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Literaturgeschichte 750-1500

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105<br />

daz ietweder dem andern was<br />

durchlûter als ein spiegelglas.<br />

Si hæten beide ein herze:<br />

ir swære was sîn smerze,<br />

sîn smerze was ir swære;<br />

si wâren beide einbære<br />

an liebe unde an leide<br />

und hâlen sich doch beide,<br />

und tete das zwîvel unde scham:<br />

si schamte sich, er tete alsam;<br />

si zwîvelte an im, er an ir.<br />

Swie blint ir beider herzen gir<br />

an einem willen wære,<br />

in was doch beiden swære<br />

der urhap unde der begin:<br />

daz hal ir willen under in.<br />

11879ff.:<br />

Die kiele stiezen aber an<br />

und fuoren frôlîche dan,<br />

wan alse vil, daz Minne<br />

zwei herze dar inne<br />

von ir strâze hæte brâht.<br />

Diu zwei diu wâren verdâht,<br />

bekumberet beide<br />

mit dem lieben leide,<br />

daz solhiu wunder stellet:<br />

daz honegende gellet,<br />

daz süezende siuret,<br />

daz touwende fiuret,<br />

daz senftende smerzet,<br />

daz elliu herze entherzet<br />

und al die werlt verkêret:<br />

daz hæte si versêret,<br />

Tristanden und Îsôte.<br />

Si twanc ein nôt genôte<br />

und in seltsæner ahte:<br />

ir dewederez enmahte<br />

gehaben ruowe noch gemach,<br />

wan sô ez daz andere sach.<br />

So si aber ein ander sâhen,<br />

daz gieng in aber nâhen,<br />

wan si enmohten under in zwein<br />

ir willen niht gehaben enein:<br />

daz geschuof diu fremede und diu scham,<br />

diu in ir wunne benam,<br />

so si eteswenne tougen<br />

mit gelîmeten ougen<br />

ein ander solten nemen war,<br />

sô wart ir lîch geliche var<br />

dem herzen und dem sinne.<br />

Minne diu verwærinne,<br />

die endûhte es niht dâ mite genuoc,<br />

daz man si in edelen herzen truoc<br />

verholne unde tougen,<br />

sine wolte under ougen<br />

ouch offenbæren ir gewalt:<br />

der was an in zwein manicvalt.<br />

Unlange enein ir varwe erschein,<br />

ir varwe schein unlange enein:<br />

si wehselten genôte<br />

bleich wider rôte;<br />

si wurden rôt unde bleich,<br />

als ez diu Minne understreich.<br />

Hie mite erkande iewederez wol,<br />

als man an solhen dingen sol,<br />

daz eteswaz von minnen<br />

in ietwederes sinnen<br />

ze dem andern was gewant,<br />

dass jedes dem anderen<br />

durchsichtig wie ein Spiegelglas war.<br />

Sie hatten beide zusammen nur ein Herz:<br />

ihre Beschwernis bereitete ihm Schmerz,<br />

sein Schmerz bereitete ihr Beschwernis;<br />

sie waren beide einträchtig<br />

in Liebe und Leid<br />

und verhehlten es doch beide vor einander,<br />

und das bewirkten Zweifel und Scham:<br />

sie schämte sich, und er ebenso.<br />

Sie zweifelte an ihm, er an ihr.<br />

Wie blindlings auch die Begierde ihrer beiden<br />

Herzen dasselbe wollte,<br />

so fiel doch ihnen beiden der Anfang (urhap)<br />

und der Beginn schwer:<br />

dadurch verhehlten sie einander, was sie wollten.<br />

Die Schiffe legten wieder ab<br />

und fuhren von dannen, fröhlich<br />

mit der einen Ausnahme, dass Minne<br />

zwei Herzen in den Schiffen<br />

von ihrem Weg abgebracht hatte.<br />

Die beiden waren in Gedanken versunken<br />

und mit dem Kummer erfüllt<br />

mit dem lieben Leid,<br />

das folgende Wunder bewirkt:<br />

das, was das Honigende vergällt,<br />

das, was das Süße verbittert,<br />

das, was das Traurige zu Feuer macht,<br />

das, was das Lindernde schmerzhaft macht,<br />

das, was allen Herzen ihr Herzsein nimmt,<br />

und die ganze Welt verkehrt:<br />

das hatte sie verwundet,<br />

Tristan und Isolde.<br />

Sie zwang eine Not unablässig<br />

und auf seltsame Art:<br />

keines von beiden konnte<br />

Ruhe oder Annehmlichkeit haben,<br />

außer wenn es das andere sah.<br />

Wenn sie aber einander ansahen,<br />

so ging ihnen das wieder nahe,<br />

denn sie konnten nicht miteinander<br />

tun, was sie wollten:<br />

das bewirkten die Fremdheit und die Scham,<br />

die sie daran hinderten, in Wonne zu leben,<br />

und wenn sie bisweilen heimlich (tougen)<br />

mit aneinander festgeleimten Augen<br />

einander wahrnahmen,<br />

so nahm ihr Körper dieselben Farben an<br />

wie das Herz und der Sinn.<br />

Minne, die Färberin<br />

dünkte es damit nicht genug,<br />

dass man sie in edlen Herzen trug,<br />

verhohlen und heimlich,<br />

sondern sie wollte öffentlich (under ougen)<br />

ihre Gewalt offenbaren:<br />

die zeigte sich an den beiden mannigfach.<br />

Nur kurz erschien ihre Farbe gleichmäßig,<br />

ihre Farbe erschien nur nur kurz gleichmäßig:<br />

sie wechselten oft genug<br />

zwischen blaß und rot.<br />

Sie wurden rot und blaß,<br />

wie es die Minne ihnen aufschminkte.<br />

Daran erkannte jedes von beiden wohl,<br />

wie es bei diesen Dingen üblich ist,<br />

dass irgendetwas von Minne<br />

in den Gedanken des anderen<br />

dem anderen zugewandt war,

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