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haltung für den Durchschnittsbesucher zu sachlich-chronologisch gehängt. Doch eindrucksvolle<br />

Höhepunkte bildeten jedesmal die Wettbewerbsentwürfe, in denen die geistige Auseinandersetzung<br />

zwischen Fortschritt und Tradition jener Geniejahre lebendig wurde. „Geniejahre" haben wir gesagt.<br />

hier traf vieles zusammen. Stahl, Beton und Glas hießen die neuen Grundstoffe für neue Möglichkeiten.<br />

Der Zusammenbruch der Wilhelminischen Ordnung hatte auch die Architekten herausgefordert,<br />

in der Novembergruppe waren sie ebenfalls zu finden. Das kommunalpolitische Entstehen<br />

„Groß-Berlins" schuf vielfältige Aufgaben, aber alle Städte der Welt wären für den optimistischen<br />

Schaffensdrang dieser jungen idealistischen Generation zu eng gewesen. So gingen gerade von<br />

Berlin die Impulse des neuen Bauenwollens. das utopische Architekturträume in funktionelle Wirklichkeit<br />

umsetzte, aus, etwa wie hundert Jahre früher das Berlin Karl Friedrich Schinkels die Architektur<br />

des damaligen Europa geformt hatte. Mit einem Unterschied: die Vielschichtigkeit der zwanziger<br />

Jahre dieses Jahrhunderts dokumentieren zum Beispiel Werkbund. Bauhaus. Gläserne Kette,<br />

Zehnerring, die Brüder Max und Bruno Taut, Letzterer das Haupt des Berliner Expressionismus,<br />

die Brüder Wassili und Hans Luckhardt. Ludwig Mies van der Rohe. Walter Gropius. Erich<br />

Mendelsohn. Hugo Häring und Ludwig Hilberseimer. In ständiger Auseinandersetzung mit der<br />

Tradition entwickelten sich unter anderen Hans Poelzig, Fritz Höger und speziell im Berliner Bereich<br />

Paul Mebes. und die Konservativen scharten sich um Künstler wie Ludwig Hoffmann. Paul Bonatz<br />

und Paul Schmitthenner. Zu den Himmelsstürmern, für die nur die imaginäre Architektur wahre<br />

Architektur bedeutete, gesellten sich die vielen hier Ungenannten, die alle vorzüglich bauten, weil sie<br />

eine solide Ausbildung genossen hatten und ihr Handwerk verstanden. Trotzdem siegte schon am<br />

Ende der zwanziger Jahre überall in Europa wieder der repräsentative Klassizismus, den Peter<br />

Behrens in den Jahren 1911 und 1912 mit der kaiserlichen deutschen Botschaft in Petersburg wiederbelebt<br />

hatte. Doch noch immer haben wir die ästhetischen und sozial-moralischen Anregungen<br />

jener Architekten in dem Städte- und Wohnhausbau von heute zu verarbeiten. Das Hochhaus hatte<br />

übrigens die neue Dimension in die Stadtplanung gebracht, deshalb führten auch die Großfotos<br />

des Hochhauswettbewerbes von Chikago den Besucher in die Dada-Halle.<br />

Hier nun wirbelte auch phonetisch die verrückteste Explosion des Ersten Weltkrieges, die in einem<br />

literarischen und musikalischen, bildnerischen und gestischen Feuerwerk ohnegleichen von 1916<br />

bis 1923 über das zerstrittene und zerrissene Europa hinweggequirlt war. umher. Dynamik, Vielseitigkeit<br />

und Absurdität dieser Kunstströmung zwischen Berlin. Hannover, Köln, Zürich und Paris<br />

mit ihrem Strahl nach Osten hatten Eberhard Roters und Hanne Bergius anhand der Werke von<br />

50 Dada-Künstlern hervorragend und mitreißend interpretiert. Fast 2000 Jahre Geschichte abendländischer<br />

Kunst und Kultur hatten den vierjährigen Völkermord mit seinen zwei Millionen Toten<br />

- etwas bis dahin in seiner Grausamkeit nicht nur der großen Materialschlachten noch nie Dagewesenes<br />

- verhindern können. Wozu also Kunst und Kultur? Dada war Enttäuschung und Empörung, Protest<br />

und Provokation, Dada war gewollt primitive Ironie. Dada-Berlin soll hier erwähnt werden:<br />

Raoul Hausmanns Assemblage „Der Geist unserer Zeit", die Dada-Nofretete. der einfache Perückenkopf<br />

mit Metermaß. Nummernkarte. Taschenuhrwerk, ausziehbarem Aluminiumbecher, Schraube.<br />

Stempelwalze mit Schatulle, Portemonnaie und Reißbrettlineal. George Grosz" Photomontagezeichnung<br />

„Der Schuldige bleibt unerkannt" und Hännah Hochs Photomontage „Schnitt mit dem<br />

Kuchenmesser durch die Weimarer Bierbauchkulturepoche". Das war der am unmittelbarsten ansprechende<br />

Teil der Ausstellung. Was Wunder also, daß sich hier die Jugend und die jungen Leute<br />

drängten? Fanden sie hier doch das Ungestüme, das Unbändige ihrer eigenen heißen Herzen wieder.<br />

Denn in diesem Ausbruch wurde deutlich, wie wenig sich eigentlich geändert hat.<br />

Und nun zum reizvollsten und publikumswirksamsten Teil der großen Schau „Die neue Wirklichkeit<br />

- Surrealismus und Neue Sachlichkeit" in der ständig überfüllten Orangerie des Schlosses<br />

Charlottenburg. Auf 400 laufenden Metern Hängefläche 194 Gemälde teilweise ätzender Gesellschaftskritik<br />

und erlebt-erfundener Wirklichkeit des traumhaft-Unbewußten, geordnet in Motiv-<br />

Gruppen wie zum Beispiel „Industrie, Technik, Verkehr". „Die Straße als Ort der Bedrohung",<br />

„Das Porträt" oder „Maler und Modell" und vieles mehr. Distanzierte fotografische Genauigkeit<br />

in der Wiedergabe versinnbildlichte hierbei oft die Strömungen des Unterbewußtseins und das<br />

Unkontrollierbare der Phantasie. Zum ersten Mal - und das machte die Faszination der von Wicland<br />

Schmied und Matthias Eberle gestalteten Ausstellung aus - konnte man große Namen neben<br />

nahezu unbekannten entdecken, die gleichberechtigt das breite Spektrum - den Zusammenhang<br />

und das Gegeneinander - der Malerei vor einem halben Jahrhundert sichtbar werden ließen. Hier<br />

fanden die Älteren die Sehnsüchte ihrer Jugend und die Ängste ihres Lebens wieder, und die Jungen<br />

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