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Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

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Erziehungsvorstellungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

bei zentralen Verteilungen von Lehrmitteln<br />

wurden alle Spezialheime gleichermaßen<br />

(Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime mit POS und Hilfsschule,<br />

Son<strong>der</strong>heime) benachteiligt. Turnhallen<br />

z. B. fehlten <strong>in</strong> den Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen<br />

im Regelfall.<br />

Das Ausbildungsziel <strong>in</strong> den Spezialheimen<br />

sollte seit <strong>der</strong> Schulreform 1959 die<br />

10. Klasse se<strong>in</strong>. Dieses Ziel wurde für die<br />

Jugendwerkhöfe nur wenige Jahre später<br />

wie<strong>der</strong> aufgegeben. Unter den Spezialheimen<br />

führten nur e<strong>in</strong>ige bis zur 10. Klasse. Der<br />

Heimaufenthalt hatte jedoch zumeist e<strong>in</strong>en<br />

beträchtlichen schulischen Leistungsabfall<br />

<strong>der</strong> Insassen zur Folge. Das führte Mitte <strong>der</strong><br />

1980er-Jahre dazu, dass langjährige Heimbewohner<br />

<strong>der</strong> Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime <strong>der</strong>artig<br />

Rückstände aufwiesen, dass das Ausbildungsziel<br />

<strong>der</strong> 10. Klasse mehrheitlich nicht erreicht<br />

werden konnte. 446 Im Jahr 1986 führten<br />

von 30 Heimen (mit POS) nur acht <strong>in</strong> ihren<br />

Schulen bis zur 10. Klasse. Im gleichen Jahr<br />

schlug das M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung vor,<br />

die 9. und 10. Klassen <strong>in</strong> den Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen<br />

ganz abzuschaffen. E<strong>in</strong>e Umstrukturierung<br />

o<strong>der</strong> Aufstockung des Personals<br />

wurde nicht für möglich erachtet. 447 Zu<br />

berücksichtigen ist hier, dass e<strong>in</strong>e Reihe von<br />

Insassen mit Vollendung des 14. Lebensjahres<br />

(8. Klasse) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Jugendwerkhof<br />

überstellt werden konnten. Die Klassenfrequenz<br />

<strong>in</strong> Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen war Mitte <strong>der</strong><br />

1980er-Jahre auf 15 Schüler festgelegt. 448 Ob<br />

diese Vorgaben e<strong>in</strong>gehalten wurden, konnte<br />

nicht überprüft werden.<br />

Rep. 401 RdB Pdm, Nr. 24499.<br />

446 Probleme <strong>der</strong> Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime(Aussprache<br />

mit den Genossen Stricker und Butker am<br />

27. März 1985) vom 29. März 1985. In: BArch DR<br />

2/12190.<br />

447 Leiter <strong>der</strong> Abteilung Jugendhilfe und<br />

<strong>Heimerziehung</strong>: Analyse und Standpunkte zur<br />

weiteren Entwicklung <strong>der</strong> politisch-pädagogischen<br />

Arbeit <strong>in</strong> den Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen (ohne Datum,<br />

1986). In: BArch DR 2/12190.<br />

448 Leiter <strong>der</strong> Abteilung Jugendhilfe und<br />

<strong>Heimerziehung</strong>: Analyse und Standpunkte zur<br />

weiteren Entwicklung <strong>der</strong> politisch-pädagogischen<br />

Arbeit <strong>in</strong> den Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen (ohne Datum,<br />

1986). In: BArch DR 2/12190.<br />

Im März 1988 wurde e<strong>in</strong>er Mutter auf<br />

Anfrage mitgeteilt, dass die schulische<br />

Bildung ihres K<strong>in</strong>des im Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heim<br />

mit dem Abschluss <strong>der</strong> 8. Klasse beendet<br />

sei. Der Abschluss <strong>der</strong> 10. Klasse für ihren<br />

Sohn wurde davon abhängig gemacht, dass<br />

„<strong>der</strong> erfolgreiche Umerziehungsprozess im<br />

Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heim e<strong>in</strong>e Verlegung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

solche E<strong>in</strong>richtung (Normalheim, Zus. d. Vf.)<br />

rechtfertigt und die entsprechende Lernhaltung<br />

und Führbarkeit im Klassenverband<br />

gegeben ist“. 449<br />

Die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tradition <strong>der</strong> Lan<strong>der</strong>ziehungsheime<br />

stehende, relativ breite handwerkliche<br />

Ausbildung wurde im Laufe <strong>der</strong> 1950er-Jahre<br />

(vermutlich gegen den Wi<strong>der</strong>stand e<strong>in</strong>zelner<br />

Jugendwerkhöfe) e<strong>in</strong>gestellt. 450 Die Bandbreite<br />

<strong>der</strong> beruflichen Ausbildung variierte <strong>in</strong><br />

dieser Zeit zwischen e<strong>in</strong>er soliden Ausbildung<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gefragten handwerklichen Beruf<br />

und e<strong>in</strong>er Sche<strong>in</strong>ausbildung als „Anlernl<strong>in</strong>g“<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Produktionsbetrieb. Seit 1965<br />

konnte e<strong>in</strong>e Ausbildung als Teilfacharbeiter<br />

erreicht werden. Die Jugendwerkhöfe, die <strong>in</strong><br />

Regionen mit Arbeitskräftemangel e<strong>in</strong>gerichtet<br />

worden waren, kamen Mitte bis Ende <strong>der</strong><br />

1960er-Jahre ihrer Pflicht zur beruflichen<br />

Ausbildung im Regelfall gar nicht, <strong>in</strong> Ausnahmefällen<br />

ungenügend nach. 451 Diese Situation<br />

än<strong>der</strong>te sich auch nach <strong>der</strong> Übergabe <strong>der</strong><br />

Jugendwerkhöfe <strong>in</strong> die Verantwortung <strong>der</strong><br />

Bezirke nicht. Berichte aus dieser Zeit belegen<br />

zwar <strong>in</strong>tensive Bemühungen um die Diszipl<strong>in</strong>ierung<br />

und ideologische Schulung <strong>der</strong><br />

Insassen, die berufliche Ausbildung wurde<br />

aber oftmals nicht thematisiert. Statt von<br />

e<strong>in</strong>er Berufsausbildung <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen<br />

wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Anordnung vone<strong>in</strong>er<br />

449 E<strong>in</strong>gabe zur Ausbildung <strong>in</strong> den Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen<br />

und Jugendwerkhöfen. Anfrage zur<br />

Ausbildung <strong>in</strong> Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen vom 18. März<br />

1988. In: BArch DR 2/51103 Teil 2.<br />

450 Verordnung über die Berufsausbildung<br />

und schulische För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Jugendlichen <strong>in</strong> den<br />

Jugendwerkhöfen vom 31. Juli 1952. In: GBl. <strong>DDR</strong>,<br />

Nr. 107/1952, S. 695.<br />

451 Information über die Lage <strong>in</strong> den<br />

Jugendwerkhöfen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> (um 1963). In: BArch<br />

SAPMO DY 30/IV A 2/9.05.<br />

„beruflichen Qualifizierung“ gesprochen. 452<br />

In den Jugendwerkhöfen wurden <strong>in</strong> den<br />

1960er-Jahren alle bestehenden Arbeitsverhältnisse<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong>artige Lehrverhältnisse<br />

umgewandelt, wobei die zu leistende Arbeit<br />

<strong>in</strong> etwa gleich blieb, ergänzt durch e<strong>in</strong>ige<br />

theoretische Ausbildungsstunden. Im Gegenzug<br />

erhielten die Heimbewohner nicht mehr<br />

den tariflichen Lohn (<strong>der</strong> ihnen auch nur mit<br />

erheblichen Abzügen ausgezahlt wurde), son<strong>der</strong>n<br />

e<strong>in</strong> Lehrl<strong>in</strong>gsentgelt, von dem dennoch<br />

Miete, Unterhalt und weitere Ausgaben zu<br />

bestreiten waren.<br />

Trotz gelegentlicher normativer Verän<strong>der</strong>ungen<br />

– so erhielten die Teilberufe Anfang<br />

<strong>der</strong> 1980er-Jahre offizielle Berufsnummern<br />

– blieb diese Situation bis zum Ende <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

bestehen. 453 Auch <strong>der</strong> Übergang zu e<strong>in</strong>er dreijährigen<br />

Teilausbildung än<strong>der</strong>te daran nichts.<br />

Sie hatte zum Ziel „e<strong>in</strong>e größere E<strong>in</strong>satzbreite<br />

im Republikmaßstab zu erreichen.“ 454<br />

Das e<strong>in</strong>zige Zugeständnis an die Insassen bestand<br />

dar<strong>in</strong>, sie nach Möglichkeit nicht mehr<br />

zu e<strong>in</strong>er Ausbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Landwirtschaft zu<br />

zw<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong>ige Berichte erwecken allerd<strong>in</strong>gs<br />

den E<strong>in</strong>druck, e<strong>in</strong>zelne Jugendwerkhöfe<br />

seien zu e<strong>in</strong>er vollwertigen Facharbeiterausbildung<br />

übergegangen. Dieser E<strong>in</strong>druck<br />

kann nur durch Befragung von Zeitzeugen<br />

verifiziert werden. Berichte aus dieser Zeit<br />

thematisieren sehr selten die Schwierigkeiten<br />

und Folgen <strong>der</strong> Teilausbildung, son<strong>der</strong>n betonen<br />

den erarbeiteten volkswirtschaftlichen<br />

Nutzen. In den 1980er-Jahren dienten die<br />

Leistungen <strong>der</strong> Insassen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Produktion<br />

<strong>der</strong> Hebung <strong>der</strong> Akzeptanz von Jugendwerkhöfen<br />

unter <strong>der</strong> Bevölkerung. 455<br />

452 Anordnung über die Spezialheime <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe vom 22. April 1965 (und Berichtigung<br />

vom 4. September 1965). In: GBl. <strong>DDR</strong> II, Nr. 53 vom<br />

17. Mai 1965, S. 368.<br />

453 Anordnung über die Berufsausbildung<br />

Jugendlicher <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen vom<br />

1. September 1980. In: GBl. I, Nr. 18/1980, S. 167.<br />

454 Schuljahresanalyse 1988/1989 vom 21. Juni<br />

1989. In: BLHA Rep. 401 RdB Pdm, Nr. 24489.<br />

455 Rudolf Grohmann, Jugendwerkhof Siethen,<br />

Kreis Zossen (Zuarbeit zum IX. Pädagogischen<br />

Kongress). In: BArch DR 2/11747.<br />

4.5 Spezielle Erziehungsvorstellungen und<br />

Methoden<br />

Nach Makarenko ruhte die Erziehung straffälliger<br />

und schwieriger Jugendlicher auf vier<br />

Säulen: Bildung, Arbeitserziehung, Gestaltung<br />

<strong>der</strong> Freizeit und kollektive Selbsterziehung.<br />

456 In den Heimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> wurde zur<br />

Erziehung vorrangig Kollektiv- und Arbeitserziehung<br />

betrieben. Es lassen sich zudem<br />

auch weitere Methoden <strong>der</strong> Erziehung f<strong>in</strong>den,<br />

die sich zum Teil an Makarenko anlehnen<br />

und e<strong>in</strong>e eigene Ausgestaltung erfuhren, zum<br />

Teil aber nicht von Makarenko stammen, wie<br />

das System <strong>der</strong> Isolation. Drei an Makarenko<br />

angelehnte Methoden (Diszipl<strong>in</strong>erziehung,<br />

System von Lob und Strafe) sollen im Folgenden<br />

<strong>in</strong> ihrer Anwendung unter Heimbed<strong>in</strong>gungen<br />

beschrieben werden.<br />

4.5.1 Diszipl<strong>in</strong>erziehung<br />

In den K<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> wurde versucht,<br />

e<strong>in</strong>e Vorstellung von Diszipl<strong>in</strong> umzusetzen,<br />

die wenig mit dem geme<strong>in</strong> hat, was<br />

umgangssprachlich darunter verstanden<br />

wird. Dazu zählt <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Konzeption<br />

von „passiver“ und „aktiver“ Diszipl<strong>in</strong>.<br />

Von Eberhard Mannschatz wurde Diszipl<strong>in</strong><br />

als e<strong>in</strong>e zentrale Grundkategorie des<br />

menschlichen Zusammenlebens def<strong>in</strong>iert:<br />

„Wir streben bewusste Diszipl<strong>in</strong> an; und damit<br />

me<strong>in</strong>en wir, dass die K<strong>in</strong><strong>der</strong> um die Notwendigkeit<br />

<strong>der</strong> Diszipl<strong>in</strong> wissen müssen. Die zw<strong>in</strong>gende<br />

Logik und das politische Wesen <strong>der</strong> Diszipl<strong>in</strong><br />

sollte ihnen bekannt se<strong>in</strong>.“<br />

Weiter heißt es:<br />

„Diszipl<strong>in</strong> ist <strong>in</strong> unserer Gesellschaft e<strong>in</strong>e<br />

moralische Kategorie und damit vor allem<br />

Ergebnis (und nicht nur Voraussetzung) <strong>der</strong><br />

komplexen Erziehungsarbeit. (…) Sie ist gekennzeichnet<br />

durch schöpferische Aktivität aus<br />

Verantwortung für das gesellschaftliche Ganze,<br />

456 Bericht vom 7. Januar 1963 über die Lage an<br />

den Jugendwerkhöfen des Bezirkes Cottbus. In: BLHA<br />

Rep. 801 RdB Ctb, Nr. 20888/1.<br />

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