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gewiß nichts mit Unstetigkeit zu tun hat. Ober ihre Leistungen, ihre Qualitäten wissen<br />

wir leider nichts Näheres, daß sie aber - auf ihre Weise - Erfolg hatte, ist anzunehmen,<br />

wenngleich sie keine „große" Schauspielerin im herkömmlichen Sinn war.<br />

Persönliche Erinnerungen sowie die zielsichere Überlieferung der Episoden lassen uns<br />

jedoch das Bild plastischer erscheinen. So gehörte Jeannette unter anderem auch zum Ensemble<br />

der Agnes Straub, das mit dem äußerst zugkräftigen Stück „Die Schauspielerin"<br />

auf Tournee ging. Die Straub - enorm kurzsichtig - fuhr, um einem Lastwagen auszuweichen,<br />

direkt in ein Scheunentor hinein. (Wenn ich mich richtig erinnere, stand sie<br />

später mit einem eingegipsten Arm wieder in Berlin auf der Bühne.) Kurt von Ruffin,<br />

damals einer von Jeannettes jüngsten Kollegen, erzählte mir sehr anschaulich, wie Jeannette<br />

gefaßt und kaltblütig - ihr war nichts passiert - sofort ausstieg und die Leichtverletzten<br />

umhertrieb, damit sie durch Bewegung den Schock überwänden; auch labte sie<br />

alle Betroffenen mit Cognac, „um die Wunden zu spülen".<br />

Auch Film und Tonfilm holten sich Jeannette Bethge; sie spielte in „Sophienlund", in<br />

„Das Mädchen vom Moorhof", in „Johannisfeuer" (nach Hermann Sudermann) als „betuliche<br />

Mamsell" und im „Veilchen vom Potsdamer Platz" mit Rotraut Richter in der<br />

Hauptrolle. Die so jung Verstorbene wohnte Jeannette gegenüber in der damaligen Lindenstraße<br />

(heute Leydenallee) in Steglitz und kam manchmal zu einer Plauder- oder<br />

Unterrichtsstunde.<br />

Privat war Jeannette Bethge eine herzensgute, mütterliche und humorvolle Frau, bescheiden<br />

und resolut zugleich, die unverheiratet blieb. Sie teilte ihr ganzes Leben (soweit<br />

es nicht vom Theater beherrscht wurde), ihre Wohnung und auch ihre Gagen mit zahlreichen<br />

Verwandten und wurde von der ganzen Familie geliebt und bewundert. Sie<br />

machte jeden Jux mit und ließ uns freigebig in ihrem „Schrankzimmer" wühlen, wenn<br />

wir für unsere Theaterspielereien Garderobe brauchten. Zu Familienfesten, Hochzeiten<br />

usw. studierte sie mit uns kleine Sketches und Szenen und machte das so temperamentvoll,<br />

daß ein Besucher schon auf dem ziegelgepflasterten Hofgang mit den Quittenbäumen<br />

auf den Zehenspitzen umkehrte ohne zu klingeln, um dem vermeintlichen Familienkrach<br />

auszuweichen.<br />

Solches widerfuhr zweifellos einem unangemeldeten Besuch, denn während ihrer offiziellen<br />

Kaffeegesellschaften fanden keine Familien-Theaterproben statt. An diesen gemütlichen<br />

Nachmittagen saßen mehr oder minder illustre Gäste am schöngedeckten Tisch:<br />

adlige Kolleginnen - vermutlich Außenseiter ihrer Familien - mit rollendem Zungen-R<br />

und Königin-Mutter-Allüren, alte Theaterhasen, die ihr mit pathetischer Grandezza die<br />

Hand küßten, sowie alle möglichen Leute, die nicht mehr oder noch nicht ganz dazugehörten.<br />

Während der ersten Hitlerjahre wurden an „Muhmes" Kaffeetafel neben Bühnenanekdoten<br />

auch jüdische Witze zum besten gegeben; dann wurden einige der Kollegen stiller<br />

und kamen seltener, und wenn es ihnen nicht gelang, nichtarische Ahnen unter den Tisch<br />

fallen zu lassen, hörte man eines Tages nichts mehr von ihnen. Jeannette brauchte nur<br />

ihre Großmutter Lachmann zu verschweigen. Sie erboste sich über das Regime und war<br />

tief bekümmert über das vielfältige Leid ihrer Freunde und Kollegen. Sie half mit Rat<br />

und Tat, wo sie nur konnte.<br />

So gewissenhaft und zuverlässig Jeannette ihre kleinen und größeren Rollen mit ihrer<br />

Persönlichkeit füllte, so charmant und liebenswürdig sie bei Tisch präsidierte, so unpraktisch<br />

und nervös war sie bei alltäglichen Verrichtungen, obwohl sie wunderbar zu kochen<br />

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