Literaturgeschichte 750-1500
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gemeint ist. 107 Den Ritterschlag erhielt er auf dem Fest anläßlich der Hochzeit einer Tochter Leopolds VI. in Wien<br />
1222. Seit etwa 1230 sind uns Siegel Ulrichs auf Urkunden belegt. Sein Siegel besaß die Form einer fünfblättrigen<br />
Rose; das Zeichen der Liebe. In den folgenden Jahren ahmten eine Reihe Adeliger aus den Alpenländern dieses<br />
nach; die Mode der ‚Rosensiegel‘ ist wahrscheinlich von Ulrich begründet (gelegentlich wurde sie auch variiert;<br />
dieselbe Aussage in Worte statt in ein Bild gekleidet trägt das Siegel des bayrischen Ritters Ulrich von Mosen von<br />
1239: „AMOR AVE“). 108 Bald nach 1230 erbaute er die Frauenburg. Diese liegt an einem strategisch wichtigen<br />
Punkt, bei Unzmarkt im Murtal unterhalb des Überganges nach Kärnten (Perchauer Sattel) und kontrolliert somit<br />
den Fernweg Wien – Italien. Sie ist die erste bzw. letzte Möglichkeit für die Babenberger, unerwünschte Passanten<br />
anhalten zu lassen, denn Friesach an der südlichen Seite des Überganges gehörte dem mit Österreich oft verfeindeten<br />
Erzbistum Salzburg. Den Bau dieser strategisch wichtigen Festung vertraute der Herzog sicher einem politisch<br />
bewährten und tatkräftigen Mann an. Trotzdem fand sich Ulrich, wie alle steirischen Ministerialen des Herzogs,<br />
beim Krieg Kaiser Friedrichs II. (Staufer) gegen den Herzog Friedrich II. (Babenberger) auf der Seite des Kaisers<br />
(oder der Kaiser auf der Seite der aufständischen Ministerialen), galt sogar als einer ihrer Anführer. Er scheint<br />
sich jedoch beiden Seiten gegenüber so loyal verhalten zu haben, dass er, als es 1239 zu einem Kompromißfrieden<br />
kam, vom Herzog in die bedeutende Position des Truchsessen der Steiermark gehoben wurde (1241). Den Tod<br />
Herzog Friedrichs II. in der Schlacht an der Leitha (1246) schildert Ulrich, selbst Schlachtteilnehmer, als Beinahe-<br />
Augenzeuge. 1247/48 wurde Ulrich fast ein Jahr lang auf seiner eigenen Burg gefangengesetzt; da eine erhaltene<br />
Urkunde bezeugt, dass er wenige Monate zuvor für einen anderen Ministerialen, den der Erzbischof von Salzburg<br />
gefangensetzen hatte lassen, Bürgschaft geleistet hatte, mag die Gefangenschaft Ulrichs 109 im Zusammenhang mit<br />
den politischen Reibungen der Steirer mit Salzburg nach dem Tod des Herzogs liegen. 1255 verfaßte er den genannten<br />
Frauendienst, in den er seine früheren lyrischen und kleinepischen Werke (‚Büchlein‘) einlegte und die<br />
persönliche Situation schilderte, in der sie entstanden waren. 1257 trat er mit einem zweiten Werk hervor, dem<br />
Frauenbuch, das das Verhältnis zwischen Mann und Frau theoretisch abhandelt, in Form einer Diskussion zwischen<br />
einer Dame und ihrem Ritter. Das Frauenbuch ist viel weniger lebendig, da Ulrichs Stärke in erster Linie im<br />
lyrischen Gefühlsausdruck und in der humorvollen Schilderung seiner Jugendabenteuer liegt. An der theoretischen<br />
Erörterung der Stellung der Geschlechter zueinander scheint ihm viel gelegen zu sein, da langatmigere Passagen<br />
über dieses Thema auch im Frauendienst den sonst lebendigen Erzählfluß unterbrechen. Schließlich besitzen<br />
wir noch Nachrichten über Ulrich in einem Geschichtswerk, der steirischen Reimchronik des Ottokar von der<br />
Gaal, das die Zeit von 1250 bis in die Zeit des Autors (um und nach 1300) behandelt. Freilich nur über den alten<br />
Ulrich; seine ritterlichen Unternehmungen waren für den Berichtszeitraum der Reimchronik zu früh. Was Ottokar<br />
von ihm sagt, ist interessant: König Ottokar von Böhmen ließ 1268/69 einige steirische Herren gefangensetzen<br />
(Ulrichs zweite Gefangenschaft). Als sie freigelassen wurden „begannen sie sich wie Leute zu gebaren, denen Unbill<br />
zugefügt worden war. An ihrem Hinken erkannte man, dass ihnen die Ketten, die sie getragen hatten, weh getan<br />
hatten. Dass sie um ihr Leben gefürchtet hatten, war nicht spurlos an ihnen vorübergegangen. Man erkannte das an<br />
ihrem Äußeren: Mit spannenlangen Bärten erschienen sie alle vor dem König, ausgenommen Herr Ulrich von<br />
Liechtenstein. Der benahm sich, als hätte er nie Schmerz erlitten und allen Schaden vergessen. Seinen Gefängnisbart<br />
hatte er abrasiert und neue Kleider angelegt.“<br />
Eitel und noch im Alter kleiderfroh wird Ulrich gezeichnet, doch nicht wehleidig. Ein unerschrockener<br />
Mann, wie schon seine wichtige Rolle im Aufstand der steirischen Ministerialen gegen den Herzog und die Teilnahme<br />
an der Schlacht an der Leitha zeigen.<br />
Und dieser im öffentlichen Leben stehende Mann, verheiratet, Familienvater, besiegelt seine Urkunden mit einem<br />
rosenförmigen Siegel, dem Zeichen der Liebe, nennt die von ihm erbaute Burg den Damen zu Ehren Frauenburg<br />
und bekennt als Fünfundfünfzigjähriger in einem literarischen Werk, sein ganzes Leben nur im Dienst der<br />
Damen verbracht zu haben; es sei ein einziger ‚Frauendienst‘ gewesen. Gerade die Benennung seiner Burg als<br />
‚Frauenburg‘, und zwar nicht nur in seinem literarischen Werk, sondern auch in der Realität (auch in der Reimchronik<br />
Ottokars heißt Ulrichs Burg ‚Frauenburg‘), obwohl die Burg natürlich für strategische Zwecke und nicht<br />
für den Minnedienst erbaut wurde, zeigt, dass der „Minnedienst“ etwas Öffentliches in dem Sinn war, dass man<br />
sein ganzes Leben als Dienst an den Damen stilisierte, und die öffentlich, in der Hofgesellschaft vorgetragene,<br />
Minnedichtung hat ja eine andere Funktion als ein Liebeslied, das jemand für eine persönliche Geliebte dichtet.<br />
Aber diese Fiktion ist keine nur literarische, sondern zeigt sich auch andernorts in Hoffesten und Kostümierungen;<br />
die phantasievollen Aktionen wurden nicht erst von Ulrich ersonnen, als er 1255 den ‚Frauendienst‘ schrieb, son-<br />
107 Der in Mödling residierende Babenberger Heinrich wird in den historischen Quellen nie Markgraf genannt, sondern immer<br />
Herzog.<br />
108 ‚Amor, sei gegrüßt’. Abbildungen bei H. REICHERT, Rosensiegel Ulrichs von Lichtenstein. Auch dieses Siegel hängt an einer<br />
Urkunde über ein Grundstücksgeschäft, nicht etwa an einem Liebesbrief. Natürlich war es Fiktion, dass die ritterliche Gesellschaft<br />
in allem nur aus Verehrung der Frauen handelte – aber eine nicht nur in der Literatur, sondern auch in öffentlichen<br />
Handlungen zur Schau gestellte.<br />
109 Die urkundlich nicht gesichert ist, sondern nur im ‚Frauendienst’ geschildert wird, aber trotzdem wahrscheinlich ist, da es,<br />
wie hier angedeutet, dergleichen in diesen Jahren mehrfach gab – die erhaltenen Urkunden sind nicht einmal mit der Spitze eines<br />
Eisberges vergleichbar, es ist methodisch ganz falsch, von einem Ereignis, nur weil es schlecht bezeugt ist, anzunehmen, es habe<br />
nicht stattgefunden.