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Literaturgeschichte 750-1500

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den ich gein ir vil guoten hân,<br />

die ich ihr, der so guten, gegenüber habe,<br />

sô wil ich hiut und immer mê<br />

will ich heute und allezeit<br />

ir dienen, swie sô ez mir ergê.“<br />

ihr dienen, wie immer es mir auch ergehen mag.“<br />

für ‚vor‘ im Sinn von ‚lieber als‘.<br />

Dô sich bewac herz unde lîp<br />

Als Herz und Leib sich entschlossen hatten,<br />

ze werben umb daz werde wîp,<br />

um die edle Frau zu werben,<br />

dô gie ich für die guoten stân,<br />

ging ich hin, stellte mich vor sie<br />

und sach si minneclîchen an.<br />

und schaute sie liebevoll an.<br />

Ich dâht „wol mich, sol si daz sîn,<br />

Ich dachte: „wohl mir, wenn sie es sein soll,<br />

diu werde süeze vrowe mîn,<br />

meine edle, liebe Herrin,<br />

bî der ich immer mêr muoz wesen,<br />

bei der ich immer bleiben werde,<br />

bî ir verderben oder genesen.“<br />

auf Verderb oder Gedeih.“<br />

sich bewegen (einer Sache) ‚sich zu etwas entschließen‘.<br />

Ich dâht „waz sol ich dienen ir,<br />

Ich dachte: „Was für einen Dienst kann ich ihr leisten,<br />

daz sich rehte füege mir,<br />

der mir richtig gelingt,<br />

für vil manic edel kint,<br />

besser als den vielen anderen Pagen,<br />

die bî ir hie in dienest sint?<br />

die hier in ihrem Dienst stehen?<br />

Der dienet ir lîht einez baz:<br />

Vielleicht dient ihr eines von denen besser,<br />

sô wirt mîn vrowe mir gehaz.<br />

und dann falle ich in Ungnade bei meiner Herrin.<br />

Nu enweiz ich waz ich anders tuo,<br />

Ich weiß keine andere Lösung,<br />

ich dien ir spât, ich dien ir fruo.<br />

als dass ich ihr früh und spät diene.“<br />

füegen ‚passend zusammenfügen‘.<br />

Ir mac wol einez dienen mê:<br />

Kann sein, dass eines von den anderen ihr mehr dient.<br />

ich wæn dem doch sîn herze iht stê<br />

Doch glaube ich nicht, dass dessen Herz<br />

gein ir alsam daz mîne stât,<br />

so zu ihr steht wie das meine,<br />

und wæns ouch iht sô liebe hât<br />

und ich glaube auch nicht, dass es so voll Liebe ist,<br />

als ichs in mînem herzen hân.<br />

wie ich sie im Herzen trage.<br />

Des einen wil ich in vor gân<br />

In dieser Hinsicht will ich ihnen und allen<br />

und allen liuten mîniu jâr.<br />

anderen Leuten mein Leben lang voraus sein.<br />

Daz weiz ich endelîchen wâr.“<br />

Das weiß ich sicher.“<br />

Jemandem vor gân ‚jemandem in etwas voraus sein‘.<br />

Einez ofte mir geschach.<br />

Oft geschah mir folgendes:<br />

Swenne ich iht schoener pluomen brach,<br />

wenn ich schöne Blumen pflückte,<br />

des sumers, sô daz solde sîn,<br />

im Sommer, wie es sich gehört,<br />

die truog ich sâ der vrouwen mîn.<br />

so trug ich sie gleich zu meiner Herrin.<br />

Nam si die in ir wîzen hant,<br />

Wenn sie die in ihre weiße Hand nahm,<br />

sô wart mir freuden vil bekant:<br />

erfuhr ich große Freude.<br />

ich dâht „dâ dû si grîfest an,<br />

Ich dachte: „Dort wo du sie angreifst,<br />

dâ hân ich in alsam getân.“<br />

dort habe ich sie auch angegriffen.“<br />

iht schoener pluomen ‚irgendetwas an schönen Blumen‘; alsam ‚ebenso‘ (vgl. Engl. all the same).<br />

Mîn vreude was vil ofte grôz,<br />

Oft hatte ich große Freude,<br />

swenne ich kom dâ man wazzer gôz<br />

wenn ich dazu kam, dass man das Wasser<br />

der herzenlieben vrowen mîn<br />

meiner herzlieben Herrin<br />

ûf ir vil wîzen hendelîn. über ihre weißen Händchen goß. 111<br />

Daz wazer dâ mit si sich twuoc,<br />

Das Wasser, mit dem sie sich gewaschen hatte,<br />

verholn ich daz von danne truoc:<br />

trug ich dann heimlich fort<br />

vor liebe ich ez gar ûz tranc.<br />

und vor Liebe trank ich es ganz aus.<br />

Dâ von sô wart mîn trûren kranc.<br />

Das stillte meine Trauer.<br />

twahen ‚waschen‘; kranc ‚schwach‘, ‚die Trauer wird schwach‘ = ‚wird gestillt‘.<br />

Kintlîch ich ir diente vil,<br />

Kindlich diente ich ihr auf vielerlei Art,<br />

daz ich nu hie verswîgen wil.<br />

aber darüber will ich jetzt nicht sprechen.<br />

Swaz sô ein kint gedienen mac,<br />

Sogut ein Kind dienen kann,<br />

daz dient ich ir unz ûf den tac<br />

diente ich ihr so lange,<br />

Daz mich mîn vater von ir nam.<br />

bis mich mein Vater aus ihrem Dienst nahm.<br />

Dâ wart mir senlich trûren zam:<br />

Da lernte ich den Liebesschmerz kennen:<br />

mir wart der minne kraft bekant<br />

die Gewalt der Liebe lernte ich<br />

in mînem herzen sâ zehant.<br />

mit einem Mal in meinem Herzen kennen.<br />

senlich trûren ‚Trauer aus Liebesschmerz‘; zam ‚zahm‘ bezeichnet das Haustier, das immer beim Menschen wohnt, im Gegensatz<br />

zu wilde ‚das man selten sieht, fremd‘; zehant ‚sofort, sogleich‘.<br />

Mîn lîp der schiet von danne sâ:<br />

Da schied ich von dort.<br />

daz herze mîn beleib aldâ,<br />

Aber mein Herz blieb dort,<br />

daz wolde mit mir danne niht.<br />

das wollte nicht fort mit mir.<br />

123<br />

111 Man denkt dabei im allgemeinen an das Händewaschen vor der Mahlzeit.

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