Martina Grabowski - Institut für ökologischen Landbau - Boku
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Ein besonderes Interesse gilt in der ethnoveterinärmedizinischen Forschung den<br />
praktizierenden Experten und Expertinnen des Gebiets. Die Palette ist weitgefächert, in<br />
fast jeder Weltregion gibt es mehrere verschiedene Metiers 5 . In Österreich gab es bis in die<br />
frühen 1980er Jahre in jedem Dorf sogenannte „Bauerndoktoren“, welche über ein hohes<br />
Wissen in der Tierheilkunde verfügten und gerufen wurden, wenn der Tierarzt als zu teuer<br />
betrachtet wurde oder es in Notfällen zu lange gedauert hätte, ihn zu konsultieren (Grasser<br />
2006:31f.). Die „Bauerndoktoren“ wurden je nach Region auch „Viehdoktoren“,<br />
„Bauernpfuscher“ und „Not-, Hilfs- oder Laientierärzte“ genannt (Grasser 2006:32). Die<br />
Bauern hatten keine Hemmungen, die „Bauerndoktoren“ um jede Tages- und Nachtzeit um<br />
Hilfe zu bitten. Sie wurden <strong>für</strong> ihre wertvolle Hilfe von den Bauern und Bäuerinnen hoch<br />
geachtet, arbeiteten jedoch in Konkurrenz mit den Tierärzten (Grasser 2006:88).<br />
Auch Geistliche spielen in ländlichen Regionen eine Rolle, da sie Weihwasser und Kräuter<br />
segnen, welche dann als Heilmittel oder zum Räuchern von Haus und Stall verwendet<br />
werden (Grasser 2006:85). Die Wahl der Spezialistin oder des Spezialisten hängt von der<br />
Person, dem Tier und dessen Besitzer oder Besitzerin ab. Manche Aufgaben und<br />
Handlungen werden traditionell nur von einer bestimmten sozialen Gruppe (einem<br />
Geschlecht, einer Kaste oder einem Klan, etc.) durchgeführt, wodurch diese Gruppe über<br />
einen größeren Wissensschatz in dem jeweiligen Bereich verfügt (McCorkle et al.<br />
2001:20f.). Spezialisten und Spezialistinnen, welche über spezifisches Wissen verfügen,<br />
haben diesen Status auch aufgrund ihrer politischen sowie religiösen Autorität. Die<br />
Verteilung ist oft, wie die Wissensweitergabe, ungleich zwischen den Geschlechtern,<br />
Altersgruppen oder sozialen Gruppen verteilt (Ellen und Harris 2000:5).<br />
2.3 Hausmittel<br />
Hausmittel sind Teil der Volksheilkunde, welche vom Volk, unabhängig von Ärzten<br />
betrieben wird. Sie ist die Grundlage der Naturheilkunde (NL 2009). Die Therapieformen<br />
auf Grundlage der Heilkräfte der Natur zielen auf die Krankheitsursache ab. Sie umfassen<br />
Ernährung, Bewegung, Massage und Therapieformen mit Luft, Licht und Wasser. Die<br />
gesamte Lebensweise wird auf Förderung und Erhalt der Gesundheit ausgerichtet und<br />
schädliche Einflüsse werden möglichst vermieden. Im weiteren Sinn wird auch die<br />
Behandlung mit natürlichen Heilmitteln, vor allem Heilpflanzen, miteingeschlossen<br />
(Drysdale 2000:12f.). Diese Betrachtung kann durch die geistige Dimension ergänzt<br />
werden: Die Kraft der Gedanken und der Gefühle sowie innere Ruhe und Regeneration.<br />
Zwar werden die Rezepte von Hausmitteln häufig innerhalb der Familie weitergegeben -<br />
woraus sich ein Laiensystem entwickelt -, doch sind sie auch Hausärzten und<br />
Hausärztinnen oft bekannt. Sie stammen vor allem aus der Naturheilkunde oder genauer<br />
gesagt der Heilpflanzenkunde. Hausmittel sind in der Regel mit selten auftretenden,<br />
schwachen Nebenwirkungen behaftet. In der Sozialmedizin wird die Anwendung von<br />
Hausmitteln als autonomes, selbstständiges Aktivwerden des Patienten betrachtet, was mit<br />
dem Placebo-Effekt in Verbindung stehen kann (WB 2009).<br />
Zur Bestimmung des Begriffs Hausmittel in der regionalen Konnotation werden die<br />
Aussagen mehrerer österreichischer Tierärzte herangezogen: „Ein Hausmittel ist etwas,<br />
was der Landwirt oder Tierbetreuer selbst herstellen und selbst anwenden kann und was<br />
lange Zeit schon immer wieder bei Tieren angewendet wurde (…)“ (Bizaj 2005:78).<br />
5 Eine umfassende Auflistung der Berufsbezeichnungen, der Praktiken und der Regionen, in denen sie<br />
praktizieren, findet sich in McCorkle et al. (2001:18ff.).<br />
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