Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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Rechtsfragen <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
Diese Gremien verwalteten die sogenannten<br />
„Normalheime“ und bearbeiteten Beschwerden<br />
gegen ihre eigenen Entscheidungen<br />
sowie gegen Maßnahmen <strong>der</strong> Jugendhilfekommissionen<br />
(§ 18 Abs. 2 JHVO). Außerdem<br />
waren die Jugendhilfeausschüsse auf<br />
Kreisebene für die meisten Entscheidungen<br />
über die <strong>Heimerziehung</strong> zuständig (§ 18 Abs.<br />
1 Nr. 1 i. V. m. § 21 JHVO).<br />
Die Arbeit mit den Familien vor Ort erledigten<br />
die Jugendhilfekommissionen, die<br />
ausschließlich aus ehrenamtlichen Mitarbeitern<br />
bestanden. Sie mussten von je<strong>der</strong><br />
Geme<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>gerichtet werden, die mehr<br />
als 1.000 E<strong>in</strong>wohner hatte (§ 11 JHVO). Zu<br />
ihren Zuständigkeiten gehörte die „Sicherung<br />
<strong>der</strong> Betreuung erziehungsgefährdeter,<br />
schwer erziehbarer, heim- und strafentlassener<br />
und unter Bewährung o<strong>der</strong> Erziehungsaufsicht<br />
stehen<strong>der</strong> M<strong>in</strong><strong>der</strong>jähriger“ (§ 12 Abs.<br />
1 Buchst. b JHVO) sowie die „Mitwirkung<br />
bei <strong>der</strong> Vorbereitung gutachtlicher Stellungnahmen<br />
<strong>in</strong> Angelegenheiten des elterlichen<br />
Erziehungsrechts und <strong>in</strong> Strafverfahren<br />
gegen Jugendliche“ (§ 12 Abs. 1 Buchst. b<br />
JHVO). Stellte die Jugendhilfekommission<br />
e<strong>in</strong>e Erziehungsgefährdung fest, so konnte<br />
sie unterschiedliche Maßnahmen treffen, u.<br />
a. die Erziehungsberechtigten verpflichten,<br />
den M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigen „ordentlich zu erziehen“,<br />
e<strong>in</strong>e Missbilligung aussprechen, den M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigen<br />
verweisen, ihn o<strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Eltern zur<br />
Wie<strong>der</strong>gutmachung e<strong>in</strong>es Schadens verpflichten<br />
o<strong>der</strong> die Angelegenheit an die Organe<br />
<strong>der</strong> Jugendhilfe auf Kreisebene weitergeben,<br />
damit dieser weitere Maßnahmen treffe (§ 13<br />
JHVO).<br />
E<strong>in</strong>e gerichtliche Entscheidung musste <strong>in</strong><br />
Verfahren <strong>der</strong> Jugendhilfe (zum Strafverfahren<br />
Kap. 5.1.2) nach 1952 nur e<strong>in</strong>geholt<br />
werden, wenn den Eltern das Sorgerecht<br />
vollständig entzogen werden sollte (§ 51<br />
FGB). Die meisten Entscheidungen über<br />
<strong>Heimerziehung</strong> wie auch die Aufsicht und<br />
die Kontrolle <strong>der</strong> getroffenen Entscheidungen<br />
blieben zwischen 1952 und 1989 vollständig<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand <strong>der</strong> Verwaltung. Diese<br />
war zentralistisch organisiert, d. h. auf e<strong>in</strong>e<br />
zentrale Behördenspitze – das M<strong>in</strong>isterium<br />
für Volksbildung – ausgerichtet. E<strong>in</strong>e fö<strong>der</strong>ale<br />
Struktur wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik, die<br />
Raum für unterschiedliche regionale Regelungen<br />
lässt, gab es <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> etwa ab den<br />
1950er-Jahren nicht mehr.<br />
4.2 Das System <strong>der</strong> Heime<br />
Noch <strong>der</strong> SMAD-Befehl Nr. 225 aus dem Jahr<br />
1946 sah ke<strong>in</strong>e speziellen Heime für schwer<br />
erziehbare K<strong>in</strong><strong>der</strong> vor. Nach <strong>der</strong> Gründung<br />
<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> wurde die Unterteilung <strong>in</strong> „normal“<br />
und „schwer“ erziehbare K<strong>in</strong><strong>der</strong> jedoch charakteristisch<br />
für das Heimsystem <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>.<br />
Dem entsprach die E<strong>in</strong>teilung <strong>in</strong> „Normalk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime“<br />
und „Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime“, die sich<br />
ab dem Jahr 1951 durchsetzte. Der Begriff<br />
<strong>der</strong> „Schwererziehbarkeit“ bekam dadurch<br />
e<strong>in</strong>e enorme Bedeutung, weil se<strong>in</strong>e Bejahung<br />
darüber entschied, <strong>in</strong> welchen Zweig des<br />
Heimsystems das K<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jugendliche<br />
e<strong>in</strong>gewiesen wurde. In <strong>der</strong> Forschungsliteratur<br />
f<strong>in</strong>den sich hauptsächlich Arbeiten, die<br />
sich mit den Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>,<br />
zu denen auch die Jugendwerkhöfe gehörten,<br />
beschäftigen. Über die E<strong>in</strong>weisungspraxis <strong>in</strong><br />
die Normalk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime und die Durchführung<br />
<strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> diesen E<strong>in</strong>richtungen<br />
ist demgegenüber wenig bekannt.<br />
Neben den Heimen für „normal“ und<br />
„schwer“ Erziehbare gab es geson<strong>der</strong>te<br />
E<strong>in</strong>richtungen für M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährige, die als<br />
„bildungsfähig schwachs<strong>in</strong>nig“ o<strong>der</strong> „verhaltensauffällig“,<br />
später als „Hilfsschüler“<br />
bezeichnet wurden. Über diese Heime liegen<br />
ebenfalls noch ke<strong>in</strong>e spezifizierten Forschungsergebnisse<br />
vor.<br />
Innerhalb dieser groben Kategorien ist<br />
das Heimsystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> mehrere Male<br />
grundlegend umstrukturiert worden:<br />
4.2.1 Das Heimsystem nach <strong>der</strong><br />
Heimverordnung (Juli 1951)<br />
Mit <strong>der</strong> Verordnung über die <strong>Heimerziehung</strong><br />
wurde im Jahr 1951 das System aus Normalund<br />
Spezialheimen e<strong>in</strong>geführt, das bis<br />
zum Ende <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> als grobe E<strong>in</strong>teilung für<br />
„normal“ und „schwer“ erziehbare K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />
Jugendliche bestehen bleiben sollte. 103 E<strong>in</strong><br />
Jahr später folgte die „Anweisung über die<br />
e<strong>in</strong>heitliche Planung <strong>der</strong> Erziehungsarbeit <strong>in</strong><br />
allen Heimen“. 104 Sie verpflichtete die E<strong>in</strong>richtungen,<br />
nach verb<strong>in</strong>dlichen Jahres-, Halbjahres-<br />
und Monatsplänen zu arbeiten; die<br />
pädagogischen Maximen wurden dadurch vere<strong>in</strong>heitlicht.<br />
In <strong>der</strong> Praxis wurden freie Träger<br />
<strong>der</strong> Jugendhilfe, u. a. auch die Kirchen, massiv<br />
unter Druck gesetzt, ihre E<strong>in</strong>richtungen<br />
verstaatlichen zu lassen. In Heimen, <strong>der</strong>en<br />
Träger sich nicht <strong>in</strong> dieser Richtung kooperativ<br />
zeigten, wurden <strong>in</strong> den 1950er- Jahren<br />
gezielt ke<strong>in</strong>e Plätze mehr belegt. Nach dem<br />
„Handbuch für Jugendhilfe“, des M<strong>in</strong>isteriums<br />
für Volksbildung aus dem Jahr 1953 war e<strong>in</strong>e<br />
E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> Heime <strong>in</strong> privater Trägerschaft<br />
nur noch möglich, wenn <strong>in</strong> staatlichen E<strong>in</strong>richtungen<br />
ke<strong>in</strong>e Plätze zur Verfügung standen<br />
und die zuständigen E<strong>in</strong>weisungsstellen<br />
die Belegung genehmigt hatten. 105<br />
Nach <strong>der</strong> Heimverordnung vom Juli 1951<br />
sollten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> nur noch sechs Typen von<br />
Heimen bestehen:<br />
1. „Normalk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime“ für die „normal<br />
erziehbaren“ K<strong>in</strong><strong>der</strong> zwischen drei und<br />
14 Jahren,<br />
2. „Jugendwohnheime“ für die „normal<br />
erziehbaren“ Jugendlichen zwischen 14<br />
und 18 Jahren,<br />
3. „Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime“ für die „schwererziehbaren“<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> zwischen drei und 14<br />
Jahren,<br />
4. „Jugendwerkhöfe“ für die „schwererziehbaren“<br />
Jugendlichen zwischen 14 und<br />
18 Jahren,<br />
5. beson<strong>der</strong>e Formen <strong>der</strong> „Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime“<br />
für sogenannte „bildungsfähig<br />
schwachs<strong>in</strong>nige“ 106 K<strong>in</strong><strong>der</strong> zwischen drei<br />
und 14 Jahren,<br />
103 Siehe Fn. 96.<br />
104 Fn. 97. Als Teil <strong>der</strong> „Amtlichen Bestimmungen<br />
für Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong>“ war sie für die<br />
Heime <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> rechtlich verb<strong>in</strong>dlich.<br />
105 M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung 1953, 62;<br />
siehe dazu auch Sachse 2010, 58 m. N.<br />
106 Zu diesem Begriff siehe oben Kap. 4.1.1.1<br />
und Barsch 2007, 19 ff.<br />
6. „Heime für bildungsfähig Schwachs<strong>in</strong>nige“<br />
zwischen 14 und 18 Jahren.<br />
H<strong>in</strong>zu kamen sogenannte „Durchgangsstationen“,<br />
die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verordnung noch etwas<br />
unklar def<strong>in</strong>iert werden, <strong>der</strong>en Zweck sich<br />
aber aus <strong>der</strong> Durchführungsbestimmung zur<br />
Heimverordnung ergibt: Sie waren vor allem<br />
für die kurzfristige Unterbr<strong>in</strong>gung aufgegriffener<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlicher gedacht,<br />
wurden aber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis auch zu vielfältigen<br />
an<strong>der</strong>en Zwecken genutzt, etwa als<br />
Zwischenstation bei <strong>der</strong> Heimverlegung o<strong>der</strong><br />
auch als Untersuchungshaftanstalt.<br />
4.2.2 Das Heimsystem nach <strong>der</strong><br />
Durchführungsbestimmung zur<br />
Heimverordnung (November 1951)<br />
Schon wenige Monate später wurde das<br />
System <strong>der</strong> Heime <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Durchführungsbestimmung<br />
zur Heimverordnung<br />
verän<strong>der</strong>t: 107 Die Heime für die „bildungsfähig<br />
Schwachs<strong>in</strong>nigen“ sollten nur noch<br />
für K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche genutzt werden,<br />
die zugleich „schwererziehbar“ waren. Die<br />
Zweckbestimmung <strong>der</strong> Durchgangsstationen<br />
wurde präzisiert. Außerdem wurden zwei<br />
zentrale Aufnahme- und Beobachtungsheime<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Festung Königste<strong>in</strong> und <strong>in</strong> Eilenburg<br />
geschaffen. Nach den Regelungen <strong>der</strong> DfB<br />
zur HeimV hatten die Heimtypen die folgenden<br />
Zwecke:<br />
(1) Normalk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime waren Heime für<br />
„anhanglose, milieugefährdete K<strong>in</strong><strong>der</strong> ohne<br />
wesentliche Erziehungsschwierigkeiten“<br />
sowie für „K<strong>in</strong><strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Beaufsichtigung<br />
und Erziehung durch berufliche Tätigkeit,<br />
Weiterbildung o<strong>der</strong> durch Krankheit und<br />
an<strong>der</strong>e persönliche Gründe <strong>der</strong> Erziehungspflichtigen<br />
nicht gewährleistet s<strong>in</strong>d“ (§ 2 Abs.<br />
1). Die Jugendwohnheime waren außerdem<br />
für anhanglose Jugendliche gedacht, die<br />
aus den Jugendwerkhöfen entlassen worden<br />
waren, bzw. solche, die nach e<strong>in</strong>em Aufenthalt<br />
im Jugendwerkhof e<strong>in</strong>e Nachbetreuung<br />
107 Erste Durchführungsbestimmung zur<br />
Verordnung über <strong>Heimerziehung</strong> von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />
Jugendlichen v. 27.11.1951, GBl. 1951, 1104.<br />
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