Literaturgeschichte 750-1500
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daz hât allez rôten rôsen ungelîchen schîn;<br />
alse ist ungelîch<br />
mîn und Amelunges swære.<br />
Mînes ungelingen freut er sich und Uodelrîch:<br />
der ist mînes schaden z allen zîten flîzic und gevære,<br />
er und Eberolt, ein ungestüemer wüeterîch.<br />
O weh, dass uns diesen Sommer Blumen und Klee und viele Wonnen vergangen sind! Der Feind unserer Freuden bringt Reif<br />
und Schnee. Das glänzt alles anders als rote Rosen; ebenso ungleich sind meine und Amelungs Sorgen. Er und Ulrich freuen<br />
sich darüber, dass ich kein Glück hatte. Der sinnt immer auf meinen Schaden, er und Eberwald, ein ungestümer Wüterich.<br />
Eberolt und Amelunc,<br />
Uodelrîch und Undelhart<br />
haben wider mich gebrüevet eine sicherheit.<br />
Manic œdeclîcher sprunc<br />
von in dâ gesprungen wart,<br />
dô si sich des ruomten, si getæten mir ein leit.<br />
Stille und offenbâr<br />
habent si den ruom bewæret;<br />
ich gewünsche in nimmer, daz ir keiner wol gevar.<br />
Under disen vieren hât mir einer mînen muot beswæret,<br />
daz er nie sô trüebe wart von iu, her Engelmâr.<br />
Eberwald und Amelung, Ulrich und Wendelhard haben sich gegen mich eidlich verbündet. Viele dummdreiste Freudensprünge<br />
sprangen sie, als sie sich rühmten, sie würden mir ein Leid antun. Im Heimlichen wie auch offen haben sie diese Prahlerei wahr<br />
gemacht; ich wünsche ihnen alles Böse. Unter diesen Vieren hat mich einer besonders betrübt, wie nicht einmal Ihr, Herr Engelmar,<br />
mich betrübt habt. 28<br />
Wesse ich, wem ich solde klagen<br />
mînen grôzen ungemach,<br />
den ich von in lîde und lange her geliten hân!<br />
Swaz mir noch bî mînen tagen<br />
leides ie von in geschach,<br />
dêst ein wint, wan daz mir nû der eine hât getân.<br />
Owê, daz ich sol<br />
nû mîn selbes laster rüegen!<br />
Mîner ougen wünne greif er an den füdenol.<br />
Tumber gouch, des mehte joch den keiser Friderîch genüegen.<br />
Hœner schimpf gevellet nimmer guoten liuten wol.<br />
laster ‚Schande‘; rüegen ‚rügen, etwas öffentlich tadeln‘; hœne ‚voll Hohn‘.<br />
Wüsste ich, wem ich mein großes Leid klagen soll, das ich von ihnen allzeit erleide! Was mir sonst noch mein Leben lang von<br />
ihnen widerfahren ist, das ist nichts gegen das, was mir der eine jetzt angetan hat. O weh, dass ich selbst meine eigene Schande<br />
ausposaunen soll! Der Wonne meiner Augen (= meiner Herzallerliebsten) griff er an die Scham. Dummer Geck, das wäre<br />
reichlich für den Kaiser Friedrich! 29 Bösartiger Spott gefällt guten Leuten nie.<br />
Mîne friunt, nu gêt her dan,<br />
gebt mir iuwern wîsen rât,<br />
wiech mit disen dingen müge ze mînen êren komen!<br />
Aller triuwen ich iuch man,<br />
daz ir mir nu bî gestât.<br />
Mîne weidegenge und al mîn freude ist mir benomen.<br />
Ich bin unverzaget<br />
beide an lîbe und ouch an muote.<br />
Der in durch den willen mîn sîn dienest widersaget,<br />
dem gestüende ich immer, triuwen, bî mit lîbe und ouch mit guote<br />
al die wîle und mir der stegereif ze hove waget.<br />
Meine Freunde, nun kommt her, gebt mir euern weisen Rat, wie ich in dieser Angelegenheit zu Ehren kommen könnte! Ich<br />
mahne euch an all unsere Treuebeziehungen, dass ihr mir nun beistehen möget. Meine Pirschgänge und alle Freude sind mir<br />
genommen. Ich gebe aber nicht auf und bin unverzagt. Wer ihnen um meinetwillen den Dienst aufkündigt, dem würde ich mich<br />
für immer mit Leib und Besitz eidlich verbünden, solange mein Steigbügel zum Hof wackelt (= ‚solange ich Ritter am Herzogshof<br />
bin‘ 30 ).<br />
28 Engelmar ist der Gegner Neidhards schlechthin; das Publikum kennt ihn: er hat Friderûn, der ‚Dame‘ des Sängers, den Spiegel<br />
zerbrochen.<br />
29 Walther machte in einem Lied den Scherz, dass er auf den Kaiser eifersüchtig würde, falls dieser Walthers Geliebter ein<br />
Ständchen darbrächte. Neidhard parodiert hier Walther.<br />
30 Hier zitiert Neidhart Wolfram, der seinen Stolz ‚ich bin Ritter‘ mit ‚mein Steigbügel wackelt an den Hof‘ umschreibt.