14.12.2012 Aufrufe

Similar

Similar

Similar

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

prinzip frisiert man. Zuerst weiß man, dann wendet man die Psychologie an. Die Unordnung<br />

ist da ein besseres Wissen als die Ordnung." 44<br />

Diese Erkenntnis war es, die Döblin von vorschnellen und oberflächlichen Erklärungsversuchen<br />

abhielt und die man als Bestandteil seiner poetologischen Konzeption begreifen<br />

muß. In seinem „Berliner Programm" aus dem Jahre 1913 hatte er seinen Schriftstellerkollegen<br />

bereits zugerufen: „Man lerne von der Psychiatrie, der einzigen Wissenschaft,<br />

die sich mit dem seelischen ganzen Menschen befaßt: sie hat das Naive der Psychologie<br />

längst erkannt, beschränkt sich auf die Notierung der Abläufe, Bewegungen, - mit<br />

einem Kopfschütteln, Achselzucken für das Weitere und das ,Warum' und ,Wie' ". 45<br />

Getragen von einer solchen Einsicht, näherte sich Döblin den angeklagten Frauen in diesem<br />

„von psychologischen Rätseln und sozialen Problemen strotzenden Prozeß" 46 . Während<br />

das fast einhellige Urteil der Berichterstatter in der Tagespresse lautete, die beiden<br />

Frauen hätten aufgrund ihrer homosexuellen Veranlagung den Entschluß gefaßt, ihre<br />

lästig gewordenen Ehemänner zu beseitigen, um völlig ungehindert miteinander leben zu<br />

können, blickt Döblin weiter, indem er die in dieser Konstellation angelegten Konflikte<br />

zwischen den Personen in seine Betrachtung mit einbezieht. Den aussichtslosen Kampf<br />

gegen ihren Mann führt Grete Bende jetzt, nachdem sie sich mit Elli ganz verbunden<br />

glaubt, erfolgreicher „über die Wände ihrer Wohnung hinaus" gegen den Tischler Link, in<br />

der Absicht, sich der Zuneigung und Abhängigkeit der blonden Freundin dauerhaft zu<br />

versichern. Auch Ellis Position bei den täglichen Streitereien mit Link wurde gefestigt,<br />

denn sie besaß jetzt „einen zweiten Willen, die Bende" 47 .<br />

Diese Ausgewogenheit besteht indessen nur scheinbar, weil Elli bald in einen „inneren<br />

Zwiespalt" gerät, der sie zu dem Schluß kommen läßt: „Auch die Bende war nicht gut."<br />

Döblin geht sogar soweit, eine völlig neue Ehekonstellation als überraschende Konfliktlösung<br />

anzudeuten: „Ja, Link und die Bende, fühlte Elli dunkel, gehörten zusammen." 48<br />

Diese Andeutung findet insofern einen realen Bezugspunkt zu den tatsächlichen Begebenheiten,<br />

als die Freundinnen später übereinstimmend aussagten, „daß die Männer versucht<br />

hätten, je die Frau des anderen zu verführen" 49 .<br />

Döblins Gespür für die verwickelte und ausweglos erscheinende Situation wird besonders<br />

deutlich, wenn man seine Beschreibung des Gemütszustandes der beiden Freundinnen zur<br />

Zeit der Tatausführung betrachtet. Vor den Augen des Lesers wird nicht das Bild der<br />

heimtückischen Mörderinnen, die Tag für Tag ohne Skrupel Arsenik in die Mahlzeiten<br />

ihrer Männer schütten, entfaltet, sondern „die Frauen saßen" oftmals „zusammen, weinten;<br />

sie hatten sich zu schweres übernommen;" 50 schon bald konnten sie „das Leiden, die Angst,<br />

das Hangen und Bangen nicht mehr ertragen" 51 .<br />

Der 1924 erschienenen Auflage seiner Erzählung über die beiden Freundinnen hatte<br />

Döblin einen umfangreichen Anhang mit 17 graphischen Zeichnungen und Tabellen über<br />

die „räumliche Darstellung der Seelenveränderung" der Hauptbeteiligten beigegeben. In<br />

den zeitgenössischen Rezensionen des Buches, die auffälligerweise auch in medizinischpsychiatrischen<br />

Fachzeitschriften erschienen, wurde „diese Art, Seelenvorgänge schematisch<br />

einzufangen", 52 kritisiert und als „wissenschaftlich haltlos" bezeichnet. 53 .<br />

Diese Kritik zielt insofern ins Leere, als der spezifisch literarische Aspekt der Erzählung<br />

über die beiden Freundinnen außer Acht gelassen wird, denn Döblins Überlegungen zu<br />

der „Seelenwanderung", wie sie in den Bildtafeln niedergelegt wurde, sind in den Duktus<br />

der Erzählung aufgenommen worden und verdienen größere Beachtung.<br />

Das Gift, das Elli ihrem Mann fast täglich mit den Mahlzeiten verabreicht, hat nicht den<br />

470

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!