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Literaturgeschichte 750-1500

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gen würde, zusammenzukommen. Zum Abschied versprach ihm Isalde, wenn er ihr seinen Ring durch Boten sende, ihm jeden<br />

Wunsch zu erfüllen.<br />

Tristrants und Isaldes Liebestod:<br />

Kehenis genoß dank Tristrants Hilfe die Liebe seiner Freundin. Doch deren Ehemann erriet den Betrug, unter anderem weil<br />

Kehenis seinen Hut verlor, und verfolgte den Täter und seine Helfer. Kehenis wurde getötet, Tristrant von einem vergifteten<br />

Pfeil verletzt. Tristrants Frau rief die besten Ärzte, doch keiner konnte helfen. Wieder blieb kein Ausweg als die heilkundige<br />

Isalde. Sehnsuchtsvoll erwartete Tristrant sie, er gab dem Boten seinen Ring und ließ sie bitten, sie möge auf ihr Königreich<br />

verzichten und für immer mit ihm leben. Nur die Tochter des Boten wußte von der Nachricht; sie sollte am Strand Ausschau<br />

halten, ob das Schiff mit einem weißen oder schwarzen Segel käme – das vereinbarte Zeichen, ob der Bote Isalde persönlich<br />

mitbringe oder nicht. Irgendwie erfrug es Tristrants Frau doch, warum das Mädchen am Ufer saß, und bat sie, es doch ihr mitzuteilen,<br />

wenn das Schiff käme. Als nun tatsächlich Isalde auf ihre königliche Würde verzichtete und aus Cornwall floh, um<br />

Tristrant helfen zu können, und das Schiff mit weißem Segel herankam, erhielt die andere Isalde die Nachricht, die Tristrant<br />

hätte erhalten sollen. Sie teilte ihm mit, sein Verwalter sei zurück. Als Tristrant nach dem Segel fragte, antwortete sie, es sei<br />

nicht weiß. Aus Schmerz darüber starb er sogleich. Sie wehklagte und bereute ihre Tat, doch zu spät. Als Isalde landete und nur<br />

mehr den toten Tristrant auf der Bahre erblickte, legte sie sich voll Schmerz zu ihm auf die Bahre, umarmte den Toten eng und<br />

verstarb neben ihm. Alle Umstehenden klagten, auch Tristrants Ehefrau.<br />

Von Oberg 95 Eilhart hat dieses Werk gedichtet. Manche erzählen es anders, aber er hat verläßliche Gewährsleute, dass es sich<br />

so und nicht anders zugetragen hat.<br />

König Marke erfuhr wenig später, dass Tristrant und Isalde verstorben wären. Als er erfuhr, dass ihre Untreue gegen ihn einzig<br />

und allein ein Liebestrank bewirkt hatte, und sie gegen den eigenen Willen einander lieben mußten, verzieh er ihnen. Er ließ<br />

die Leichname nach Cornwall überführen und zusammen begraben. Auf die Seite des Grabes, auf der die Königin lag,<br />

pflanzte er einen Rosenstock, auf der Seite Tristrants einen Weinstock. Die wuchsen mit der Zeit zusammen und verbanden<br />

sich so fest miteinander, dass es unmöglich war, sie zu trennen, es sei denn, man hätte sie abhacken wollen. Dies läßt noch die<br />

unheimliche Macht des Liebestranks erkennen.<br />

Die Funktion des Liebestranks<br />

Tristrant und Isalde haben bei Eilhart guten Grund, sich zu verlieben, auch ohne Liebestrank: Isalde war überhaupt<br />

nur ausgezogen, den Drachentöter zu suchen, um nicht dem Truchsessen verheiratet zu werden. Da bekannt<br />

war, dass ihre Hand dem Drachentöter versprochen war, nahm sie selbstverständlich an, dass Tristrant ihretwegen<br />

sein Leben gewagt hatte, und um sie anhalten würde, und in dieser Meinung pflegte sie ihn auch gesund. Auch<br />

bestand Tristrant tatsächlich den Drachenkampf um seiner selbst (bzw. ihret-)willen; erst nachher sah er, dass die<br />

Frau, die er sich erobert hatte, die war, nach der ihn Marke ausgeschickt hatte. Zum Ausbruch kommt die Liebe<br />

aber erst durch den Trank: Gott, wie ist mir geschehen, dass er mir jetzt so gut gefällt, wo ich ihn doch schon so oft<br />

gesehen habe? fragt Isalde. Bis zum Schluß des Werkes wird immer wieder betont, dass an der unseligen Liebe nur<br />

der Trank schuld trug. Trotzdem werden wir nicht Peter GANZ und anderen zustimmen, die nur den Zufall als<br />

Auslöser der Liebe sehen. Was Tristrant immer wieder nach Irland treibt, ist ein Schicksal, gegen das er sich nicht<br />

auflehnen kann. Der Wind 96 hat den führungslosen Nachen mit dem tödlich Verletzten, der sich dem Schicksal<br />

überließ, nach Irland getrieben, wie der Nachen mit dem heiligen Gregorius der Legende zweimal vom Wind<br />

durch Gottes Hand an den Ort seiner Bestimmung getrieben wurde. Als Tristrant auf der Werbungsfahrt Irland<br />

ausweichen wollte, wandelte sich der Wind zum Sturm. Statt „Zufall“ sagt man also besser: unentrinnbares Fatum.<br />

Der menschliche Wille ist jedenfalls ausgeschlossen. Ein weiteres Merkmal dieser Liebe sind die Schmerzen,<br />

die die Liebenden gerne zu erdulden bereit sind. Hunger, Durst, Kälte und sogar der Verlust der ewigen Seligkeit<br />

können sie in den ersten Jahren der Liebe nicht trennen. Dass diese Gewalt nach einigen Jahren nachläßt, ist ein<br />

bitterer Realismus. Sogar zu einem Zerwürfnis kommt es, und Isalde lacht, als Tristrant geschlagen wird. Am<br />

meisten diskutiert wurde aber das Verhältnis dieser Liebe zur Institution der Ehe und zur übrigen Gesellschaft.<br />

Nicht jede Liebe außerhalb der Ehe besitzt die Vorbildlichkeit der Tristanliebe: Kehenis liebt ebenfalls eine verheiratete<br />

Frau, und zwar ohne Liebestrank. Doch er ist unachtsam, und seine Geliebte ist sogar in der Lage, ihn zu<br />

verraten. In der Ehe scheint dagegen nie Liebe zu herrschen: keine der im Roman geschilderten Ehen ist eine Liebesehe.<br />

Wir dürfen die Frage nicht stellen, ob sich auch keine Liebe zwischen Tristrant und Isalde eingestellt hätte,<br />

wenn sie einander geheiratet hätten. Der Roman ist nicht geeignet für „was wäre aber gewesen, wenn ... (Brangäne<br />

besser den Trank versteckt, Hagen Siegfried nicht mit dem Speer getroffen, Paris nicht Aphrodite den Apfel gegeben<br />

hätte)“-Fragen.<br />

Die Frage, ob Liebe in der Ehe möglich sei, tritt in der Literatur des 12. Jahrhunderts tatsächlich auf. Die beiden<br />

wichtigsten Textzeugen sind der Briefwechsel zwischen Abaelard und Heloise (zusammen mit Abaelards Historia<br />

Calamitatum mearum) und der Traktat De Amore des Kaplans Andreas.<br />

101<br />

95 Konjektur.<br />

96 Der scheinbar zufällige, aber in Wirklichkeit vom Fatum gelenkte Wind tritt in vielen Romanen seit der Antike entgegen; auch<br />

der Seesturm in der Äneis gehört hierher. Beachten Sie den Unterschied zwischen Wind (fördert oder bremst eine Fahrt oder<br />

bringt jemanden, der sich ihm überläßt, an ein vom Schicksal bestimmtes Ziel, wenn er sich kein eigenes sucht) und Sturm (ist<br />

stärker als der Mensch und unentrinnbar).

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