen <strong>der</strong> Jugendhilfe und<br />
<strong>Heimerziehung</strong> setzten sich Traditionen und<br />
Wertevorstellungen fort, sodass sich mitunter<br />
bis <strong>in</strong> die Heimpraxis o<strong>der</strong> bis <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelne<br />
Gesetzesformulierungen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> e<strong>in</strong> deutschdeutscher<br />
Vergleich erlaubt.<br />
Die Eigengesetzlichkeiten des Teilsystems<br />
Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong> mussten auch <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em planwirtschaftlich und zentralistisch<br />
organisierten Staat berücksichtigt werden,<br />
aber ab den 1970er-Jahren entzog sich die<br />
SED-Führung dem Handlungsdruck, <strong>der</strong> von<br />
<strong>der</strong> Heimreform im Westen ausg<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>dem<br />
sie das Thema aus <strong>der</strong> Propaganda herausnahm<br />
und Statistiken über die Spezialheime<br />
nicht mehr veröffentlichte. 596<br />
Diese Umstände lassen e<strong>in</strong>e von <strong>der</strong><br />
allgeme<strong>in</strong>en <strong>DDR</strong>-Geschichte leicht abweichende<br />
Periodisierung <strong>der</strong> Jugendhilfe/<br />
<strong>Heimerziehung</strong> s<strong>in</strong>nvoll ersche<strong>in</strong>en. E<strong>in</strong>ige<br />
Beispiele. Die Gründung <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> im Oktober<br />
1949 hatte bis auf die Umbenennung <strong>der</strong><br />
Zentralverwaltung für Volksbildung <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
M<strong>in</strong>isterium ke<strong>in</strong>e Folgen für die Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong>.<br />
Das Heimsystem <strong>der</strong><br />
Jugendhilfe <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Grundstruktur dagegen<br />
wurde bereits 1951 geschaffen, also e<strong>in</strong> Jahr<br />
vor <strong>der</strong> II. Parteikonferenz, die den „planmäßigen<br />
Aufbau des Sozialismus“ propagierte.<br />
Der Mauerbau 1961 führte zwar zu vermehrten<br />
E<strong>in</strong>weisungen <strong>in</strong> Arbeitslager und auch<br />
Jugendwerkhöfe, dieser Effekt wurde jedoch<br />
überlagert durch die Folgen <strong>der</strong> Schulreform<br />
596 Vgl. Statistisches Amt <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> (Hrsg.):<br />
Statistisches Jahrbuch <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. Jahrgänge 1951 bis<br />
1972.<br />
von 1959, die Kampagnen gegen die Jugendmusikkulturen<br />
und die E<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> Industrie-Jugendwerkhöfe.<br />
Die Reorganisation<br />
des Heimsystems <strong>der</strong> Jugendhilfe zu e<strong>in</strong>em<br />
dreistufigen System <strong>der</strong> Diszipl<strong>in</strong>ierung war<br />
bereits beschlossen, bevor sich auf dem 11.<br />
Plenum des ZK <strong>der</strong> SED im Dezember 1965<br />
die Rückkehr zur repressiven Jugendpolitik<br />
durchsetzte. In <strong>der</strong> Folge des 11. Plenums<br />
stiegen die E<strong>in</strong>weisungszahlen dann um<br />
15 Prozent. Die auf dem VIII. Parteitag <strong>der</strong><br />
SED im Jahr 1971 verkündete „E<strong>in</strong>heit von<br />
Wirtschafts- und Sozialpolitik“ hatte erst<br />
im Juni 1974 mit <strong>der</strong> „Internen Weisung des<br />
M<strong>in</strong>isterrates <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> zur Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
Situation <strong>in</strong> den Heimen <strong>der</strong> Jugendhilfe“<br />
Auswirkungen auf den Alltag <strong>in</strong> den Heimen.<br />
Im Bereich <strong>der</strong> Normalheime und zum<strong>in</strong>dest<br />
teilweise <strong>der</strong> Spezialheime s<strong>in</strong>d Trends zu<br />
diagnostizieren, welche sich im Gegensatz<br />
zur chronischen F<strong>in</strong>anznot <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> seit <strong>der</strong><br />
zweiten Ölkrise 1979 etabliert haben. Die<br />
letzte Reform <strong>der</strong> Heimstrukturen von 1987,<br />
die nur die Spezialheime erfasste, erklärt sich<br />
zum e<strong>in</strong>en aus Sparzwängen, zum an<strong>der</strong>en<br />
aus dem Versuch, zulasten <strong>der</strong> Heilpädagogik<br />
neue Ressourcen für die Umerziehung zu<br />
erschließen. Aus dieser Zeit s<strong>in</strong>d auch vier<br />
Pilotprojekte <strong>in</strong> Jugendwerkhöfen bekannt,<br />
welche neben e<strong>in</strong>er dreijährigen Berufsausbildung<br />
verstärkt auf e<strong>in</strong>e Erziehung zur<br />
Sozialkompetenz setzten. 597<br />
1. Historische Anknüpfung und<br />
Abgrenzung<br />
In ihrer Selbstdarstellung erhob die <strong>Heimerziehung</strong><br />
<strong>der</strong> Jugendhilfe 1986 den Anspruch,<br />
die Traditionen <strong>der</strong> Arbeiterbewegung<br />
und fortschrittlicher bürgerlicher<br />
Pädagogen produktiv aufgenommen zu<br />
haben. 598 Untermauert wurde dieser Anspruch<br />
allerd<strong>in</strong>gs lediglich mit e<strong>in</strong>em kurzen<br />
Verweis auf die kommunistische Kritik am<br />
Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922. Die<br />
597 Rudolf Grohmann, Jugendwerkhof Siethen,<br />
Kreis Zossen (Zuarbeit zum IX. Pädagogischen<br />
Kongress, Frühjahr 1989). In: BArch DR 2/11747.<br />
598 Autorenkollektiv, 1984, S. 12.<br />
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