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Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

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Rechtsfragen <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

nicht bekannt. 263 Man weiß von ihr nur, weil<br />

sie kritisiert wurde bzw. entsprechende Entscheidungen<br />

aufgehoben wurden. 264 Abgesehen<br />

davon fehlt es an Erkenntnissen darüber,<br />

nach welchen Kriterien über diese Heimaufenthalte<br />

entschieden wurde und wie häufig<br />

sie vorkamen.<br />

5.1.2.3 Die Jahre 1968 bis 1989<br />

Von den familien- und jugendrechtlichen<br />

Reformen <strong>der</strong> Jahre 1965 und 1966 blieb<br />

das Jugendstrafrecht weitgehend unberührt.<br />

Grundlegende Verän<strong>der</strong>ungen ergaben sich<br />

jedoch aus <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung des Strafgesetzbuches<br />

<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> (StGB-<strong>DDR</strong>) im Jahr 1968. Mit<br />

dieser Reform wurde das Jugendstrafrecht<br />

komplett <strong>in</strong> das allgeme<strong>in</strong>e Strafgesetzbuch<br />

<strong>in</strong>tegriert, das bisherige JGG trat außer<br />

Kraft.<br />

5.1.2.3.1 Abschaffung <strong>der</strong> gerichtlichen<br />

E<strong>in</strong>weisungskompetenz<br />

Die frühere Regelung des § 14 JGG, nach <strong>der</strong><br />

die Strafgerichte selbst im Urteil die E<strong>in</strong>weisung<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Jugendwerkhof verfügen<br />

konnten, wurde ersatzlos gestrichen. Es gab<br />

mith<strong>in</strong> nach 1968 ke<strong>in</strong>e gerichtlichen E<strong>in</strong>weisungen<br />

<strong>in</strong> Heime <strong>der</strong> Jugendhilfe mehr.<br />

Die Möglichkeit, von <strong>der</strong> Strafverfolgung<br />

abzusehen, wenn die Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

erzieherische Maßnahmen – wie die Anordnung<br />

<strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> – ergriffen hatten,<br />

blieb im neuen Strafrecht dagegen bestehen.<br />

263 Für die Zeit nach 1967 evtl. „Geme<strong>in</strong>same<br />

Anweisung über die Zusammenarbeit <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft,<br />

<strong>der</strong> Organe des Innern und <strong>der</strong> Organe<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe im Ermittlungsverfahren gegen<br />

jugendliche Rechtsverletzer und bei <strong>der</strong> Durchsetzung<br />

weiterer Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung <strong>der</strong><br />

Jugendkrim<strong>in</strong>alität“ vom 6.2.1967, BStU MfS HA XX<br />

Nr. 2206, S. 56 ff., Ziff. 3.2: Verpflichtung <strong>der</strong> Organe<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe, für den Jugendlichen e<strong>in</strong>e geeignete<br />

Unterkunft bereitzuhalten, wenn er nicht <strong>in</strong>s Elternhaus<br />

zurückkehren kann.<br />

264 Sachse 2010, 130 m. N. Siehe auch die kritischen<br />

Bemerkungen bei Fräbel 1958, 171.<br />

5.1.2.3.2 Absehen von Strafe wegen<br />

ausreichen<strong>der</strong> erzieherischer Maßnahmen<br />

Waren die Jugendlichen strafrechtlich<br />

verantwortlich (§ 66 StGB-<strong>DDR</strong>), konnten<br />

die Staatsanwaltschaft (§ 67 Abs. 1) o<strong>der</strong> die<br />

Gerichte (§ 68) von <strong>der</strong> weiteren Strafverfolgung<br />

absehen, wenn die Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

bereits ausreichende erzieherische<br />

Maßnahmen ergriffen hatten. Die Jugendhilfe<br />

musste also bereits tätig geworden se<strong>in</strong>,<br />

bevor das Verfahren e<strong>in</strong>gestellt wurde. Das<br />

Absehen von Strafverfolgung war bei strafrechtlich<br />

verantwortlichen Jugendlichen<br />

nur möglich, wenn sie den Tatbestand e<strong>in</strong>es<br />

Vergehens erfüllt hatten und ihre Tat nicht<br />

als erheblich gesellschaftswidrig e<strong>in</strong>geordnet<br />

wurde. Letzteres wurde angenommen, wenn<br />

we<strong>der</strong> die Schuld des Jugendlichen noch die<br />

Folgen <strong>der</strong> Tat schwerwiegend erschienen<br />

bzw. wenn es ausreichte, <strong>der</strong> Tat mit erzieherischen<br />

Maßnahmen zu begegnen. 265 Das<br />

del<strong>in</strong>quente Verhalten <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

musste zudem <strong>der</strong> Ausdruck e<strong>in</strong>er „sozialen<br />

Fehlentwicklung“ se<strong>in</strong>, womit e<strong>in</strong> verfestigtes<br />

Fehlverhalten <strong>der</strong> Jugendlichen, also<br />

wie<strong>der</strong>holte Straftaten o<strong>der</strong> auch häufige<br />

Diszipl<strong>in</strong>verstöße, geme<strong>in</strong>t war. 266 Erzieherische<br />

Maßnahmen waren also für Jugendliche<br />

gedacht, die ger<strong>in</strong>gfügig straffällig und<br />

erzieherisch bedürftig waren. Nicht <strong>in</strong> dieses<br />

Schema passt die Praxis, von <strong>der</strong> aus den<br />

1970er-Jahren berichtet wird: Jugendliche,<br />

die eigentlich wegen „Schwererziehbarkeit“<br />

im Heim untergebracht werden sollten,<br />

wurden strafrechtlich wegen „asozialen<br />

Verhaltens“ nach § 249 StGB 1968 verurteilt,<br />

weil <strong>in</strong> den Heimen gerade ke<strong>in</strong>e Plätze frei<br />

waren. Dieses Vorgehen wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur<br />

als unzulässig kritisiert. 267<br />

Rechtsfolge des Absehens von <strong>der</strong> Verfolgung<br />

nach §§ 67 und 68 StGB 1968 war<br />

die Verfahrense<strong>in</strong>stellung (§§ 75 Abs. 1, 76<br />

265 M<strong>in</strong>isterium für Justiz 1969, 252. Ähnlich<br />

Goldenbaum & Koblischke 1968, 331.<br />

266 Goldenbaum & Koblischke 1968, 331; siehe<br />

auch Eich 2008, 32.<br />

267 Schilde & Reuter 1972, 182.<br />

StPO-<strong>DDR</strong>). 268 Zuständig für die Anordnung<br />

<strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> waren die Organe <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe nach den allgeme<strong>in</strong>en Bestimmungen.<br />

Wie auch schon <strong>in</strong> den Jahren zuvor,<br />

schlossen die Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe <strong>in</strong><br />

diesen Fällen häufig Erziehungsverträge mit<br />

den Eltern. 269<br />

5.1.2.3.3 Anordnung <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong><br />

bei fehlen<strong>der</strong> strafrechtlicher<br />

Verantwortung<br />

Auch nach 1968 konnten die Organe <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe gegenüber del<strong>in</strong>quenten Jugendlichen<br />

die <strong>Heimerziehung</strong> anordnen,<br />

wenn diese nicht strafrechtlich verantwortlich<br />

waren. In diesen Fällen fand nun ke<strong>in</strong>e<br />

Hauptverhandlung mehr statt, son<strong>der</strong>n das<br />

Verfahren wurde e<strong>in</strong>gestellt. Die Organe <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe mussten über die E<strong>in</strong>stellung<br />

<strong>in</strong>formiert werden, und diese konnten dann<br />

nach den allgeme<strong>in</strong>en Regeln erzieherische<br />

Maßnahmen anordnen. 270 Nach <strong>in</strong>ternen<br />

Anweisungen hatten die Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

dabei „davon auszugehen, daß das gesellschaftswidrige<br />

(objektiv e<strong>in</strong>e Strafrechtsnorm<br />

verletzende) Verhalten des jugendlichen Täters <strong>in</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung mit dem Nichtvorliegen <strong>der</strong> Schuldfähigkeit<br />

zu e<strong>in</strong>er Erziehungssituation führen<br />

kann, die sich negativ auf die Persönlichkeitsentwicklung<br />

auswirkt o<strong>der</strong> die weitere Erziehung<br />

o<strong>der</strong> Entwicklung gefährden kann.“ 271 Aus <strong>der</strong><br />

Del<strong>in</strong>quenz wurde folglich im Regelfall die<br />

Notwendigkeit weiterer erzieherischer E<strong>in</strong>wirkung<br />

geschlussfolgert. Die Sache konnte<br />

aber auch an die gesellschaftlichen Gerichte<br />

übergeben werden (ebd., Ziff. 2.3). Die gesellschaftlichen<br />

Gerichte (Schiedskommissionen,<br />

Konfliktkommissionen) waren betriebliche<br />

268 Goldenbaum 1973, 332.<br />

269 Sachse 2010, 131.<br />

270 M<strong>in</strong>isterium <strong>der</strong> Justiz 1969, 251.<br />

271 Geme<strong>in</strong>same Anweisung über die Zusammenarbeit<br />

<strong>der</strong> StA, <strong>der</strong> Untersuchungsorgane des<br />

MdI und <strong>der</strong> Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe bei <strong>der</strong> Bekämpfung<br />

<strong>der</strong> Jugendkrim<strong>in</strong>alität und zur Sicherung <strong>der</strong><br />

Erziehung und Entwicklung gefährdeter K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />

Jugendlicher v. 15.6.1968, BStU MfS BdL/Dok. Nr.<br />

015029, Ziff. 2.2.1.<br />

E<strong>in</strong>richtungen, die leichte Verfehlungen mit<br />

leichten Sanktionen (Verwarnung, Entschuldigung,<br />

Schadenswie<strong>der</strong>gutmachung)<br />

ahnden konnten.<br />

5.1.2.3.4 Vorläufige Heime<strong>in</strong>weisung<br />

während strafrechtlicher Ermittlungen<br />

Die Geme<strong>in</strong>same Anweisung über die vorläufige<br />

Heime<strong>in</strong>weisung Jugendlicher während<br />

e<strong>in</strong>es laufenden Ermittlungsverfahren (s. o.<br />

Kap. 5.2.2.3) wurde im Jahr 1968 abgeän<strong>der</strong>t.<br />

Sie enthielt nun ke<strong>in</strong>e ausdrückliche<br />

Befugnis <strong>der</strong> Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe mehr,<br />

Jugendliche vorläufig <strong>in</strong>s Heim e<strong>in</strong>zuweisen.<br />

Die allgeme<strong>in</strong>e Ermächtigung, während e<strong>in</strong>es<br />

Ermittlungsverfahrens die „notwendigen<br />

Maßnahmen“ e<strong>in</strong>zuleiten, schließt aber den<br />

Erlass vorläufiger Regelungen nach § 22<br />

JHVO vermutlich e<strong>in</strong>. 272<br />

5.1.3 Freiwillige Erziehungsverträge<br />

Insbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> den 1950er-Jahren kam<br />

e<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> Heime<strong>in</strong>weisungen auf <strong>der</strong><br />

Grundlage sogenannter „freiwilliger Erziehungsverträge“<br />

zwischen den Erziehungsberechtigten<br />

und den Organen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

zustande. Gesetzliche Grundlagen für diese<br />

Vere<strong>in</strong>barungen gab es nur <strong>in</strong> Sachsen (§ 26<br />

Wohlfahrtsgesetz) und Brandenburg (§§ 2,<br />

3 <strong>der</strong> Verordnung über öffentliche Jugendhilfe);<br />

dass sie zulässig waren, wurde jedoch<br />

<strong>in</strong> allen Regionen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> angenommen. 273<br />

In Brandenburg galt allgeme<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Vorrang<br />

freiwilliger Vere<strong>in</strong>barungen vor erzieherischen<br />

Maßnahmen (§§ 2, 3 Verordnung über<br />

öffentliche Jugendhilfe). Im Übrigen wurde<br />

auf die Verfahrensvorschriften des RJWG<br />

verwiesen (§ 5 <strong>der</strong> Verordnung). In Sachsen<br />

konnten die Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe e<strong>in</strong>en<br />

272 Geme<strong>in</strong>same Anweisung über die Zusammenarbeit<br />

<strong>der</strong> StA, <strong>der</strong> Untersuchungsorgane des<br />

MdI und <strong>der</strong> Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe bei <strong>der</strong> Bekämpfung<br />

<strong>der</strong> Jugendkrim<strong>in</strong>alität und zur Sicherung <strong>der</strong><br />

Erziehung und Entwicklung gefährdeter K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />

Jugendlicher v. 15.6.1968, BStU MfS BdL/Dok. Nr.<br />

015029, Ziff. 1.2.1.<br />

273 M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung 1953, 28.<br />

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