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Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

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Was hilft ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bei <strong>der</strong> Bewältigung ihrer komplexen Traumatisierung?<br />

Probleme mit <strong>der</strong> Aktene<strong>in</strong>sicht<br />

Um e<strong>in</strong>e Rehabilitierung <strong>der</strong> Heimerfahrungen<br />

nach dem StrRehag zu beantragen,<br />

müssen die ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> die<br />

E<strong>in</strong>weisungsgründe und den Heimaufenthalt<br />

nachweisen können. Es besteht aber auch<br />

e<strong>in</strong> nachvollziehbar großes Interesse <strong>der</strong><br />

ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>, die eigene Biografie<br />

zu vervollständigen, also die E<strong>in</strong>weisungsgründe<br />

und den Heimverlauf zu erfahren.<br />

Manche, die ke<strong>in</strong>en Kontakt mehr zu den<br />

Eltern hatten, möchten auch auf diesem Wege<br />

Angaben zu ihren Eltern o<strong>der</strong> auch Geschwistern<br />

f<strong>in</strong>den. Der Zugang zu den Akten<br />

ist aber erheblich erschwert, die Situation<br />

<strong>in</strong>sgesamt sehr unübersichtlich, da diese an<br />

unterschiedlichen Stellen z. B. bei Ämtern,<br />

noch bestehenden Heimen, Nachfolgee<strong>in</strong>richtungen,<br />

aufbewahrt werden o<strong>der</strong> wegen <strong>der</strong><br />

abgelaufenen Aufbewahrungsfristen schon<br />

vernichtet wurden. Nicht selten wird nach Anfor<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Akten bei e<strong>in</strong>em Amt erst <strong>der</strong>en<br />

Vernichtung angegeben, dann taucht aber<br />

bei weiteren Nachforschungen plötzlich an<br />

an<strong>der</strong>er Stelle Akten wie<strong>der</strong> auf. Auch <strong>in</strong> den<br />

Stasiunterlagen und bei den Gauck-Behörden<br />

ließen sich manchmal H<strong>in</strong>weise auf Heimunterbr<strong>in</strong>gungen<br />

f<strong>in</strong>den. Beachtet werden muss<br />

auch (wie unter E<strong>in</strong>weisungsgründe beschrieben),<br />

dass die Inhalte <strong>der</strong> Akten wi<strong>der</strong>sprüchliche<br />

o<strong>der</strong> falsche E<strong>in</strong>weisungsgründe<br />

enthalten können, wie also die Interpretation<br />

<strong>der</strong> Inhalte erfolgt. Betroffene äußern häufig<br />

Ängste, <strong>in</strong> den Jugendämtern noch heute<br />

Beschäftigte aus <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

anzutreffen, sich nicht ausreichend äußern<br />

o<strong>der</strong> durchsetzen zu können, auch vor den eigenen<br />

unangemessenen Reaktionen bei e<strong>in</strong>er<br />

solchen Begegnung und <strong>der</strong> Konfrontation<br />

mit den Inhalten <strong>der</strong> Akten. An<strong>der</strong>sherum<br />

werden auch Ängste <strong>der</strong> Mitarbeiter <strong>der</strong> Jugendämter<br />

vor den möglichen Reaktionen <strong>der</strong><br />

Betroffenen geschil<strong>der</strong>t. E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>sichtnahme<br />

vor Ort ist deshalb nicht immer s<strong>in</strong>nvoll o<strong>der</strong><br />

nur <strong>in</strong> Begleitung e<strong>in</strong>er neutralen Person<br />

durchzuführen.<br />

E<strong>in</strong>e Berater<strong>in</strong> schil<strong>der</strong>t die Reaktion <strong>der</strong><br />

Mitarbeiter<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>es Jugendamtes bei e<strong>in</strong>er<br />

Aktene<strong>in</strong>sicht vor Ort:<br />

„Die Mitarbeiter<strong>in</strong> des Amtes hätte deutliche<br />

Ängste gehabt, e<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong> als Zeug<strong>in</strong> dazu<br />

gerufen, sich sehr abweisend verhalten. Sie habe<br />

von <strong>der</strong> Betroffenen verlangt, während <strong>der</strong> Aktene<strong>in</strong>sicht<br />

ke<strong>in</strong>erlei Bemerkungen zu machen, ke<strong>in</strong>en<br />

Satz zu sagen. Möglicherweise bestünden Ängste<br />

bei den Jugendamtsmitarbeitern, von Betroffenen<br />

angezeigt zu werden. Die Berater<strong>in</strong> habe<br />

mehrfach erlebt, dass im Jugendamt behauptet<br />

wurde, die Akten seien bereits vernichtet worden,<br />

die dann später im Gerichtsverfahren plötzlich<br />

doch dem Gericht vorlagen, ohne dass Betroffene<br />

vorher davon Kenntnis erhalten hatten.“<br />

Weitere Berichte von Berater/-<strong>in</strong>nen:<br />

„Es lägen oft gegenteilige Angaben <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

und <strong>der</strong> Eltern <strong>in</strong> den Akten vor. In den<br />

Akten werde durch die Jugendhilfe <strong>in</strong> mehreren<br />

Fällen behauptet, die Eltern hätten die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

nach e<strong>in</strong>er Flucht nicht mehr haben wollen. Es<br />

wurden dann aber Beweise wie Briefe <strong>der</strong> Eltern,<br />

Rechtsanwaltsverkehr <strong>in</strong> den Akten gefunden,<br />

dass die Eltern sich um e<strong>in</strong>e Familienzusammenführung<br />

bemüht hatten. Aus <strong>der</strong> Heimzeit bestehende<br />

Schuld- und Schamgefühle <strong>der</strong> Betroffenen<br />

würden beim Lesen <strong>der</strong> damaligen Begründungen<br />

für ihre E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong>s Heim häufig reaktiviert.<br />

Es sei e<strong>in</strong>e sehr belastende Situation für die Betroffenen,<br />

man dürfe sie da nicht alle<strong>in</strong>e lassen.“<br />

„Die Aktene<strong>in</strong>sicht sei vom Jugendamt <strong>in</strong> drei<br />

ihr bekannten Fällen verweigert worden, obwohl<br />

die Akten dort vorlagen. Als Begründung wurde<br />

genannt, dass an<strong>der</strong>e Personen durch Angaben <strong>in</strong><br />

den Akten betroffen seien, man nicht die Schweigepflicht<br />

brechen wolle.“<br />

Hier wurden die juristischen Ausführungen<br />

des runden Tisches zur Aktene<strong>in</strong>sicht nicht<br />

beachtet o<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d wahrsche<strong>in</strong>lich dem Amt<br />

gar nicht bekannt gewesen.<br />

Erfahrungen mit <strong>der</strong> Rehabilitierung<br />

Aus Sicht <strong>der</strong> Berater ist die Rehabilitierung <strong>der</strong><br />

negativen Heimerfahrungen für die ehemaligen<br />

Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> auch als e<strong>in</strong> symbolischer Akt<br />

von großer Bedeutung, um dem Gefühl, immer<br />

noch stigmatisiert zu se<strong>in</strong>, entgegenzuwirken,<br />

das daraus entstandene ger<strong>in</strong>ge Selbstwertgefühl<br />

zu stärken und die Schuldgefühle<br />

<strong>der</strong> Betroffenen zu l<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Es sollte deutlich<br />

gemacht werden, nicht die Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

tragen die Schuld, son<strong>der</strong>n die Gesellschaft<br />

ist bereit, für die negativen Heimerfahrungen<br />

und <strong>der</strong>en Folgen die volle Verantwortung zu<br />

übernehmen.<br />

Durch die Medien wurden voreilig unkorrekte<br />

Angaben über die Rehabilitierungsmöglichkeiten<br />

<strong>der</strong> Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> verbreitet und<br />

damit falsche Hoffnungen bei den Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

geweckt. Es kommt deshalb bei Ablehnungen<br />

auch aussichtsloser Anträge immer<br />

noch zu großen Enttäuschungen. Wenn ke<strong>in</strong>e<br />

politischen Gründe <strong>der</strong> Heime<strong>in</strong>weisung<br />

nachweisbar s<strong>in</strong>d, werden viele Anträge vom<br />

Gericht abgelehnt, ohne dass die Verhältnismäßigkeit<br />

<strong>der</strong> Heime<strong>in</strong>weisungsgründe zur<br />

Unterbr<strong>in</strong>gung z. B. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Spezialheim<br />

ausreichend überprüft wurde. Dabei ist die<br />

Entscheidungspraxis <strong>der</strong> Gerichte zurzeit<br />

nicht nur bundesweit sehr unterschiedlich,<br />

son<strong>der</strong>n auch je nach Stufe des Gerichtes im<br />

gleichen Bundesland nicht e<strong>in</strong>heitlich, so entscheidet<br />

z. B. e<strong>in</strong> Oberlandesgericht an<strong>der</strong>s<br />

als das Landesgericht des gleichen Bundeslandes.<br />

Die Bemühungen <strong>der</strong> Gerichte, zur<br />

Sachaufklärung beizutragen, seien ebenfalls<br />

sehr unterschiedlich. Das Thür<strong>in</strong>ger OLG<br />

führt, obwohl <strong>in</strong> solchen Verfahren eher ungewöhnlich,<br />

zur Informationssammlung und<br />

um sich e<strong>in</strong> umfassendes Bild <strong>der</strong> Sachlage<br />

zu verschaffen, auch persönliche Anhörungen<br />

<strong>der</strong> Betroffenen bei fehlen<strong>der</strong> Aktenlage<br />

durch und bemüht, sich auch weiträumig<br />

Akten zu beschaffen. E<strong>in</strong> solcher Aufwand<br />

wird lange nicht von allen Gerichten betrieben,<br />

meist wird auf die persönliche Anhörung<br />

<strong>der</strong> Betroffenen verzichtet. (Zur weiteren<br />

Darstellung <strong>der</strong> Problematik möchten wir<br />

auf die Rechtsexpertise verweisen.) Die sehr<br />

unterschiedlichen und auch <strong>in</strong> den Begründungen<br />

abweichenden Urteile <strong>der</strong> Gerichte<br />

s<strong>in</strong>d für die Betroffenen verständlicherweise<br />

nicht nachvollziehbar und führen im Falle<br />

e<strong>in</strong>er Ablehnung oft zu e<strong>in</strong>er zusätzlichen beträchtlichen<br />

Belastung o<strong>der</strong> erneuten Reaktivierung<br />

<strong>der</strong> im Heim erworbenen Gefühle,<br />

wie immer ungerecht behandelt zu werden<br />

und dem hilflos ausgesetzt zu se<strong>in</strong>, das ohneh<strong>in</strong><br />

nur schwache Vertrauen <strong>in</strong> den Staat geht<br />

verloren. Um e<strong>in</strong>e Rehabilitierungsmöglichkeit<br />

zu prüfen, wurden bei fehlenden Nachweisen<br />

auch <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen Glaubhaftigkeitsgutachten<br />

durch die Gerichte angeordnet. In<br />

diesen sehr aufwendigen Gutachten soll die<br />

Glaubhaftigkeit <strong>der</strong> Angaben <strong>der</strong> Betroffenen<br />

überprüft werden und die Betroffenen<br />

müssen ihre negativen Heimerfahrungen<br />

deshalb sehr detailliert schil<strong>der</strong>n. Diese<br />

starke Konfrontation mit <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

führt zu erheblichen psychischen Belastungen<br />

bis h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er Verschlechterung des<br />

Gesundheitszustandes. Der Berater Herr May<br />

berichtet über den Fall e<strong>in</strong>er Betroffenen, die<br />

zur Durchführung e<strong>in</strong>es Glaubhaftigkeitsgutachtens<br />

drei Tage stationär aufgenommen<br />

und untersucht wurde. Die angewandten<br />

Methoden <strong>der</strong> Glaubhaftigkeitsgutachten<br />

wurden ursprünglich zur Überprüfung <strong>der</strong><br />

Angaben von Zeugen o<strong>der</strong> Tätern entwickelt.<br />

Inwieweit die gleichen Methoden geeignet<br />

s<strong>in</strong>d, die Glaubhaftigkeit <strong>der</strong> Aussagen von<br />

Zeugen zu überprüfen, die ja nicht neutrale<br />

Zeugen, son<strong>der</strong>n auch gleichzeitig Opfer<br />

s<strong>in</strong>d, ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fachwelt umstritten, beson<strong>der</strong>s<br />

die Eignung bei <strong>der</strong> Untersuchung<br />

traumatisierter Personen.<br />

E<strong>in</strong>e Berater<strong>in</strong> äußert:<br />

„Die Chancen <strong>der</strong> Betroffenen auf e<strong>in</strong>e Rehabilitierung<br />

<strong>der</strong> Heimerfahrungen seien <strong>der</strong>zeit<br />

ger<strong>in</strong>g, ca. 96 % <strong>der</strong> von ihr begleiteten Anträge<br />

wurden abgelehnt. Für sie sei es sehr schwer, den<br />

Betroffenen diese Unsicherheit über den Ausgang<br />

des Verfahrens und die hohe Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

e<strong>in</strong>er Ablehnung zu vermitteln. Sie überlege oft,<br />

ob es überhaupt s<strong>in</strong>nvoll sei, unter diesen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

Betroffenen zur Antragstellung zu raten,<br />

es nicht sogar besser wäre, eher davon abzuraten,<br />

um ihnen die Enttäuschung zu ersparen und diese<br />

nicht mit ansehen zu müssen. Es sei sehr schwer<br />

für die Betroffenen die nötigen Beweismittel zu<br />

erbr<strong>in</strong>gen, auch würden die Akten von den Richtern<br />

oft unreflektiert gelesen. Noch schlimmer<br />

sei es für Betroffene, wenn <strong>in</strong> den Ablehnungsbescheiden<br />

<strong>der</strong> Gerichte als Begründung die fraglichen<br />

Angaben aus den Jugendakten wörtlich<br />

übernommen würden. Die Betroffenen haben<br />

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