Martina Grabowski - Institut für ökologischen Landbau - Boku
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Hausmitteln entgegengewirkt hat. Deren Anwendung hat stetig abgenommen, proportional<br />
zur ansteigenden Verfügbarkeit des Tierarztes durch Straßenbau und Motorisierung. Es hat<br />
jedoch noch eine Trendwende eingesetzt im Sinne von „zurück zur Natur“ und zurück zur<br />
Naturheilkunde. Ein Gesprächspartner hat erzählt, dass dann wieder vermehrt Pflanzen<br />
wild gesammelt wurden und die Wertschätzung gegenüber den Heilpflanzen zunahm.<br />
Diese Rückbesinnung hält immer noch an. Es war auffallend, dass die älteren<br />
Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen immer wieder auf die Veterinärmedizin<br />
verwiesen haben, welche so effektiv und einfach anwendbar ist. Heutzutage kann man bei<br />
allem den Tierarzt oder die Tierärztin holen und dann ist das Problem rasch gelöst. Die<br />
Anwendung von Hausmitteln wird von den Älteren oft als etwas Veraltetes dargestellt, was<br />
gerechtfertigt werden muss, auch wenn sie keineswegs an deren Wirksamkeit zweifeln.<br />
Die Jüngeren sind oft sehr von den Hausmitteln überzeugt und verweisen gar nicht auf die<br />
Verfügbarkeit der Veterinärmedizin, da dies <strong>für</strong> sie eine Selbstverständlichkeit darstellt.<br />
Eine Gesprächspartnerin und ein Gesprächspartner der älteren Generation erinnern sich<br />
daran, dass in den 1930er Jahren Dr. Friedle, ein Tiroler Tierarzt, als erster<br />
Veterinärmediziner im Tal gearbeitet hat. Er wurde im Zweiten Weltkrieg eingezogen und<br />
ist im Krieg gestorben. Er war über das öffentliche Telefon auf dem Postamt erreichbar<br />
und kam mit einem Pferdefuhrwerk zu seinen Patienten. Keiner der Gesprächspartner und<br />
Gesprächspartnerinnen sprach von einem Tierarzt beziehungsweise einer Tierärztin, der<br />
während des Zweiten Weltkriegs praktiziert hätte.<br />
Entsprechend einer Wandtafel aus dem Heimatkundemuseum Sonntag hat der<br />
Veterinärmediziner Dr. Erwin Hehle im Jahr 1947 begonnen, im Großen Walsertal zu<br />
arbeiten. Nach den Angaben der Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen ist er ins<br />
Große Walsertal gekommen, nachdem er nach dem Zweiten Weltkrieg sein Studium in<br />
Wien abgeschlossen hatte. Er gilt <strong>für</strong> viele Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner<br />
als der erste „studierte Tierarzt“ mit einem akademischen Abschluss. Es wird immer noch<br />
davon gesprochen, dass er besonders gut bei Geburten helfen konnte. Eine Landwirtin<br />
datiert seinen Arbeitsbeginn erst in den 1950er Jahren, ein Landwirt spricht davon, dass<br />
vor 60 Jahren der erste Tierarzt zu praktizieren begonnen hat.<br />
Dr. Bischof, ein Tierarzt, der parallel zu Dr. Hehle gearbeitet hat, kam ursprünglich aus<br />
Thüringerberg, praktizierte jedoch in Rankweil, und ist den Bauern und Bäuerinnen gut<br />
bekannt; „des is da bekannteste Tierarzt in Vorarlberg gse.“ (GP25) Er war berühmt <strong>für</strong><br />
seine Sterilitätsbehandlungen und hat nie andere Tierärzte dabei zuschauen lassen. Einer<br />
der Tierärzte erzählt, dass er zum Beispiel zehn Kühe zusammen auf den Dorfplatz treiben<br />
ließ, um sie mit Hilfe eines Spekulums - einem Untersuchungsinstrument zum Öffnen der<br />
Vagina - zu untersuchen und den Muttermund mit hochkonzentriertem Jod zu bestreichen.<br />
So wurden chronische Muttermundentzündungen zu akuten Entzündungen und der<br />
chronische Jodmangel wurde behoben. „Er hat halt so an Mordszauber draus gemacht.“<br />
(GP1B) Dr. Bischof hat viele Hausmittel angewandt und auf die „natürliche Art“<br />
behandelt. Die Veterinärmedizin war damals auch noch nicht auf dem heutigen Stand und<br />
es gab weniger Medikamente, wodurch die Hausmittel immer noch eine wichtige<br />
Unterstützung waren. „Das könnt ma nu machen, unterstützend, es hat ja ned so viel<br />
Medikamente gee, und die (Anmerkung der Autorin: die Tierärzte) ham dann scho so<br />
Ratschläge gee.“ (GP20A)<br />
Ein weiterer Tierarzt, Dr. Martin, der <strong>für</strong> die Gemeinde Nenzing zuständig war, aber<br />
ursprünglich aus Fontanella kam, ist auch gerne gerufen worden. Er hat viel über die<br />
Zusammenhänge der Tiergesundheit mit Haltung und Fütterung gewusst und hat viele<br />
Hausmittel angewandt. Der Tierarzt, der heute im Großen Walsertal praktiziert, geht auch<br />
auf die Landwirte und Landwirtinnen ein. Wenn er weiß, dass an einem Hof viel mit<br />
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