02.01.2013 Aufrufe

Martina Grabowski - Institut für ökologischen Landbau - Boku

Martina Grabowski - Institut für ökologischen Landbau - Boku

Martina Grabowski - Institut für ökologischen Landbau - Boku

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

„Der hat des vom Vater glernt, oder, daheim glernt. Da hats gheißen, du jetzt<br />

kannst selber probiera und mach des, oder. Und erst duast immer beim eigna<br />

Tier probiera oder, a fremda Tier is halt immer a biz beschissen, oder. Bist<br />

amal die Erfahrung hast, oder (…) jedes Mal isch anders, oder.“ (GP21A)<br />

Ein Gesprächspartner gibt an, dass er den Aderlass mindestens zwei jungen Landwirten<br />

gezeigt hat, die ihn danach gefragt haben, und die dann selbst angefangen haben auch bei<br />

anderen auszuhelfen. Wenn ihn heute jemand fragt, schickt er die Bittsteller meistens an<br />

diese beiden weiter, wodurch auch die Interviews mit den beiden Landwirten zustande<br />

gekommen sind.<br />

Die Spezialistinnen und Spezialisten konnten aufgrund ihres umfassenden<br />

Erfahrungswissens die Lage einschätzen, Diagnosen erstellen, Krankheiten behandeln und<br />

Zusammenhänge genau erklären. Außerdem hatten sie auch bestimmte Heilpflanzen,<br />

Werkzeuge und manuelle Fähigkeiten. Erst wenn auch die Spezialisten und Spezialistinnen<br />

nicht mehr weiter wussten, hat man sich veterinärmedizische Hilfe gesucht. Aber sie haben<br />

ausgeholfen, wo es nur ging und konnten zu jeder Zeit geholt werden. Es gab in jeder<br />

Ortschaft zumindest einen Spezialisten oder eine Spezialistin, der auch ein gewisses<br />

Ansehen genossen hat. „Sind eigendle imma angesehene Leute gse in dr Gmei, die hätt ma<br />

echt fräge könne.“ (GP25) Obwohl früher oft extrem steile Wege zu Fuß zurückgelegt<br />

werden mussten, ist ein besonders bekannter Spezialist dennoch von Seewald bis nach<br />

Blons gegangen, was auf den heutigen Straßen einem Weg von mindestens neun Kilometer<br />

entspricht, mit einigem Höhenunterschied. Ein anderer Walser Spezialist wurde wegen<br />

seiner besonderen Kenntnisse bis in den Bregenzerwald geholt. Vergolten wurden ihre<br />

Dienste, die auch unter Nachbarschaftshilfe fielen, indem man seinerseits bei anfallenden<br />

Arbeiten geholfen hatte. Bezahlt wurden höchstens „ein paar Schillinge“, weshalb man<br />

sich keine Gedanken über die Bezahlung machen musste. „Bargeld hätt ma da nia<br />

bruucht. Des is o einfach selbstverständlich gse.“ (GP25) Verdient haben die<br />

Spezialistinnen und Spezialisten mit ihrer Arbeit nichts. Ein Gesprächspartner der jüngeren<br />

Generation erzählt, dass er sich 50 bis 100 Schilling <strong>für</strong> einen Aderlass geben ließ, um<br />

das, was er <strong>für</strong> den Fliadr und die Kette (Abbildung 63) ausgegeben hat, wieder herein zu<br />

holen. Als die Werkzeuge abbezahlt waren, ließ er sich als Gegenleistung auch mal nach<br />

der Messe auf ein oder zwei Biere einladen.<br />

Es wird von einem Spezialisten erzählt, der besonders viel Wert auf Vorbeugung gelegt<br />

hat, und zum Beispiel immer die Kälbereimer überprüft hat. Diese waren früher noch aus<br />

Holz und wenn sie nicht mit kochendem Wasser - welches nur in der Küche zur Verfügung<br />

stand - ausgeschrubbt wurden, haben sich Bakterien 10 festgesetzt, die falsche Säure<br />

genannt wurden und Durchfall hervorriefen. Außerdem betonte er die Wichtigkeit, dass<br />

man den Kälbern nur körperwarme Milch gibt und gegebenenfalls ihre Verdauung<br />

unterstützt, indem man die Milch mit einem Schuss Rotwein oder Ähnlichem „bricht“<br />

(5.2.1.1 Rotwein). Zusammenhänge, die heute schon allgemein bekannt zu sein scheinen,<br />

haben die frühen Spezialistinnen und Spezialisten durch langjährige Erfahrung erforscht<br />

und aufgedeckt. Nach Angaben eines Gesprächspartners hatten sie eine sehr gute<br />

Beobachtungsgabe und haben auch manchmal in langen, intensiven Kontakt mit den<br />

Tieren auf der Alpe gelebt. Ihr Wissen umfasste auch oft ein breites Allgemeinwissen und<br />

besondere Heilpflanzenkenntnisse. Manche Anwendungen wurden auch von einem<br />

Spezialisten beziehungsweise einer Spezialistin eingeleitet und mussten dann täglich vom<br />

betroffenen Bauern oder von der Bäuerin durchgeführt werden, zum Beispiel die<br />

Benutzung einer Milchnadel (Abbildung 9), wenn die Milch nicht abfließen konnte.<br />

10 Milchsäurebakterien und Streptokokken<br />

57

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!