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eines Landes resultiert, das auf der Verliererseite der Geschichte noch immer<br />
mit dem Fiebertraum des Verschwindens seiner nationalen Existenz kämpft. Dass<br />
dabei erneut von oben, jetzt sogar vielfach mit Hilfe der Kirche bestimmt wird,<br />
was richtige und nicht-richtige, was ungarische und nicht-ungarische Kunst sei,<br />
dürfte vielen deshalb nicht auffallen, weil modernes Marketing mit westlichen,<br />
stabilen Demokratien assoziiert wird. Appelle an das Gewissen der „richtigen“<br />
Ungarn, der „richtigen“ Christen fallen zudem vielfach infolge der langen Unterdrückung<br />
auf fruchtbaren Boden. Die PR-Techniken der inneren Kommunikation<br />
der Regierung orientieren sich an der Politik des schnellen Profits, das heißt<br />
der schnellen Sicherung des Wahlerfolgs und sind erneut keine langfristigen Investitionen<br />
in die kulturelle Identität, sondern populistische Mobilisierungen<br />
zu einer Quasi-Gemeinschaft. So ist nicht nur Trianon ein alltägliches Thema in<br />
den Medien, auch die allgemeine Angst wird geschürt, fremde Mächte würden<br />
versuchen, die ungarische Kultur und damit die Ungarn ihrem Stil und Denken<br />
anzugleichen, weshalb sie verteidigt werden müsse. Dabei ähnelt die Rhetorik<br />
der der 30er Jahre gespenstisch. Die Konzeption der reinen ungarischen Kultur<br />
taucht erneut auf und der Mechanismus der Identifikation über Feindbildkonstruktionen<br />
greift. Aus den Opfern, die sich wehren müssen, werden viele langsam<br />
wieder zu Tätern. Die Fundamentalismen und Rassismen im Lande wachsen.<br />
Meinungen von Andersdenkenden werden vom Tisch gefegt und oppositionelle<br />
Kritiker – meistens codiert mit dem Synonym für „jüdisch“ – als „Liberalbolschewiken“,<br />
„Kosmopoliten“, „Scheinungarn“ oder einfach als „seelisch fremd“<br />
beschimpft und als Verräter in den Medien namentlich genannt. Versuchen sich<br />
diese gegen die „öffentlich-rechtliche Judenhetze“ zu wehren, wird ihnen von<br />
Regierungsseite Hypersensibilität vorgeworfen.<br />
Unterstützt wird die Regierung von der rechtsradikalen Partei MIÉP, seit 1998<br />
das erste Mal – offiziell als Opposition, doch nach eigener Aussage als „Opposition<br />
der Opposition“ – im Parlament vertreten. Böse Zungen werfen der Regierung<br />
vor, in der rechtsradikalen Partei ein ideales Sprachrohr gefunden zu<br />
haben, denn diese würden alles aussprechen, was sich die Regierung, die sich<br />
EU-Regeln verpflichtet fühle, nicht leisten könne. Der Ausweg aus der Identitätskrise<br />
wird dadurch erschwert, dass sich in Ungarn bis heute keine, im Sinne<br />
von authentischen Persönlichkeiten verstandene, breite bürgerliche Schicht entwickeln<br />
konnte, die für die demokratische und kulturelle Entwicklung des Landes<br />
so wichtig wäre. Die ungarische Geschichte hat die Entstehung des „Citoyens“ in<br />
all ihren Perioden verhindert und verhindert sie auch heute. Denn das wichtigste<br />
Mittel für Selbstreflexion, die Kunst und Kultur, werden durch repressive staat-<br />
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