Martina Grabowski - Institut für ökologischen Landbau - Boku
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verlangt spezielles Knowhow, Werkzeug und die Courage, die Kuh zu behandeln, weshalb<br />
man sich gerne auf einen Spezialisten oder eventuell eine Spezialistin verlässt. „Des ischt<br />
die größte Herausforderung gse <strong>für</strong> an Landwirt. Und da hats halt in jeden Dorf, oder in<br />
jeder Ortschaft, hat´s eina geba wo des gmacht hat oder.“ (GP21A)<br />
Außerdem ist eine Wurzel vom Gallwurzelstock notwendig, der in mehreren Gärten wächst<br />
und untereinander als Ableger weitergegeben wird. Alle Gesprächspartner und<br />
Gesprächspartnerinnen, die einen Gallwurzelstock im Garten haben, haben früher selbst<br />
gällnat oder wenden die Methode immer noch an. Die Herkunft der Pflanze ist ungewiss<br />
und keiner der befragten Personen kannte ihren botanischen Namen. Von einigen<br />
Gesprächspartnern und Gesprächspartnerinnen wurde gemutmaßt, dass es sich vielleicht<br />
um die Wurzel des Meisterwurz oder des Gelben Enzians handeln könnte. „Da hat ma nie<br />
gewußt woher dieser Stock kommt, da hat ma gesagt den ham die Walser mitgebracht bei<br />
der Einwanderung.” (GP28A) Der Gallwurzelstock konnte, nach Beschreibungen und<br />
Besichtigungen von drei Pflanzen, als Helleborus viridis, der hochgiftige Grüne Nieswurz,<br />
bestimmt werden. Von der Giftigkeit der Pflanze hat jedoch nur ein Gesprächspartner<br />
berichtet, ansonsten war ihre Wirkweise nicht bekannt.<br />
Am Beginn der Behandlung sticht man mit einer dicken Sattlernadel, die eine Öse an der<br />
Spitze hat und beidseitig schneidet, durch das untere Ende vom Halsschlampen, also dem<br />
Hautlappen der vom Hals der Kuh hängt. Entweder sticht man ganz unten an der tiefsten<br />
Stelle oder bis zu zehn Zentimeter weiter oben, was verhindert, dass sich die Kuh danach<br />
vor Schmerzen nicht mehr hinlegt. Um sich auf der anderen Seite nicht in den Finger zu<br />
stechen, wird in manchen Fällen eine Zange verwendet, um die Haut festzuhalten. In die<br />
Öse an der Spitze der Sattlernadel wird ein dicker Faden, ein Spagat, Sternelifada oder ein<br />
gewachster Schusterdrah eingefädelt. Im Voraus wurde in den Faden eine circa acht<br />
Zentimeter lange Wurzel eingeflochten, so dass beide Enden der Wurzel fest im Faden<br />
verschwinden. Dann wird er mit der Nadel durch die Haut gezogen und fest verknotet,<br />
damit die Wurzel 24 bis 48 Stunden in der Haut stecken bleibt. Ein Gesprächspartner, der<br />
sehr häufig gällnat, misst nach 24 Stunden die Körpertemperatur der Kuh und zieht die<br />
Wurzel raus falls sie Fieber hat, bis es wieder gesunken ist. Dann zieht er die im Faden<br />
fixierte Wurzel noch einmal zurück und lässt sie weitere 24 Stunden wirken, so kommt er<br />
immer auf insgesamt 48 Stunden. Dann muss die Wurzel vollständig entfernt werden, der<br />
Faden bleibt jedoch in der Wunde.<br />
Nun bildet sich, solange die Wurzel in der Haut steckt, eine Schwellung, die so groß wie<br />
der Kopf eines Erwachsenen werden kann. Sie fühlt sich fest an und ist mit einigen Litern<br />
Flüssigkeit gefüllt. Dieses Wundwasser, Brandwasser genannt, läuft dann innerhalb der<br />
nächsten zwei bis drei Wochen aus der Wunde. Da<strong>für</strong> muss circa zweimal täglich die<br />
Schnur gelockert werden, die immer noch durch den Hals gezogen ist, damit die Löcher<br />
nicht verkrusten. Manche Kühe lecken ihre Wunde auch selbst, was der Landwirt der diese<br />
Information gegeben hat als positiv erachtet. Der Faden muss also robust und lang genug<br />
sein, um der Schwellung genug Platz zu geben. Die Kühe reagieren recht unterschiedlich<br />
auf die Wurzel, aber wenn sich so eine dicke Schwellung bildet und alles abgelaufen ist,<br />
geht es der Kuh nach circa zwei Monaten wieder richtig gut.<br />
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