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Literaturgeschichte 750-1500

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37<br />

Unde ist, daz mirs mîn sælde gan,<br />

daz ich abe ir wol redendem munde ein küssen mac versteln,<br />

gît got, daz ich ez bringe dan,<br />

sô wil ich ez tougenlîche tragen und iemer heln.<br />

Und ist, daz sîz vür grôze swære hât<br />

und vêhet mich durch mîne missetât,<br />

waz tuon ich danne, unsælic man?<br />

dâ nim eht ichz und trage ez hin wider, dâ ichz dâ nan,<br />

als ich wol kan.<br />

Wenn (‚Und ist, daß‘) es mir das Glück (sælde ‚Glück‘) vergönnt, daß ich von ihrem beredten (‚wohl redenden‘) Mund ein<br />

Küßchen stehlen kann, und Gott gibt, daß mir der Diebstahl gelingt (‚daß ich es von dannen bringe‘), so will ich es heimlich bei<br />

mir tragen und immer verhehlen. Wenn sie aber (‚Und ist, daß‘) deswegen beleidigt ist und mich wegen meiner Missetat haßt<br />

(vêhen ‚hassen‘), was soll ich Unglücksmensch dann tun? Dann nehme ich doch (eht ‚doch‘) das Küßchen (ichz = ich ez) und<br />

trage es dorthin zurück, wo ich es hernahm (nan = nam); darauf verstehe ich mich wohl (‚wie ich wohl kann‘).<br />

Diu jâr, diu ich noch ze lebenne hân,<br />

swie vil der wære, ir wurde ir niemer tac genomen.<br />

Sô gar bin ich ir undertân,<br />

daz ich niht sanfte ûz ir gnâden mohte komen.<br />

Ich vröiwe mich des, daz ich ir dienen sol.<br />

Si gelônet mir mit lîhten dingen wol,<br />

geloubet eht mir, swenne ich ir sage<br />

die nôt, die ich < ... > an dem herzen trage<br />

dicke an dem tage.<br />

Die Jahre, die ich noch zu leben habe, wie viel derer auch wäre, kein Tag davon würde (dem Dienst an) ihr weggenommen. So<br />

ganz und gar bin ich ihr untertan, daß ich nicht schmerzlos (‚sanft‘) aus ihrer Gnade kommen könnte. Ich freue mich darüber,<br />

daß ich ihr andauernd dienen werde. Vielleicht belohnt sie mich noch, glaubt mir etwa, wenn ich ihr von der Not berichte (‚die<br />

Not sage‘), die ich oftmals täglich am Herzen trage.<br />

MF 197,2:<br />

Waz unmâze ist daz, ob ich hân gesworn,<br />

daz si mir lieber sî denne elliu wîp?<br />

an dem eide wirt niemer hâr verlorn:<br />

des setze ich ir ze pfande mînen lîp.<br />

Swie si mir gebiutet, sô wil ich leben.<br />

Sie gesach mîn ouge nie, die mir sô wol müge ein hôhgemüete geben.<br />

Wieso soll das ungebührlich (‚Unmäßigkeit‘) sein, wenn ich geschworen habe, daß sie mir lieber ist als alle Frauen? Von dem<br />

Eid weiche ich um kein Haar ab (‚wird nie ein Haar verloren‘), und dafür setze ich ihr mein Leben zum Pfand. Wie sie mir es<br />

gebietet, so will ich leben. Ich (‚mein Auge‘) habe nie eine (‚sie‘) gesehen, die mir eine so freudige Stimmung bringen (‚geben‘)<br />

konnte.<br />

MF 197,9:<br />

Ungevüeger schimpf bestêt mich alle tage:<br />

si jehent, daz ich ze vil gerede von ir<br />

und diu liebe diu sî ein lüge, die ich von ir sage.<br />

Owê, wan lânt sie den schaden mir?<br />

Möhte etlîcher tuon als ich<br />

und hete wert sîn liep und lieze loben mîne vrouwen mich.<br />

Unhöfischer Spott trifft mich täglich: man sagt (sie sagen‘), daß ich zu viel von ihr rede, und daß die Liebe zu ihr, von der ich<br />

rede (die ich von ihr sage‘), eine Lüge sei. O weh, warum tun sie mir das an (‚lassen mir den Schaden‘)? Jeder soll es (‚könnte es<br />

so mancher‘) tun wie ich und seine eigene Liebste hochhalten (‚wert haben‘) und mich meine Dame loben lassen.<br />

Die ersten beiden der vorstehenden vier Reimarzitate (MF 170,8 und 159,1) waren offensichtlich die Ursache für<br />

Walthers scharfen Angriff, die letzten beiden (MF 197,2 und 197,9) Reimars Antwort. Dazwischen ist folgender<br />

parodistischer Angriff Walthers zu denken (Walther 111,22):<br />

In dem dône ich wirbe um allez daz ein man<br />

Ein man verbiutet âne pfliht<br />

ein spil, des im nieman wol gevolgen mac.<br />

Er giht, swenne sîn ouge ein wîp ersiht<br />

si sî sîn ôsterlîcher tac.<br />

Wie wære uns andern liuten sô geschehen,<br />

solte wir im alle sînes willen jehen?<br />

Ich bin der eine, derz versprechen muoz:<br />

bezzer wære mîner vrouwen senfter gruoz.<br />

Deist mates buoz.

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