Martina Grabowski - Institut für ökologischen Landbau - Boku
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2.2 Ethnoveterinärmedizin<br />
Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte die veterinärmedizinische Praxis fast<br />
ausschließlich als traditionell bezeichnet werden, da sie auf kontinuierlich<br />
weitergegebenem Erfahrungswissen gründete, ohne dass sich etwas einschneidend<br />
verändert hätte (Mathias et al. 1996:3). In den nördlichen Ländern kam es erst mit der<br />
Entdeckung der allopathischen Arzneimittel vor circa einem Jahrhundert zu gravierenden<br />
Veränderungen. Die moderne Medizin löste die traditionelle Heilkunde ab und deckt heute<br />
alle Aspekte der Human- und Veterinärmedizin ab (Pieroni et al. 2004:55). In südlichen<br />
Ländern und abgelegenen Regionen der nördlichen Länder konnten traditionelle Praktiken<br />
jedoch bis heute überdauern und werden immer noch angewandt. In den frühen 1980er<br />
Jahren fand auch in der Wissenschaft wieder eine Rückbesinnung auf die Medizinsysteme,<br />
die sich davor in der Tierheilkunde bewährt hatten, statt und die Disziplin der<br />
Ethnoveterinärmedizin konnte sich etablieren (McCorkle et al. 2001:1).<br />
McCorkle ist die erste Wissenschaftlerin, die eine Definition von<br />
ethnoveterinärmedizinscher Forschung und Entwicklung liefert. Ethnoveterinary Research<br />
and Development kann definiert werden als:<br />
„the holistic, interdisciplinary study of local knowledge and its associated<br />
skills, practices, beliefs, practitioners, and social structures pertaining to the<br />
healthcare and healthful husbandry of food, work, and other income-producing<br />
animals, always with an eye to practical development applications within<br />
livestock production and livelihood systems, and with the ultimate goal of<br />
increasing human well-being via increased benefits from stockraising”<br />
(McCorkle 1995:53).<br />
Als weiteres Ziel kann die Erhöhung an zuverlässigen Optionen <strong>für</strong> die Bauern und<br />
Bäuerinnen bezüglich der Behandlung ihrer Tiere hinzugefügt werden. Es sollen möglichst<br />
günstige, zugängliche und nachhaltige Alternativen zur Veterinärmedizin angeboten<br />
werden (Mathias et al. 1996:2). Insbesondere in ländlichen Gegenden soll die<br />
Gesundheitsversorgung der Tiere verbessert werden (Mathias 2007:241). Außerdem ist die<br />
Ethnoveterinärmedizin ein wichtiges Arbeitsfeld in der Entwicklungszusammenarbeit, da<br />
es sehr anwendungsorientiert ist (Mathias et al. 1996:2). Es wäre naiv zu glauben, nur die<br />
Ethnoveterinärmedizin oder die Veterinärmedizin allein würde ausreichen, um auf alle<br />
Probleme eine Antwort finden zu können. Das Ziel ist nicht ein medizinisches Paradigma<br />
über das andere zu stellen, sondern Kontaktpunkte zwischen den beiden herzustellen (Salih<br />
1992:30).<br />
2.2.1 Verortung des Themas innerhalb der relevanten Disziplinen<br />
Wenn es in der Kultur- und Sozialanthropologie um die Untersuchung von Krankheit,<br />
Gesundheit, Körper, Leiden, Geburt und Tod geht, gibt es keine einheitliche<br />
Fachbezeichnung. Es werden am häufigsten die Begriffe Medical Anthropology,<br />
Medizinanthropologie, Ethnomedizin und Medizinethnologie verwendet. Die Medical<br />
Anthropology wird als Schnittstelle zwischen Anthropologie und Medizin betrachtet und<br />
arbeitet inter- wie transdisziplinär mit zahlreichen Nachbardisziplinen zusammen. Die<br />
Arbeitsfelder gehen weit über den akademischen Rahmen hinaus, wodurch sich die<br />
Medical Anthropology an die Praxis anschlussfähig macht und ein großes<br />
Problemlösungspotential birgt. Trotz der enormen Heterogenität verfolgen alle<br />
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