GAP-JOURNAL 2012/13 - AFA
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aufgrund des Präfixes post- verleiten zudenken, dass Kolonialismus und seine Folgen<br />
bereits vollständig vergangen sind. Dass viele frühere Kolonialmächte noch heute großen,<br />
vor allem wirtschaftlichen Einfluss in den ehemaligen Kolonialgebieten genießen<br />
und das aufgezwungene soziale und kulturelle Erbe in den ehemaligen Kolonien noch<br />
heute sehr präsent ist, wird somit oft vergessen. Im kulturellen Kontext untersucht Postkolonialismus<br />
die ideologischen und kulturellen Auswirkungen der europäischen Kolonialherrschaft<br />
in den kolonialisierten Staaten und hat eine vollständige (auch kulturelle)<br />
Dekolonisierung zum Ziel (vgl. Wang 2008:25). Die Kultur, allen voran die Sprache,<br />
die die Kolonialmächte in die eroberten Gebiete in Afrika, Asien und Amerika brachten,<br />
sind dort noch heute präsent und stehen oft inKonflikt mit der ursprünglichen Kultur<br />
und Sprache. Die Frage, ob eine vollständige Dekolonisierung, also auch ein Ablegen<br />
der aufgezwungenen Kultur und Sprache der ehemaligen Kolonialländer möglich und<br />
erstrebenswert ist, ist sehrschwer, wenn nicht unmöglich, zu beantworten.<br />
PostkolonialeLiteratur<br />
Neben den militärischen und politischen Machtinstrumenten, der sich die Kolonialländer<br />
bedienten, umihre Autorität inden Kolonien zu bewahren und auszubauen, war<br />
auch die Sprache ein solches zentrales Machtmittel. Die Sprache und Kultur der Kolonisierten<br />
wurde unterdrückt und als „primitiv“ bezeichnet (vgl. Ashcroft/Griffiths/Tiffin<br />
2002²:1), während das „Europäische“, also die Sprache und Kultur der Kolonialmächte,<br />
eine vorherrschende, privilegierte Stellung einnahm. Sie wurde Bildungs-, Amts- und<br />
Literatursprache und beeinflusste oder verdrängte (so zum Beispiel inSüdamerika) in<br />
unterschiedlichem Maße die einheimische Sprache. Durch diese sprachliche Konkurrenz<br />
entwickelten sich zum Teil Mischsprachen bzw. Varietäten, die von den Kolonialherren<br />
als minderwertig angesehen wurden und noch heute aufgrund grammatikalischer,<br />
lexikaler, syntaktischer oder phonetischer Abweichungen zuder europäischen „Originalsprache“<br />
auf Ablehnung stoßen. Diese Sprachhybridität und der kulturelle Einfluss<br />
derKolonialmacht hatten einekulturelle Entfremdung der Kolonisierten zurFolge, denn<br />
die Rolle der eigener Sprache imkulturellen Identitätsprozess wurde durch die gezwungene<br />
Integration einer neuen Sprache inFrage gestellt. Es entstanden hybride Kulturen,<br />
sogenannte „kulturelle Mischformen“ (Wolf 2006²:103), die ihre Identität weder im<br />
Einheimischen, noch imFremden finden konnten und noch immer auf der Suche sind.<br />
Ein wichtiger Faktor in diesen Identitätsfindungsprozess ist die Kunst, die auch dazu<br />
dient, „die Nachgeschichte einer traumatisierenden Kolonialkultur bewusst zumachen“<br />
(Metzler Lexikon Kunstwissenschaft 2003:295f), wobei die Literatur eine besondere<br />
Stellung einnimmt: