Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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Erziehungsvorstellungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
Im Juni 1966 <strong>in</strong>formierte <strong>der</strong> Generalstaatsanwalt<br />
<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> das Volksbildungsm<strong>in</strong>isterium<br />
über e<strong>in</strong>e Reihe schwerer Misshandlungen<br />
<strong>in</strong> verschiedenen Heimtypen. Soweit<br />
erkennbar, waren E<strong>in</strong>richtungen für Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
durch zwangsweise E<strong>in</strong>führung von<br />
Nahrung (mit Todesfolge), Nahrungsentzug<br />
und schwere körperliche Misshandlungen<br />
beteiligt. E<strong>in</strong>ige Todesfälle waren auf mangelnde<br />
Beaufsichtigung zurückzuführen.<br />
Genauer aufschlüsseln lässt sich diese Information<br />
nicht. 349<br />
3.2.4.2 Son<strong>der</strong>schulheime<br />
Mitunter werden <strong>in</strong> den Akten beson<strong>der</strong>e<br />
E<strong>in</strong>richtungen genannt, die nicht zugeordnet<br />
werden können. Dazu gehören die beiden<br />
Son<strong>der</strong>heime für „Nervengeschädigte“. 350 Es<br />
ist möglich, dass sie zu den Son<strong>der</strong>schulheimen<br />
zu zählen s<strong>in</strong>d.<br />
Son<strong>der</strong>schulheime gehörten strukturell <strong>in</strong><br />
die Nachbarschaft <strong>der</strong> Heime <strong>der</strong> Jugendhilfe.<br />
Zuständig waren sie für M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährige,<br />
die auf spezielle körperliche o<strong>der</strong> geistige<br />
För<strong>der</strong>ung angewiesen waren. Die Heime<br />
<strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schulen hatten „die Aufgabe,<br />
durch e<strong>in</strong>e gezielte korrektiv-erzieherische<br />
Arbeit unter ganztätigen Bed<strong>in</strong>gungen die<br />
gesunde und optimale Entwicklung <strong>der</strong><br />
Vorschulk<strong>in</strong><strong>der</strong>, Schüler und Lehrl<strong>in</strong>ge zu<br />
gewährleisten.“ 351 Das Gesetz über das e<strong>in</strong>heitliche<br />
Bildungssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> zählte<br />
– an<strong>der</strong>s als die oben genannte Durchführungsbestimmung<br />
– die Arbeit mit verhaltensgestörten<br />
M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigen zu den Aufgaben<br />
<strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schulen. Zeitweise wurden<br />
349 Schreiben des Generalstaatsanwaltes<br />
<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> an den stellvertretenden M<strong>in</strong>ister für<br />
Volksbildung, Lorenz, Strafverfahren gegen Erzieher<br />
betreffend vom 14. Juni 1966 (mit Weitergabe an<br />
Fröhlich, Dankschreiben und Mahnschreiben). In:<br />
BArch DR 2/51127.<br />
350 Zusammenstellung <strong>der</strong> Heime und<br />
Jugendwerkhöfe <strong>der</strong> Jugendhilfe vom Herbst 1960. In:<br />
BArch DR 2/5850.<br />
351 5. Durchführungsbestimmung zum Gesetz<br />
über das e<strong>in</strong>heitliche sozialistische Bildungssystem<br />
– Son<strong>der</strong>schulwesen – vom 9. Februar 1984. In: GBl.<br />
<strong>DDR</strong> I, Nr. 8, S.85.<br />
die Son<strong>der</strong>schulheime <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen<br />
Hauptabteilung des M<strong>in</strong>isteriums für Volksbildung<br />
verwaltet. E<strong>in</strong>gewiesen wurden M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährige<br />
jedoch durch das Gesundheitswesen.<br />
Die Son<strong>der</strong>schulheime befanden sich<br />
also <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ähnlich unklaren strukturellen<br />
Anb<strong>in</strong>dung wie die Dauerheime für Säugl<strong>in</strong>ge<br />
und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>. Bei <strong>der</strong> Umstrukturierung<br />
<strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtungen des Komb<strong>in</strong>ates <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>heime<br />
hatte die Abteilung Son<strong>der</strong>schulheime<br />
des M<strong>in</strong>isteriums zum<strong>in</strong>dest zeitweise<br />
die Fe<strong>der</strong>führung.<br />
3.3 Konfessionelle Heime<br />
Die Heime<strong>in</strong>richtungen konfessioneller<br />
Träger <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> vielerlei H<strong>in</strong>sicht<br />
an<strong>der</strong>s zu beurteilen als diejenigen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
ehemaligen Bundesrepublik. Sie gehörten<br />
nicht zu den E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> Jugendhilfe.<br />
Alle<strong>in</strong> das Zahlenmaterial belegt ihre wesentlich<br />
ger<strong>in</strong>gere Bedeutung. Für die Bundesrepublik<br />
geht man davon aus, dass von<br />
den ca. 800.000 Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n, <strong>der</strong> 50er- und<br />
60er-Jahre ca. 70 bis 80 Prozent mit Heime<strong>in</strong>richtungen<br />
evangelischer o<strong>der</strong> katholischer<br />
Träger <strong>in</strong> Berührung kamen. 352 In <strong>der</strong><br />
ehem. <strong>DDR</strong> muss man von e<strong>in</strong>em Bruchteil<br />
dieser Zahl ausgehen.<br />
3.3.1 Das statistische Material<br />
Der Befehl Nr. 225 <strong>der</strong> SMAD sah bereits<br />
für das Jahr 1946 e<strong>in</strong>e Registrierungspflicht<br />
aller auf dem Gebiet <strong>der</strong> SBZ bef<strong>in</strong>dlichen<br />
Heime<strong>in</strong>richtungen vor. 353 Über die Realisierung<br />
dieser For<strong>der</strong>ung ist nichts bekannt.<br />
Auch <strong>der</strong> nächsten Registrierungspflicht<br />
s<strong>in</strong>d die konfessionellen Heime nicht nachgekommen.<br />
Bis zum 15. März 1952 sollten<br />
sich nach Auffor<strong>der</strong>ung des MfV sämtliche<br />
E<strong>in</strong>richtungen registrieren lassen, an<strong>der</strong>nfalls<br />
würde die staatliche Anerkennung nicht<br />
gewährt. 354<br />
352 Fr<strong>in</strong>gs/Kam<strong>in</strong>sky, 2011.<br />
353 Befehl Nr. 225 des Obersten Chefs <strong>der</strong><br />
SMAD vom 26. Juli 1946 „Leitung <strong>der</strong> Arbeit <strong>in</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen“. In: BArch DR 2/386.<br />
354 Verordnung über die <strong>Heimerziehung</strong> von<br />
Die Kirchen haben sich gegen diese Pflicht<br />
zur Wehr gesetzt. Sie verwahrten sich<br />
dagegen, dass das Fortbestehen konfessioneller<br />
Trägerschaften vom Verordnungswege<br />
abhängig gemacht werden sollte, und man<br />
berief sich dazu auf die Dreimächtekonferenz<br />
vom Juli 1945 (Potsdamer Abkommen)<br />
und die Verfassung <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> Art. 45. Abs.<br />
2 1949. 355 Das M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung<br />
wies diese E<strong>in</strong>wände zwar schroff<br />
zurück 356 , aber das führte nur dazu, dass<br />
sowohl die evangelische (18.2.1952) als<br />
auch die katholische Kirche (20.2.1952) dem<br />
MfV e<strong>in</strong>e Liste ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong>heime sandten,<br />
um den Planungs<strong>in</strong>teressen des Staates<br />
nachzukommen. 357<br />
Ev. Kirche Heime Plätze<br />
Thür<strong>in</strong>gen 12 486<br />
Sachsen 20 1.015<br />
Mecklenburg 19 1.078<br />
Sachsen-Anhalt 21 1.045<br />
Brandenburg 32 2.148<br />
Diakonie Gesamt 104 5.772<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen vom 26.07.1951 (GBl.<br />
<strong>DDR</strong> I, S. 708); Erste Durchführungsbestimmung zur<br />
Verordnung über <strong>Heimerziehung</strong> von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />
Jugendlichen vom 27. November 1951 (BArch DR<br />
2/60997).<br />
355 Z. B. Kirchlicher Erziehungs-Verband Berl<strong>in</strong>-<br />
Brandenburg an den Rat des Bezirkes Brandenburg<br />
Abt. Volksbildung vom 31.03.1953 (BArch DR 2/5638).<br />
356 Stellungnahme zu den E<strong>in</strong>wänden <strong>der</strong><br />
Evangelischen und Katholischen Kirche <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick<br />
auf die 2. Durchführungsbestimmung vom 17.12.1951<br />
zur Verordnung über die <strong>Heimerziehung</strong> von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
und Jugendlichen vom 26.Juli 1951Insbeson<strong>der</strong>e muss<br />
man darauf h<strong>in</strong>weisen, dass das Referat Jugendhilfe/<br />
<strong>Heimerziehung</strong> im MfV mit e<strong>in</strong>er detaillierten<br />
Erwi<strong>der</strong>ung die E<strong>in</strong>wände <strong>der</strong> Kirchen und<br />
konfessionelle Träger schroff zurückwies (14.03.1952),<br />
BArch DR 2/5638.<br />
357 BArch DR 2/5638<br />
Kath. Kirche Heime Plätze<br />
Sachsen 12 784<br />
Brandenburg 13 903<br />
Vorpommern 10 898<br />
Thür<strong>in</strong>gen 13 913<br />
Caritas Gesamt 48 3.525<br />
Dabei s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sgesamt 152 Heime mit 9.297<br />
Plätzen, wenn man die Summen, und 9.270<br />
Plätze, wenn man die e<strong>in</strong>zelne Plätze addiert.<br />
Die Akte, <strong>der</strong> die Zahlen entnommen s<strong>in</strong>d,<br />
enthält e<strong>in</strong>e weitere davon abweichende<br />
Aufzählung. Hier werden <strong>in</strong>sgesamt 184<br />
konfessionelle E<strong>in</strong>richtungen mit nicht mehr<br />
nachvollziehbarer Platzzahl aufgelistet.<br />
Anfang <strong>der</strong> 60er-Jahre kamen die konfessionellen<br />
E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> Registrierungspflicht<br />
nach. Für den Jahrgang 1961 werden<br />
vom M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung 94 Heime<br />
(die Trägerschaft ist undifferenziert mit<br />
„konfessionelle“ angegeben) mit ca. 5.582<br />
Plätzen (Kapazität) und e<strong>in</strong>er Durchschnittsauslastung<br />
von <strong>in</strong>sgesamt 3.267, also von 58<br />
Prozent, gelistet. 358 Diese Zahlen ergeben<br />
sich aus Meldebögen, die z. T. handschriftlich<br />
von den betreffenden Heimen ausgefüllt<br />
s<strong>in</strong>d. Die Summe enthält Unsicherheiten,<br />
weil e<strong>in</strong>ige Angaben nicht leserlich, nicht<br />
alle Meldebögen tatsächlich vollständig<br />
ausgefüllt und weil nicht alle konfessionellen<br />
Heime überhaupt erfasst s<strong>in</strong>d.<br />
Die vermerkten E<strong>in</strong>weisungsgründe s<strong>in</strong>d<br />
vielfältig („Waisen“, „zum geeigneten Schulbesuch“,<br />
„erziehungsschwierig“, „Berufstätigkeit<br />
<strong>der</strong> Eltern“, „unvollständige Familien“,<br />
„unzulängliche Familienverhältnisse“,<br />
„Bewährungsfälle“ usw.), e<strong>in</strong>e Kategorie<br />
„Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung“ war auf den Meldebögen nicht<br />
vorhanden.<br />
Die Tagessätze s<strong>in</strong>d von <strong>der</strong> Diakonie<br />
und <strong>der</strong> Caritas mit dem M<strong>in</strong>isterium für<br />
Volksbildung ausgehandelt worden. Sie<br />
betrugen 1961 3 Mark für Normalheime und<br />
3,50 Mark für Spezialheime. E<strong>in</strong>gewiesen<br />
wurde zu 30 bis 40 Prozent durch staatliche<br />
Jugendhilfeausschüsse. 359<br />
358 Erfassungsbögen. In: BArch DR 2/12907.<br />
359 MfV Abt. Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong>, Abt.<br />
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