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Literaturgeschichte 750-1500

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als Literaturwissenschaftler lesen, interessiert es erst recht nicht, ob ein Autor „wirklich verliebt war“, denn die<br />

Schilderung der Liebe im ‚Frauendienst‘ hat eine öffentlich-literarische Funktion, und falls sie für Eingeweihte<br />

zusätzlich eine ‚private Funktion‘ hatte, so ist uns diese eben ex definitione nicht zugänglich. Aber ich lege Wert<br />

auf die Feststellung, dass derlei kulturgeschichtlich denkbar ist.<br />

Man lobt si hôhe: daz was reht.<br />

Mit Recht pries man sie hoch.<br />

Ich was der selben vrowen kneht<br />

Ich war Page dieser Dame,<br />

vil nâch unz in daz fünfte jâr.<br />

fast vier Jahre lang.<br />

Daz ich iu sage, daz ist wâr.<br />

Was ich euch erzähle, ist wahr.<br />

Mîn ougen kunden nie ersehen<br />

Ich konnte an ihr nie<br />

an ir unwîpheit, noch erspehen:<br />

etwas Unweibliches entdecken.<br />

si was ouch ze allen zîten guot,<br />

Auch war sie stets edel und wohlgemut,<br />

in wîbes zühten wol gemuot.<br />

wie es sich für eine Frau ziemt.<br />

vil nâch ‚beinahe‘ in daz fünfte jâr ‚bis zum Beginn des 5. Jahres‘.<br />

Es gibt wenig andere Reime auf jâr als wâr. Die Wahrheitsbeteuerung Daz ich iu sage, daz ist wâr in der Frage der<br />

Bedeutung und Funktion von Wahrheitsbeteuerungen in der Dichtung zu diskutieren, ist daher wohl Überinterpretation;<br />

hier ist es einfach ein Füllreim, weiteres Nachdenken unangemessen. Aber im Ganzen wird man sich<br />

wohl fragen müssen, auf welchen Ebenen des Denkens Ulrichs ‚Wahrheiten‘ solche sind.<br />

Das Phänomen ‚Denken‘ oder ‚Überlegen‘ wird oft durch einen Dialog des Menschen mit seinem Herzen<br />

dargestellt. Die Verselbständigung der Körperteile spielt in mittelalterlichem Denken überhaupt eine große Rolle;<br />

wir haben in diesem Skriptum Ausdrücke wie mîn hant einfach mit ‚eigenhändig‘ übersetzt und dergleichen; wenn<br />

wir genau wären, müßten wir da jedesmal viele Anmerkungen über Bedeutung und Funktion solcher Ausdrucksweisen<br />

machen.<br />

Dô sprach mîn herze wider mich<br />

Da sprach mein Herz zu mir:<br />

„guot vriunt, geselle, wil dû dich<br />

„Guter Freund, Gesell, willst du dich<br />

für eigen einer vrowen geben<br />

einer Dame als Herrin zu eigen geben<br />

und ir ze dienest immer leben,<br />

und immer in ihrem Dienst leben,<br />

daz sol disiu vrowe sîn:<br />

so soll es diese Herrin sein.<br />

daz rât ich ûf die triuwe mîn.<br />

Das rate ich dir bei meiner Treu.<br />

Diu ist gar alles wandels vrî:<br />

Die ist frei von jeder Untreue,<br />

der sül wir sîn mit triuwen bî.“<br />

also wollen wir in Treue zu ihr stehen.“<br />

Das Zwiegespräch zwischen dem Sänger und seinem Herzen ist ein beliebtes Gestaltungsmittel. Der Rechtsstatus<br />

eines eigen man ist der eines Unfreien, der nicht den Dienst quittieren dürfte – was ein Gefolgsmann könnte, der<br />

prinzipiell frei ist, auch wenn es als unehrenhaft angesehen würde, wenn Gefolgsleute im Zeitpunkt einer Gefahr<br />

den Herrn verließen. Der Dienst des Gefolgsmannes ist freiwillig lebenslänglich, der des eigen man, des Sklaven,<br />

ohne Alternative. Trotzdem wird Ulrich diesen Dienst quittieren: das unterscheidet den Minnesklaven vom sozial<br />

Unfreien. Den Dienst am Herzog könnte er nicht quittieren, denn Ministeriale, zu denen Ulrich gehörte, gehörten<br />

zwar zum Adel, waren aber unfrei, das heißt, sie konnten sich nicht selbst einen Herrn wählen.<br />

“Ich volg dir, herze, swes dû wil.<br />

Doch ist uns beiden gar ze vil<br />

daz wir ir dienen umb den solt<br />

den man von guoten wîben holt.<br />

Jâ ist diu guote vrowe mîn<br />

vil hôher denn wir beidiu sîn,<br />

si ist ze hôh gar uns geborn:<br />

des mac der dienst werden vlorn.“<br />

vlorn = verlorn.<br />

„Ich folge dir, Herz, in allem, was du willst.<br />

Doch ist es für uns beide zu schwer erreichbar,<br />

wenn wir ihr um den Lohn dienen,<br />

den man von guten Frauen erlangt.<br />

Meine edle Herrin ist doch<br />

viel höher als wir beide.<br />

Sie ist für uns von zu hoher Abstammung;<br />

deswegen ist der Dienst vielleicht vergeblich.“<br />

Die Angst, dass die Dame wegen ihres hohen Standes den Ritter nicht erhören könnte, ist einer der häufigsten<br />

Topoi des Minnesangs; auch der ‚schüchterne Sänger‘ leidet an ihr. Gerade deshalb wird diesem Phänomen auch in<br />

der Realität oft Bedeutung zugekommen sein.<br />

“Swîc, lîp, und hoere: ich wil dir sagen.<br />

„Schweig, Leib, und hör, ich will dir sagen:<br />

Ez wart nie wîp bî iemens tagen<br />

niemals noch gab es eine Frau,<br />

sô hôch sô rîch noch alsô wert,<br />

die so hoch oder mächtig oder edel war,<br />

ist daz ein edel ritter gert<br />

dass nicht ein Ritter, wenn er<br />

ir ze dienen sîne zît,<br />

sein Leben in ihrem Dienst verbringen will<br />

sô daz er herze lîp guot gît<br />

und Herz, Leib und Gut<br />

in ir dienst als er sol,<br />

in ihren Dienst stellt, wie es sich gehört,<br />

im müge an ir gelingen wol.“<br />

bei ihr Erfolg haben könnte.“<br />

gert ‚begehrt‘; gît kontrahierte Form von gibet; mugen ‚können‘.<br />

“Herze, ich swer dir einen eit<br />

„Herz, ich schwör dir einen Eid<br />

ûf alle mîne sælikeit,<br />

bei meinem Seelenheil,<br />

daz si mir ist für elliu wîp<br />

dass sie mir mehr bedeutet als alle Frauen<br />

und lieber dan mîn selbes lîp.<br />

und mir lieber ist als ich selbst.<br />

Ûf den minneclîchen wân,<br />

In der Hoffnung auf Liebeserfüllung,

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