Martina Grabowski - Institut für ökologischen Landbau - Boku
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Nutztierhaltung<br />
Die Rinder, die heute in Vorarlberg leben, produzieren fast doppelt so viel Milch wie noch<br />
vor 30 Jahren. Die Zucht zur Steigerung der Milchleistung wirkt sich auf Kosten ihrer<br />
Gesundheit aus (Schertler 2005:196). Es konnte beobachtet werden, dass die performance<br />
der Nutztiere, allen voran ihre Milchleistung, einen hohen wirtschaftlichen Stellenwert<br />
einnimmt. Die Wirtschaftlichkeit wurde sowohl als Grund <strong>für</strong> die Anwendung von<br />
Hausmitteln genannt, da keine Wartezeiten eingehalten werden müssen und die Milch<br />
verwendet werden kann, als auch dagegen, weil die Behandlung viel länger dauert und<br />
man sich so lange Ausfälle nicht leisten kann (5.1.4 Gründe <strong>für</strong> und wider die Anwendung<br />
von Hausmitteln bei Tieren).<br />
Viegi et al. haben die in der lokalen Tierheilkunde behandelten Krankheiten in Italien<br />
untersucht. Am häufigsten werden Magen-Darm-Krankheiten behandelt, gefolgt von<br />
Hautkrankheiten, Wunden, Entzündungen, Durchfall, Atemwegserkrankungen und<br />
Beschwerden, die Trächtigkeit und Geburt betreffen (Viegi et al. 2003:222). Auch Grasser<br />
hat die Behandlung der oben genannten Krankheiten in Osttirol empirisch erhoben. Bei ihr<br />
werden jedoch Kälberkrankheiten, zum Beispiel Durchfall, Grippe und Nabelinfektion,<br />
Euterkrankheiten und Klauenkrankheiten besonders oft genannt (Grasser 2006:61). Diese<br />
Krankheiten werden auch im Großen Walsertal häufig genannt, was sich vielleicht aus<br />
ähnlichen naturräumlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten der beiden<br />
Forschungsregionen ergibt. Grassers Erhebung hat, ebenso wie die Vorarlberger<br />
Forschung, ergeben, dass früher andere Tierkrankheiten als heute von Bedeutung waren.<br />
Die Maul- und Klauenseuche, Tuberkulose und Morbus Bang waren früher ge<strong>für</strong>chtete<br />
Seuchen, die heute jedoch weitgehend ausgerottet sind (Grasser 2006:54f.).<br />
Spezialistinnen und Spezialisten<br />
Bevor sich der Arztberuf herausgebildet hat, gab es schon Menschen mit besonderen<br />
natürlichen und übernatürlichen Begabungen. Wie es in einem Walser Gedicht heißt,<br />
hatten beziehungsweise haben die heilkundigen Spezialisten und Spezialistinnen ein<br />
großes Wissen und <strong>für</strong> alle Beschwerden ein Mittel, aber keine akademische Ausbildung.<br />
„Ja d Mari hed för alls a Mittel, an halba Dokter, bloß kein Titel“ (Mayer 2008:239).<br />
In jedem Ort des Tals hat es Männer und Frauen gegeben, die man gerne gefragt hat, da sie<br />
Hausmittel empfehlen konnten. Die Menschen die man im Krankheitsfall gefragt hat,<br />
konnten auch oft Blutungen stillen oder einen Aderlass durchführen. Auch heute<br />
praktizieren diese Heilkundigen oft noch ihre vielfältigen Metiers – gemäß Grabner<br />
werden sie von ihren Patienten unter anderem „Kräuterweiblein“, „Bauerndoktor“ oder<br />
„Sympathiedoktor“ genannt. Neben ihrer Fähigkeit, Krankheiten zu heilen, wird vor allem<br />
ihr umfassendes Heilpflanzenwissen hervorgehoben (Grabner 1988:432). Die<br />
Bezeichnung, dass jemand mit Sympathie heilt, wurde auch im Großen Walsertal in Bezug<br />
auf das Entfernen von Warzen und Schab genannt. Und auch in der Literatur aus dem<br />
Großen Walsertal werden Spezialistinnen und Spezialisten in Gesundheitsfragen genannt<br />
(Bertel et al. 1995:11). Heute ist man jedoch nur noch bei Anwendungen, die Tierärzte<br />
nicht durchführen, wie das Gällna (5.3.2.13), auf sie angewiesen; oder in Fällen, in denen<br />
die Veterinärmedizin nicht mehr weiterhilft. Die Notwendigkeit, Spezialisten<br />
beziehungsweise Spezialistinnen zur Verfügung zu haben, weil man auf ihre Dienste<br />
angewiesen war, hat jedoch stark abgenommen.<br />
Quellen des Wissens und dessen Weitergabe<br />
Lokales Erfahrungswissen wird von der älteren Generation an die jüngere Generation<br />
weitergegeben. Eine sehr wichtige und häufig genannte Wissensquelle ist die Beobachtung<br />
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