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ßen spaltet. Anhand dieses komplizierten Phänomens des Antisemitismus können<br />
die Hintergründe des Rassismus verständlicher dargestellt werden.<br />
Eine wichtige Ursache für den Antisemitismus liegt in der Geschichte des<br />
Landes. Ungarn war seit 1526, dem Jahr der türkischen Belagerung, bis 1989 –<br />
bis auf eine kurze Periode – nie souverän. Auf die Türken folgten die Habsburger,<br />
später die Deutschen und nach dem Zweiten Weltkrieg die sowjetische Besatzung.<br />
Wichtigster Meilenstein, und für die kulturelle Entwicklung des Landes bis<br />
zum heutigen Tag von Bedeutung, ist der Friedensvertrag von Trianon von 1920,<br />
als Ungarn – in der Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg auf der Verliererseite<br />
– zwei Drittel seiner Gebiete an die Nachbarländer abtreten musste und somit<br />
nahezu ein Drittel der ungarischen Bevölkerung Staatsbürger der Nachbarländer<br />
wurde. Trianon wurde zur Quelle einer allgemeinen Zerstörung, auch die Angst<br />
vor dem Tod der Nation nahm riesige Ausmaße an. So entstand durch die Jahrhunderte<br />
ein Mechanismus, in dem die Identität vor allem über den verhassten<br />
fremden Unterdrücker definiert wurde. Daneben entwickelte sich eine Konzeption,<br />
in der es die reinrassige Kultur der Ungarn zu verteidigen galt. Zu der historisch<br />
gewachsenen und durchaus verständlichen Opferhaltung gesellte sich<br />
vor und im Zweiten Weltkrieg auch eine Täterhaltung, die jedoch nach 1945<br />
für vier Jahrzehnte unterbunden wurde. Im Realsozialismus verstärkte sich diese<br />
Art nationaler Identität. Besonders im letzten Jahrzehnt, in der so genannten<br />
weichen Diktatur, entwickelte sie sich zu einem euphorischen Zusammenhalt,<br />
weil die im Untergrund operierende demokratische Opposition trotz harter Repressionen<br />
doch Einiges erreichen konnte und ein breiter Widerstand bemerkbar<br />
war. Widerstand war oft kulturell und hatte die Funktion einer politischen<br />
Ersatzhandlung. Zudem gab es etwas mehr Freiheit als in anderen Ostblockländern,<br />
so dass sich trotz allem ein verhältnismäßig lebendiges kulturelles Leben<br />
entfaltete. Und man war sich dieser Freiheit bewusst. Es entstand das Image<br />
der „fröhlichsten Baracke“ im realsozialistischen Lager, das auch weitgehend der<br />
Identität des Landes entsprach. Diese Euphorie war dennoch trügerisch, da die<br />
vom Kádár-Regime geduldeten oppositionellen Tendenzen in der Kultur als politische<br />
Ventilfunktion vor allem dem Machterhalt dienten und nicht dem Aufbau<br />
einer Demokratie. Indem jedoch der Staatsapparat durch Provokation von unten<br />
sichtbar schwächer wurde, wurden Ansätze zur zivilen Gesellschaft spürbar.<br />
Mit dem Einzug der Marktwirtschaft wurde dieser Entwicklung ein Ende gesetzt.<br />
Bereits einige Monate nach der Wende, nachdem also der Traum von einem<br />
souveränen Nationalstaat in Erfüllung gegangen war, wuchs auch der Nationalismus.<br />
Wie der böse Geist aus der Flasche erhob sich mit ihm das Phantom<br />
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