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Die Frauen schrieben die Briefe „teils mit Blei" und „fast unleserlich". Einige Briefe enthielten<br />

„Gedichte, unreife, holprige Verse, lächerlich in ihrer unbeholfenen Ausdrucksweise,<br />

tragisch in ihrer glühenden Leidenschaft" 66 . Der Bearbeiter der Staatsanwaltschaft<br />

hat im Verlauf der Prozeßvorbereitungen die Briefe „mit unendlicher Sorgfalt durchgesehen<br />

und geordnet" 67 .<br />

Einer der zum Prozeß geladenen psychiatrischen Gutachter erklärte, daß „ein Rauschzustand<br />

pathologischer Natur durch die Briefe" gehe, die in einer Art von „Schreibsucht"<br />

und „Sammelwut" verfaßt und aufbewahrt worden seien. 68 Döblin mißt innerhalb seiner<br />

Erzählung diesen Briefen keine überragende Bedeutung zu. Ihn störten überhaupt „die<br />

fürchterlich unklaren Worte" der Prozeßgutachter. Sein Urteil darüber läßt sich an Schärfe<br />

kaum überbieten: „Auf Schritt und Tritt Verwaschenes, oft handgreiflich Kindisches." 69<br />

In dem Briefeschreiben der Freundinnen erkennt Döblin eine Vorstufe zu neuen „Heimlichkeiten",<br />

das heißt, zu sexuellen Handlungen. Als sie den Reiz des Schreibens erkannten,<br />

steigerte sich „das Spiel, das sich Freundschaft, Verfolgung, Liebe nannte" 70 .<br />

Im Laufe der Beschäftigung mit dem Giftmordfall begann Döblin eine Frage zu interessieren,<br />

die er zwar innerhalb seiner Erzählung vorläufig selbst beantwortet hat, die ihn aber<br />

Zu Ellis Handschrift.<br />

(Dezember 1922, Untersuchungshaft.) Augenblickseinflüsse: sie ist abgelenkt (verschreibt sich Zeile 4<br />

„daß" statt „doch", schreibt Buchstaben nicht fertig), wölbt mutlos die Grundstriche nach rechts. -<br />

Die Schrift im allgemeinen ungeistig, linear mager und arm, nüchtern, sachlich. Die Zeilenrichtung<br />

wird, trotz Okkupation, innegehalten, auch der Linksrand; die Buchstaben werden aneinandergedrängt,<br />

die Schrift ist klein: ein haushälterischer, ordentlicher, kleinbürgerlicher Mensch. - Er ist<br />

unscheinbar, ohne rechtes Selbstgefühl, vielleicht mit Eigensinn, Trotz (siehe auch „Termin", Zeile 3,<br />

mit seinem Oberbogen).<br />

Ein verschlossenes Wesen (siehe die Arkadenbildung bei der Bindung der Buchstaben „n" und „m"<br />

in „ich", „auch" Zeile 1, das Zuriegeln der Vokale a und o, der abwärts gedrehte U-Bogen). Die<br />

Schriftlage von mäßiger Linksschräge bis zum Steilen zeigt das schwache Gefühl an, Vorwiegen des<br />

Verstandes, die innere Kühle. Dabei Triebhaftigkeit, Hingabe an den Eindruck, Neigung zum Genuß<br />

ohne seelische Zentrierung (die geringe Schärfe der Schrift, ihre Teigigkeit). - Im wesentlichen Kühle,<br />

Nüchternheit, Verschlossenheit, dahinter ungeregelte Triebhaftigkeit, Entflammbarkeit, alles gedeckt<br />

durch kleinbürgerliche Haltung.<br />

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