Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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Rechtsfragen <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
zugewiesen werden konnte, die aber auch nicht<br />
an ihrem bisherigen Aufenthaltsort bleiben<br />
konnten (§ 2 Abs. 2 <strong>der</strong> Anweisung). Auch M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährige,<br />
die von e<strong>in</strong>em Heim <strong>in</strong> e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es<br />
gebracht werden sollten, konnten kurzfristig,<br />
möglichst nicht über Nacht, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Durchgangsheim<br />
untergebracht werden (§ 2 Abs. 5<br />
<strong>der</strong> Anweisung). Schließlich konnte die Volkspolizei<br />
sogenannte „aufgegriffene“ Jugendliche<br />
<strong>in</strong> Durchgangsheimen unterbr<strong>in</strong>gen (§ 2 Abs. 7<br />
Satz 2 <strong>der</strong> Anweisung).<br />
In <strong>der</strong> Praxis entwickelten sich die Durchgangsheime<br />
zu E<strong>in</strong>richtungen, <strong>in</strong> die relativ<br />
willkürlich K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche e<strong>in</strong>gewiesen<br />
wurden, die auf frischer Tat bei e<strong>in</strong>er<br />
Diszipl<strong>in</strong>verletzung o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Straftat ertappt<br />
wurden, die von zu Hause ausgerissen waren<br />
o<strong>der</strong> die versucht hatten, die <strong>DDR</strong> zu verlassen.<br />
117 Daneben wurden die Durchgangsstationen<br />
ohne klare Rechtsgrundlage auch als<br />
Arrest und als Untersuchungshaft für K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
und Jugendliche verwendet; die E<strong>in</strong>weisung<br />
erfolgte dann durch die Polizei o<strong>der</strong> die<br />
Staatsanwaltschaft.<br />
Nach <strong>der</strong> „Anweisung über Aufgaben und<br />
Arbeitsweisen <strong>der</strong> Durchgangsheime <strong>der</strong> Jugendhilfe“<br />
aus dem Jahr 1985 118 war nur noch<br />
für K<strong>in</strong><strong>der</strong> über zehn Jahren e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>weisung<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Durchgangsheim vorgesehen (§ 3 Abs.<br />
1). K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Normalo<strong>der</strong><br />
Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heim aufgenommen werden<br />
sollten, sollten nicht mehr <strong>in</strong> die Durchgangsheime<br />
gebracht werden (§ 3 Abs. 2). Offenbar<br />
sollte die Praxis, die Durchgangsheime als<br />
Zwischenlösung für K<strong>in</strong><strong>der</strong>, für die noch ke<strong>in</strong><br />
Heimplatz zur Verfügung stand, abgebaut<br />
werden. Im Jahr 1989 wurden die Durchgangsheime<br />
aufgelöst. 119 „Aufgegriffene“ K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollten<br />
nun <strong>in</strong> „Aufnahmeheimen“ untergebracht<br />
117 Vgl. Zimmermann 2004, 252.<br />
118 v. 25.4.1985, BStU MfS HA IX Nr. 18754,<br />
S. 38-46.<br />
119 Zimmermann 2004, 256. In Berl<strong>in</strong> muss es<br />
aber noch e<strong>in</strong> Durchgangsheim gegeben haben, siehe<br />
die Fußnote bei § 3 Abs. 1 <strong>der</strong> „Anweisung Nr. 11/87<br />
über Aufgaben und Arbeitsweisen bei <strong>der</strong> Aufnahme,<br />
Unterbr<strong>in</strong>gung und Rückführung aufgegriffener<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlicher“ v. 3.11.1987, mit Sicherheitsbestimmungen,<br />
BStU MfS HA IX 4465, BLHA Rep.<br />
401 RdB Nr. 24492.<br />
werden. In diese Heime sollten nur K<strong>in</strong><strong>der</strong> über<br />
zehn Jahren aufgenommen werden (§ 3 Abs. 3<br />
<strong>der</strong> Anweisung). Die Aufnahme zum Zwecke<br />
strafrechtlicher Ermittlungen (Untersuchungshaft)<br />
war verboten (§ 3 Abs. 4).<br />
(4) Im Zuständigkeitsbereich des M<strong>in</strong>isteriums<br />
für Volksbildung lagen nach 1964 die<br />
sogenannten „Son<strong>der</strong>heime“ (vgl. § 5 Abs. 2 <strong>der</strong><br />
Anordnung über die Spezialheime). Dies waren:<br />
(a) Das „Komb<strong>in</strong>at <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>heime für Psychodiagnostik“,<br />
<strong>in</strong>sgesamt fünf E<strong>in</strong>richtungen<br />
<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, die für K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche im<br />
Alter von sechs bis 18 Jahren gedacht waren. 120<br />
Das Komb<strong>in</strong>at gehörte <strong>in</strong> die Kategorie <strong>der</strong> Spezialheime<br />
und nahm K<strong>in</strong><strong>der</strong> im Alter von sechs<br />
bis 18 Jahren auf. Voraussetzung war, dass<br />
die K<strong>in</strong><strong>der</strong> psychische Störungen zeigten, „die<br />
e<strong>in</strong>er psychodiagnostischen Abklärung und päd.-<br />
psychologischen Therapie dr<strong>in</strong>gend bedürfen“. 121<br />
Außerdem musste die <strong>Heimerziehung</strong> nach den<br />
Vorschriften des FGB und <strong>der</strong> JHVO angeordnet<br />
worden se<strong>in</strong>.<br />
(b) Das zentrale Aufnahme- und Beobachtungsheim<br />
Eilenburg, das ursprünglich alle<br />
E<strong>in</strong>weisungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Spezialheim prüfen und<br />
die Betroffenen auf die entsprechenden E<strong>in</strong>richtungen<br />
verteilen sollte (vgl. § 3 <strong>der</strong> „Anordnung<br />
über die Spezialheime“). Schon im ersten<br />
Jahr se<strong>in</strong>es Bestehens war das Heim jedoch<br />
völlig überlastet. Über das weitere Schicksal<br />
dieses Heimes herrscht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Forschungsliteratur<br />
Une<strong>in</strong>igkeit. Nach Zimmermann kehrte man<br />
im Jahr 1965 zu <strong>der</strong> Praxis zurück, die E<strong>in</strong>weisungen<br />
<strong>in</strong> Spezialheime unmittelbar durch<br />
die Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe vorzunehmen und<br />
nach Eilenburg nur noch Zweifelsfälle zu schicken.<br />
122 Bauer und Bösenberg dagegen schreiben<br />
dem Aufnahmeheim <strong>in</strong> Eilenburg noch <strong>in</strong> den<br />
späten 1970er-Jahren e<strong>in</strong>e zentrale Rolle bei<br />
<strong>der</strong> Verteilung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen<br />
zu. 123<br />
120 Vgl. Sachse 2010, 64; Zimmermann 2004,<br />
249. Zur Rehabilitierung von Insassen des Komb<strong>in</strong>ats<br />
vgl. BVerfG, 13.5.2009 – 2 BvR 718/08.<br />
121 Arbeitsordnung für Aufnahme, Verlegung<br />
und Entlassungen von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />
(Komb<strong>in</strong>at Son<strong>der</strong>heime), ohne Datum, vermutlich<br />
1966, BArch DR 2/28167.<br />
122 Vgl. Zimmermann 2004, 249 und 259 f. m. N.<br />
123 Bauer & Bösenberg 1979, 65.<br />
(c) Der geschlossene Jugendwerkhof Torgau,<br />
<strong>der</strong> mit dem oben genannten M<strong>in</strong>isterratsbeschluss<br />
e<strong>in</strong>gerichtet wurde. Die E<strong>in</strong>weisung<br />
nach Torgau war vor allem als Diszipl<strong>in</strong>arstrafe<br />
für K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche aus an<strong>der</strong>en<br />
Spezialheimen gedacht; es war jedoch<br />
auch e<strong>in</strong>e unmittelbare E<strong>in</strong>weisung möglich.<br />
In Torgau lebten Jugendliche und junge Erwachsene<br />
im Alter von 14 bis 20 Jahren. Die<br />
gefängnisartigen, gewalttätigen und menschenunwürdigen<br />
Zustände <strong>in</strong> Torgau werden<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Gedenkstätte „Geschlossener Jugendwerkhof<br />
Torgau“, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Forschungsliteratur<br />
und auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rechtsprechung h<strong>in</strong>reichend<br />
dokumentiert.<br />
Zuständig für die Verwaltung dieser Heime<br />
war die „Zentralstelle für Spezialheime“ im<br />
M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung (vorher „Zentrale<br />
Lenkungsstelle“ und „Zentralstelle für<br />
Jugendhilfe“; nach § 1 Abs. 4 des Statuts <strong>der</strong><br />
Zentralstelle hatte sie ihren Sitz <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> 124 ).<br />
Nach <strong>der</strong> Anordnung über die Spezialheime<br />
war sie jedenfalls ab 1965 auch für die E<strong>in</strong>weisungen<br />
nach Torgau unmittelbar zuständig<br />
(§ 2 Abs. 3, Verfahren: Antrag des Leiters<br />
des Spezialheims und Entscheidung <strong>der</strong><br />
Zentralstelle).<br />
(5) Nach Hoffmann sollten nach 1974 auch<br />
die Lehrl<strong>in</strong>gswohnheime für sogenannte<br />
„gefährdete“ Jugendliche sowie für Heimund<br />
Haftentlassene genutzt werden. Die<br />
von ihm zitierte Rechtsgrundlage existiert<br />
unter <strong>der</strong> angegebenen Fundstelle allerd<strong>in</strong>gs<br />
nicht. 125 In <strong>der</strong> Heimordnung für Lehrl<strong>in</strong>gswohnheime<br />
(1971) wird dieser Zweck noch<br />
nicht erwähnt. 126 Hier besteht weiterer<br />
Forschungsbedarf.<br />
124 Statut <strong>der</strong> Zentralstelle für Spezialheime<br />
<strong>der</strong> Jugendhilfe. Anlage 1 zur Anordnung für Spezialheime<br />
v. 22.4.1965, GBl. 1965, 370.<br />
125 Hoffmann (1981, 148) bezieht sich auf e<strong>in</strong>e<br />
„Richtl<strong>in</strong>ie zur beruflichen Ausbildung, Erziehung und<br />
<strong>in</strong>ternatsmäßigen Betreuung gefährdeter Jugendlicher“<br />
v. 13.8.1978, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> angegebenen Fundstelle<br />
(JH 1978, 69 ff.) jedoch nicht gefunden werden kann.<br />
126 Vgl. § 2 Abs. 2 <strong>der</strong> „Anordnung zur Gestaltung<br />
des sozialistischen Geme<strong>in</strong>schaftslebens <strong>in</strong><br />
Lehrl<strong>in</strong>gswohnheimen – Heimordnung für Lehrl<strong>in</strong>gswohnheime“<br />
v. 29.11.1971, GBl. 1971, 705.<br />
4.3 Zusammenfassung<br />
Betrachtet man die Strukturen <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> über die Zeiten,<br />
so lassen sich folgende Charakteristika<br />
herausarbeiten:<br />
1. Die Jugendhilfe war staatlich und zentralistisch<br />
organisiert, d. h. es gab so gut<br />
wie ke<strong>in</strong>e nichtstaatlichen Heime, und sie<br />
wurden organisatorisch wie <strong>in</strong>haltlich vom<br />
M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung gesteuert.<br />
E<strong>in</strong>e vielfältige Heimlandschaft konnte sich<br />
unter diesen Bed<strong>in</strong>gungen nicht ausbilden.<br />
Diese Struktur unterscheidet sich erheblich<br />
von <strong>der</strong> Struktur <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>der</strong><br />
Bundesrepublik, die auch <strong>in</strong> den 1950er- und<br />
1960er-Jahren fö<strong>der</strong>al organisiert und von<br />
e<strong>in</strong>er Vielfalt aus öffentlichen und privaten,<br />
vor allem kirchlichen Trägern gekennzeichnet<br />
war.<br />
2. Die Anordnung <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong><br />
ruhte wesentlich auf den Schultern ehrenamtlicher<br />
Mitarbeiter. Diese E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>der</strong><br />
„gesellschaftlichen Kräfte“ war e<strong>in</strong> erklärtes<br />
Ziel <strong>der</strong> Staatsführung. E<strong>in</strong>e professionelle<br />
Diagnostik und e<strong>in</strong> Handeln nach fachlichen<br />
pä dagogischen Standards konnte von den<br />
Laienmitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Jugendhilfekommissionen<br />
und Jugendhilfeausschüsse jedoch nicht<br />
erwartet werden. Auch dieser Zug <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>-<br />
<strong>Heimerziehung</strong> unterscheidet sich von <strong>der</strong><br />
Situation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik <strong>der</strong> 1950erund<br />
1960- er Jahre, wo die <strong>Heimerziehung</strong><br />
durch Gerichte o<strong>der</strong> (im Falle <strong>der</strong> „freiwilligen<br />
Erziehungshilfe“) durch hauptamtliche<br />
pädagogische Kräfte <strong>in</strong> den Jugendämtern<br />
angeordnet wurde.<br />
3. Das Heimsystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> differenzierte<br />
stark zwischen „normal erziehbaren“<br />
und „schwererziehbaren“ K<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Die weiteren<br />
Ausführungen werden zeigen, dass <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
Letztere zum e<strong>in</strong>en häufig Opfer<br />
poli tisch motivierter Kampagnen gegen<br />
Jugendkulturen o<strong>der</strong> jugendtypisches Rebellionsverhalten<br />
wurden und zum an<strong>der</strong>en <strong>in</strong><br />
den E<strong>in</strong>richtungen e<strong>in</strong>er repressiven „Umerziehung“<br />
ausgesetzt waren. In <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
war e<strong>in</strong>e solche Differenzierung nicht<br />
ausdrücklich vorgeschrieben. Es gab aber<br />
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