Literaturgeschichte 750-1500
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(4983ff.) Tristrant hinterließ Isalde noch seinen Hund zum Abschied, dann zog er fort. Nach verschiedenen Abenteuern kam er<br />
an den Artushof und wurde dort der tapferste Ritter und der beste Freund von Walwan (= Gawein, der Neffe von Artus). Der<br />
versprach ihm, es einzurichten, dass er Isalde wiedersehen könne. Artus besaß ein Jagdhaus in der Nähe von Markes Burg Tintajol,<br />
der umliegende Wald war beiden Herrschern gemeinsam. Walwan richtete es ein, dass Artus sich mit seinem Hof dorthin<br />
auf die Jagd begab, und dass sie einen Hirsch so hetzten, dass er erst in der Nähe von Tintajol gestellt wurde. Zudem wurde es<br />
schon Abend. Walwan riet, man solle die Nacht bei Marke verbringen. Artus zögerte, weil Tristrant bei Marke in Ungnade<br />
stand. Auf Walweins Rat ritt Keie voraus und bat um Friede für alle in Artus‘ Gefolge. Marke empfing alle herzlich, außer<br />
Tristrant. Ihm durfte auch Isalde den Begrüßungskuß nicht geben. Dem Freunde zuliebe verzichtete auch Walwein auf Isaldes<br />
Kuß. Obwohl Marke mit indirekten, aber deutlichen Worten Tristrant warnte, den Hausfrieden zu brechen, konnte Tristrant sich<br />
nicht zurückhalten. Alle schliefen zusammen im großen Saal der Burg, der König und die Königin an einem Ende, doch zu<br />
dieser Zeit in getrennten Betten. Marke hatte aber zum Schutz für das Bett seiner Gattin Wolfseisen aufstellen lassen. Schon am<br />
Hinweg verletzte sich Tristrant, doch er kehrte nicht um. Leider konnte er wegen der Wunde nicht lange bei Isalde verweilen,<br />
und es geschah nicht mehr als zärtliches Umhalsen und Küssen. Zurück bei seinem Bett, wurde das Bluten von Tristrants<br />
Wunde immer stärker. Er klagte Walwein, dass er verloren sei, wenn Marke am Morgen seine Verwundung entdecke. Die Artusritter<br />
beschlossen, Tristrant zu helfen, und Keie gab den Rat, alle sollten eine nächtliche Rauferei beginnen und sich an den<br />
Wolfseisen schneiden. Wirklich taten das alle, nur Keie selbst hielt sich listig heraus. Da packte ihn Walwan und warf ihn so<br />
gegen die Wolfseisen, dass er die größte Wunde davontrug. Keie schrie laut und beschuldigte Marke, ein Attentat auf seine<br />
Gäste zu begehen. Sogar Artus nahm seine Ritter in Schutz und sagte Marke, seine Ritter trieben es jede Nacht so toll. Marke<br />
war beschämt. Nun schliefen alle ein, nur der verwegene Tristrant kehrte zur Königin zurück, und nun lagen sie eng aneinandergeschmiegt.<br />
Sie schenkten einander Lust und Freude bis Tagesanbruch.<br />
Freundschaft mit Kehenis:<br />
Tristrant hielt es nicht lange am Artushof. Er kam in das Land des Königs Havelin und seines Sohnes Kehenis, die von Feinden<br />
hart bedrängt wurden: Havelin hatte seine Tochter einem Werber, dem Grafen Riol, verweigert, was dieser als Beleidigung und<br />
Kriegsgrund auffaßte. Tristrant zog nach Karke 92 , so hieß die Hauptstadt des Landes, und schloß schnell herzliche Freundschaft<br />
mit Kehenis, und erfuhr von ihm, dass seine Schwester Isalde heiße. Ysalden hon ich verlorn, Ysalden hab ich wider funden,<br />
sprach Tristrant. Und es ist gewiß: nie hat er erklärt, er kenne eine Frau, die schöner sei als sie. Tristrant besiegte die Feinde des<br />
Königs, und Kehenis und Havelin bemühten sich, ihn an sie zu binden. Kehenis riet Tristrant, um seine Schwester anzuhalten,<br />
und Tristrant war bereit dazu. Mehr als ein Jahr lebte er aber mit ihr zusammen, ohne dass er sie zur Frau gemacht hätte. Eines<br />
Tages ritt die königliche Familie mit Tristrant und seiner Frau spazieren. Da trat Isaldes Pferd in ein Rinnsal, so dass ihr das<br />
Wasser bis unter das Hemd spritzte und das Knie netzte. Da rief sie: „Wasser, du hast merkwürdige Manieren! Verdammt sollst<br />
du sein, dass du es wagst, so hoch unter mein Gewand zu spritzen! Dahin, wo noch nie eines Ritters Hand mich zu berühren<br />
wagte.“ Kehenis forderte empört Tristrant zum Kampf, doch der rechtfertigte sich: „Eure Schwester Isalde ist mir nicht so entgegengekommen,<br />
dass sie dessen würdig wäre, mir nahezukommen... Es gibt eine Frau, die aus Liebe zu mir ihren Hund weit<br />
liebevoller behandelt, als mich Eure Schwester je behandelt hat...“ Kehenis war bereit, dem zu glauben, wenn er es selbst sähe.<br />
So begann das<br />
Erste Rückkehrabenteuer:<br />
Heimlich zogen beide an Markes Hof, wo Kehenis Gelegenheit hatte, zu sehen, dass Tristrant die Wahrheit gesprochen hatte,<br />
und Tristrant, heimlich Isaldes Liebe zu genießen. Danach kam es jedoch zu einem Zerwürfnis zwischen Tristrant und Isalde:<br />
ein Edelmann aus dem Gefolge Markes hielt Kurvenal und Tristrants Knappen, die vor ihm flohen, für Tristrant und seine<br />
Knappen. Bei seiner Liebe zu Isalde rief er den vermeintlichen Tristrant an, er solle sich stellen. Doch der floh trotzdem weiter.<br />
Als Isalde dies erfuhr, zürnte sie Tristrant, der vergeblich versuchte, sie von der Unrichtigkeit der Vorwürfe zu überzeugen. Als<br />
er sich ihr in der Verkleidung eines Aussätzigen näherte – die größte Demütigung, die man sich vorstellen kann – ließ sie ihn<br />
schlagen, obwohl sie ihn erkannt hatte, und lachte noch dazu. Später sah sie ihr Unrecht ein, doch er war erzürnt, kehrte zur<br />
anderen Isalde zurück und vollzog jetzt die Ehe mit ihr. Tristrant und seine Frau genossen nun viele Freuden miteinander.<br />
Isalde büßte für ihr Unrecht, indem sie ein Hemd aus Pferdehaaren auf der bloßen Haut trug. Das ließ sie Tristrant wissen, und<br />
er kehrte wieder zurück; diesmal als Pilger verkleidet. Nachdem er wieder ihre Liebe genossen hatte – bei den Wiederkehrabenteuern<br />
läßt Isalde meist eine Jagd veranstalten, auf der sie unter einem Vorwand in einem eigenen Zelt schlafen will –,<br />
wollte er heimkehren, doch ein Ritter, der ihn erkannt hatte, forderte ihn auf, an Kampfspielen teilzunehmen. Tristrant lehnte<br />
ab, weil das für ihn zu gefährlich sei, er könnte entdeckt werden. Doch der Ritter wiederholte seine Bitte bei Tristrants Liebe<br />
zu Isalde, und da sagte Tristrant zu. Er gewann die Kampfspiele, doch das Pilgergewand bekam einen kleinen Riß, so dass sein<br />
Seidengewand durchschimmerte, das er darunter für das Stelldichein mit Isalde getragen hatte. Marke, dem von dem seltsamen<br />
Pilger berichtet wurde, der die Kampfspiele gewonnen hatte und ein prächtiges Gewand unter der Pilgerkleidung trug, schöpfte<br />
sofort richtig Verdacht, doch war Tristrant schon über alle Berge. Kehenis geschah es nun ebenfalls, dass er sich in eine verheiratete<br />
Frau verliebte, die von ihrem Gatten immer in seiner Burg eingesperrt wurde, wenn er auf die Jagd ritt. Tristrant half<br />
dem Liebespaar, zu einem Nachschlüssel der Burg zu kommen. Inzwischen war Tristrants Vater Riwalin gestorben, und er<br />
machte sich auf den Weg, Kurneval als seinen Stellvertreter einzusetzen, da er selbst nicht mehr nach Lohnois wollte. Unterwegs<br />
besuchte er nochmals Isalde, und zwar als Spielmann verkleidet. Nur knapp entging er diesmal der Entdeckung. Aus<br />
Lohnois nahm er seinen Schwestersohn mit. 93 Auf einem Kriegszug bekam Tristrant einen Stein gegen den Kopf. Die Ärzte<br />
mußten ihm zu der Operation das Haar schneiden und die Wunde heilte nur schwer, so dass Tristrant sein schönes Äußeres<br />
verlor. Als er klagte, dass er Isalde nicht mehr besuchen könne, weil die Gefahr der Entdeckung seit dem letzten Abenteuer zu<br />
groß sei, hatte sein Neffe den guten Gedanken, so, mit geschorenem Kopf, könne Tristrant als Narr verkleidet gehen, ohne<br />
erkannt zu werden. Der Plan gelang, Tristrant benahm sich bei Tag wie ein Affe 94 , nachts lag er bei der Königin. Auch diese<br />
demütigende Verkleidung hielt nicht lange, und Tristrant schied in dem Bewußtsein von Isalde, dass es ihnen nie wieder gelin-<br />
92 In den Eilhart-Hss. Karaheß und ähnlich.<br />
93 Weshalb es den gibt, erfahren wir nicht. Anscheinend hatte Tristrants Vater nochmals geheiratet.<br />
94 Nachdem Tristrant schon auf die unterste Stufe des Menschen gesunken war, macht ihn die Minne jetzt sogar zum Tier.