Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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Erziehungsvorstellungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
Die Staatssicherheit hat unter Heimerziehern,<br />
Heimpersonal, Mitarbeitern <strong>der</strong><br />
Jugendhilfe, ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n IM<br />
geworben. Sie hat Berichte über Erzieher und<br />
Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> erstellen lassen und sich über<br />
bestimmte Heime <strong>in</strong>formiert. Auch bei Suizid<br />
und Suizidversuchen wurde die Staatssicherheit<br />
<strong>in</strong>formiert bzw. sie ermittelte. 117<br />
Die Staatssicherheit hat mit den M<strong>in</strong>isterien<br />
des Innern und <strong>der</strong> Justiz und <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />
im Kontext <strong>der</strong> „Bekämpfung von Krim<strong>in</strong>alität<br />
<strong>in</strong> jugendlichen Personenkreisen“<br />
zusammengearbeitet. 118<br />
Ab 1983 gab es – vermutlich vor dem<br />
H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> Ereignisse <strong>in</strong> Polen –<br />
Planungen, die Jugendwerkhöfe für den<br />
Verteidigungsfall (Ausnahmezustand) <strong>in</strong><br />
geschlossene Lager umzufunktionieren. 119<br />
Die Staatssicherheit hat sich für diesen Fall<br />
detaillierte Informationen über die Versorgungsmöglichkeiten,<br />
Energiebeschaffung<br />
und an<strong>der</strong>e logistisch wichtige Faktoren<br />
e<strong>in</strong>geholt. Im „Auskunftsbericht über<br />
die geplanten Maßnahmen <strong>der</strong> politischoperativen<br />
Sicherung des Jugendwerkhofes<br />
‚Neues Leben‘ Gerswalde (…)“ wurde über die<br />
Umgebung und Umzäunung, über die Energie-<br />
und Wasserversorgung, über Zu- und<br />
Abgangsmöglichkeiten des Geländes, über<br />
12.11.1971. In: BStU MfS BV Rostock AOP, Nr.<br />
3054/76, Bd. 1.<br />
117 Ermittlungsbericht zum Selbstmord des<br />
Schülers (Name geschwärzt), 19.01.1967, BStU MfS HA<br />
XX, Nr. 6076. Und: M<strong>in</strong>isterium für Staatssicherheit.<br />
Bezirksverwaltung Schwer<strong>in</strong>. Betr. Jugendlichen<br />
(Name geschwärzt). In: BStU MfS BV Schwer<strong>in</strong> Ref.<br />
XII, Nr. 13/69.<br />
118 Geme<strong>in</strong>same Anweisung über die<br />
Zusammenarbeit <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft, <strong>der</strong><br />
Untersuchungsorgane des M<strong>in</strong>isteriums des Innern<br />
und <strong>der</strong> Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe bei <strong>der</strong> Bekämpfung<br />
<strong>der</strong> Jugendkrim<strong>in</strong>alität und zur Sicherung <strong>der</strong><br />
Erziehung und Entwicklung gefährdeter K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />
Jugendlicher vom 15. Juni 1968. In: BStU MfS BdL/<br />
Dok., Nr. 015029.<br />
119 Anweisung Nr. 7/82 des M<strong>in</strong>isters des<br />
Innern und Chefs <strong>der</strong> Deutschen Volkspolizei über<br />
die Gewährleistung <strong>der</strong> Sicherheit und Diszipl<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Jugendlichen <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen sowie beim<br />
Arbeitse<strong>in</strong>satz vom 8.02.1983. In: BStU MfS AGM, Nr.<br />
401.<br />
die Versorgungsmöglichkeit durch die eigene<br />
Küche und über die E<strong>in</strong>satzmöglichkeiten des<br />
Personals, berichtet. Für den Verteidigungszustand<br />
wurden dann folgende Zielstellungen<br />
formuliert:<br />
1. „Gewährleistung e<strong>in</strong>er ununterbrochenen<br />
E<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong> politisch-operativen<br />
Lage.<br />
2. Zielstrebige Nutzung vorhandener und<br />
ausreichende Schaffung weiterer <strong>in</strong>offizieller<br />
Kräfte zur Lagebeherrschung.<br />
3. Differenzierte pol-op. (politisch-operativer,<br />
Zus. d. Vf.) Kontrolle bzw. Bearbeitung<br />
von Personen mit pol-op. bedeutsamen<br />
Merkmalen.<br />
4. Politisch-operative Sicherung <strong>der</strong> neuralgischen<br />
Punkte <strong>in</strong> den Objekten (...)“. 120<br />
Im Februar 1989 wurden diese Planungen<br />
aktualisiert. 121<br />
2.2 Die Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong> im<br />
System <strong>der</strong> Volksbildung<br />
Die Volksbildung beanspruchte über das eigentliche<br />
Ressort h<strong>in</strong>aus umfassende Kompetenzen<br />
zur Gestaltung <strong>der</strong> gesamten Gesellschaft.<br />
Dieser Anspruch erklärt sich aus dem<br />
breiten Aufgabengebiet, das bereits <strong>der</strong> Zentralverwaltung<br />
für Volksbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sowjetischen<br />
Besatzungszone zugewiesen worden<br />
war. Neben Bildung, Forschung und Lehre<br />
war sie auch für Presse und Verlagswesen,<br />
bildende Kunst und Museen, Literatur, Theater<br />
und Musik zuständig. Mit <strong>der</strong> Abteilung<br />
für kulturelle Aufklärung nahm die Zentralverwaltung<br />
zugleich die Aufgaben e<strong>in</strong>es<br />
Propagandam<strong>in</strong>isteriums wahr. Obwohl<br />
dem späteren M<strong>in</strong>isterium e<strong>in</strong>e Reihe dieser<br />
Kompetenzen wie<strong>der</strong> entzogen wurden, blieb<br />
120 Auskunftsbericht über geplante Maßnahmen<br />
<strong>der</strong> politisch-operativen Sicherung des<br />
Jugendwerkhofes „Neues Leben“ Gerswalde mit den<br />
Nebenstellen <strong>in</strong> Groß Fredenwalde und Suckow. In:<br />
BStU MfS BV Neubrandenburg, KD Templ<strong>in</strong>, Nr. 103.<br />
121 Erste Durchführungsbestimmung zur<br />
Verordnung Volksbildung – Jugendwerkhöfe – für den<br />
Verteidigungszustand vom 6. Februar 1989 (Entwurf).<br />
In: BStU MfS AGM, Nr. 604.<br />
<strong>der</strong> Gestaltungsanspruch erhalten. Unter<br />
diesem Blickw<strong>in</strong>kel bedeutet die nach dem<br />
Krieg vollzogene Zuordnung <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />
an das M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung mehr<br />
als e<strong>in</strong>e Zentrierung auf Bildungsfragen. Sie<br />
signalisierte den umfassenden Zugriff <strong>der</strong><br />
Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong> auf ihr Klientel,<br />
die es für den Sozialismus umzuformen galt.<br />
2.2.1 Die Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe/<br />
<strong>Heimerziehung</strong><br />
Die nach dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz<br />
e<strong>in</strong>gerichteten Jugendämter, die nach dem<br />
Ende des 2. Weltkrieges als relativ eigenständige<br />
Institutionen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Kommunen,<br />
Kreise und Län<strong>der</strong> wie<strong>der</strong> entstanden waren,<br />
wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> SBZ/<strong>DDR</strong> aufgelöst und als<br />
Fachreferate dem Apparat <strong>der</strong> Volksbildung<br />
zugeordnet.<br />
Bis Mitte <strong>der</strong> 1960er-Jahre waren die<br />
Aufgaben <strong>der</strong> Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong><br />
nur <strong>in</strong> verstreuten Verordnungen und Anweisungen<br />
geregelt. 122 Der Versuch, 1959 e<strong>in</strong>e<br />
Verordnung über die Jugendhilfe zu erlassen,<br />
wurde angesichts größerer Gesetzesvorhaben<br />
(Familiengesetzbuch, Bildungsgesetz, Strafgesetzbuch)<br />
zunächst zurückgestellt und erst<br />
1965 verwirklicht. Im April 1965 erschien die<br />
erste umfassende Jugendhilfeverordnung 123 ,<br />
die dem <strong>in</strong>zwischen erlassenen Familiengesetzbuch<br />
folgend im März 1966 noch e<strong>in</strong>mal<br />
leicht modifiziert wurde. 124 Die Ausarbeitung<br />
e<strong>in</strong>er neuen Jugendhilfeverordnung Anfang<br />
<strong>der</strong> 1980 Jahre scheiterte. 125 Bis 1965 lag also<br />
122 Verordnung über die Neuordnung<br />
<strong>der</strong> Zuständigkeit für das Aufgabengebiet <strong>der</strong><br />
Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong> vom 28. Mai 1953. In:<br />
GBl. <strong>DDR</strong>, 1953, S. 798.<br />
123 Verordnung über die Aufgaben und<br />
die Arbeitsweise <strong>der</strong> Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />
(Jugendhilfeverordnung) vom 22. April 1965. In: GBl.<br />
<strong>DDR</strong> II, 1965, S. 359.<br />
124 Verordnung über die Aufgaben und<br />
die Arbeitsweise <strong>der</strong> Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />
(Jugendhilfeverordnung) vom 3. März 1966. In: GBl.<br />
<strong>DDR</strong> II, Nr. 34 vom 28. März 1966, S. 215.<br />
125 Entscheidungsvorschlag <strong>der</strong> Abteilung<br />
Jugendhilfe und <strong>Heimerziehung</strong>, die entworfene neue<br />
Verordnung zur Jugendhilfe nicht zu veröffentlichen<br />
vom 21. Januar 1981. In: BArch DR 2/12111.<br />
ke<strong>in</strong>e umfassende rechtliche Grundlage für<br />
die Arbeit <strong>der</strong> Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong><br />
vor. 126 Die Aufgaben <strong>der</strong> Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />
werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendhilfeverordnung<br />
von 1966 wie folgt beschrieben. Sie „organisieren<br />
das zielgerichtete Zusammenwirken<br />
<strong>der</strong> für die Erziehung Verantwortlichen zur<br />
Umerziehung erziehungsschwieriger und<br />
straffälliger M<strong>in</strong><strong>der</strong>jähriger und gegen die<br />
Vernachlässigung und Aufsichtslosigkeit von<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen. Sie beraten die<br />
für die Erziehung Verantwortlichen und treffen<br />
mit ihnen geme<strong>in</strong>sam auf <strong>der</strong> Grundlage<br />
<strong>in</strong>dividueller Erziehungsprogramme verb<strong>in</strong>dliche<br />
Festlegungen zur Sicherung <strong>der</strong> positiven<br />
Entwicklung dieser M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigen.<br />
Sie leiten die dazu notwendigen staatlichen<br />
Maßnahmen e<strong>in</strong>; legen zur Sicherung des<br />
Lebensweges elternloser und familiengelöster<br />
M<strong>in</strong><strong>der</strong>jähriger die Aufgaben <strong>der</strong> für die<br />
Erziehung Verantwortlichen verb<strong>in</strong>dlich fest<br />
und leiten die notwendigen Maßnahmen e<strong>in</strong>.<br />
Sie führen die staatliche Aufsicht über die<br />
Betreuung und Erziehung dieser M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigen<br />
und sichern die Rechte und Interessen<br />
von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen, <strong>der</strong>en Eltern<br />
zur Ausübung des elterlichen Erziehungsrechts<br />
nicht berechtigt s<strong>in</strong>d; unterstützen <strong>in</strong><br />
den gesetzlich vorgesehenen Fällen die Eltern<br />
o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Erziehungsberechtigte bei <strong>der</strong><br />
Sicherung <strong>der</strong> wirtschaftlichen Interessen<br />
M<strong>in</strong><strong>der</strong>jähriger; leiten die ihnen unterstellten<br />
E<strong>in</strong>richtungen an und beaufsichtigen sie,<br />
s<strong>in</strong>d für die Planung und Durchführung <strong>der</strong><br />
Aufgaben dieser E<strong>in</strong>richtungen verantwortlich;<br />
lösen die ihnen übertragenen Aufgaben<br />
auf <strong>der</strong> Grundlage ihrer <strong>in</strong> den Bestimmungen<br />
über das e<strong>in</strong>heitliche sozialistische<br />
Bildungssystem, des Familienrechts, des<br />
Strafrechts und dieser Verordnung geregelten<br />
Verantwortlichkeit“. 127<br />
126 Ab 1980 war die mit den Verordnungen<br />
von 1965 und 1966 geschaffene Grundlage veraltet.<br />
Für diese Zeit ist zu berücksichtigen, dass Praktiken<br />
und <strong>in</strong>terne Verordnungen im Wi<strong>der</strong>spruch zur<br />
Verordnung von 1966 stehen konnten.<br />
127 Verordnung über die Aufgaben und<br />
die Arbeitsweise <strong>der</strong> Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />
(Jugendhilfeverordnung) vom 3. März 1966. In: GBl.<br />
<strong>DDR</strong> II, Nr. 34 vom 28. März 1966, S. 215.<br />
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