25.12.2013 Aufrufe

Literaturgeschichte 750-1500

Literaturgeschichte 750-1500

Literaturgeschichte 750-1500

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Ich wil dâ von niht sprechen mê.<br />

Ez was ouch wîz alsam ein snê,<br />

swaz al die mîne fuorten an:<br />

daz was gar wîz alsam ein swan.<br />

Mîn helm was wîz, mîn schilt alsam.<br />

Fünf wîze samît ich dô nam,<br />

dar ûz man mir drî decke sneit<br />

ûf mîniu ors ze wâppenkleit.<br />

Mîn wâppenroc der muoste sîn<br />

ein wol gevalden röckelîn<br />

von kleinem wizen tuoche guot:<br />

daz fuort ich an durch hôhen muot.<br />

Sâ an den brief geschriben wart<br />

vil meisterlîch gar al mîn vart,<br />

al die herberge mîn,<br />

swâ ich des nahtes wolde sîn.<br />

An den brief manz allez schreip.<br />

Nâch dem boten ich beleip<br />

volleclîch wol drîzic tage.<br />

Nu hoeret mich: den brief ich sage.<br />

Nichts weiter davon.<br />

Auch die Kleider all meiner Begleiter<br />

waren schneeweiß:<br />

alles war schwanenweiß.<br />

Mein Helm war weiß, ebenso mein Schild.<br />

Fünf Ballen Samtstoff kaufte ich<br />

für drei Decken<br />

als Wappenkleider für meine Rosse.<br />

Mein Wappenrock mußte<br />

ein schön plissiertes Röcklein<br />

aus feinem weißen Tuch sein.<br />

Das trug ich um der Hochstimmung willen.<br />

Dann schrieb man kunstvoll<br />

meine ganze Reiseroute an einen Brief,<br />

da verzeichnete man alle meine Herbergen,<br />

wo ich über Nacht bleiben wollte.<br />

Das schrieb man alles an den Brief.<br />

Nach Abgang des Boten blieb ich<br />

noch einen ganzen Monat.<br />

Nun hört mich; der Brief lautet folgendermaßen:<br />

Diu werde küneginne Vênus, gottinne über die minne, enbiutet al den rittern die ze Langparten und ze Friûl und<br />

ze Kernden und ze Stîr und ze Œsterrîch unz hin ze Bêheim gesezzen sint, ir hulde und ir gruoz, und tuot in kunt<br />

daz si durch ir liebe zuo in varn wil, und wil si lêren mit wie getânen dingen si werder vrowen minne verdienen<br />

oder erwerben suln. Si tuot in kunt daz si sich hebet des næhsten tages nâch sande Georjen tage ûz dem mer ze<br />

meisters, und wil varn unz hin ze Bêheim, mit sô getânen dingen. Swelch ritter gegen ir kumt und ein sper wider si<br />

enzwei gestichet, dem gibt si ze miet ein guldîn vingerlîn: daz sol er senden dem wîbe diu im diu liebest ist. Daz<br />

vingerlîn hat di kraft, swelher vrowen man ez sendet, diu muoz immer deste schoener sîn un muoz in sunder valsch<br />

minnen, den der irz hât gesant. Stichet mîn vrowe Vênus deheinen ritter nider, der sol en vier enden in die werlt<br />

nîgen einem wîbe ze êren. Stichet aber si dehein ritter nider, der sol elliu diu örsse haben diu si mit ir füeret. Si vert<br />

des ersten tages ze Tervis ... An dem niun und zweinzigestem tage ist se enhalp der Tye ze Bêheim. Dâ hat ir vart<br />

ein ende. Si wil ûf der vart ir antlütze noch ir hende niemen lâzen sehen, 113 si wil ouch wider niemen ein wort<br />

sprechen. ...<br />

Die edle Königin Venus, Göttin über die Liebe, entbietet allen Rittern, die in der Lombardei und in Friaul<br />

und in Kärnten und in der Steiermark und in Österreich bis zur böhmischen Grenze wohnen ihre Huld und ihren<br />

Gruß, und tut ihnen kund, dass sie ihnen zuliebe zu ihnen kommen will, und will sie lehren, wie sie die Liebe edler<br />

Damen verdienen oder erwerben sollen. Sie tut ihnen kund, dass sie am Tag nach dem Georgstag (24. April) zu<br />

Mestre aus dem Meer emporsteigen wird 114 und eine Fahrt bis Böhmen unternehmen wird, und zwar folgendermaßen:<br />

Jeder Ritter, der ihr entgegenkommt und einen Speer gegen sie versticht, dem gibt sie zum Lohn ein goldenes<br />

Ringlein. Das soll er der Frau senden, die ihm die liebste ist. Das Ringlein hat die Kraft, dass die Frau, der man es<br />

sendet, um so schöner wird und den ohne Falsch lieben muss, der es ihr gesandt hat. Sticht Frau Venus einen Ritter<br />

nieder, so soll sich der nach allen vier Windrichtungen einer Frau zu Ehren verneigen. Sticht aber ein Ritter sie<br />

nieder, so soll er all die Rosse haben, die sie mit sich führt. Sie fährt den ersten Tag bis Treviso ... (folgt die genaue<br />

Aufzählung aller Orte). Am 29. Tag ist sie am Ufer der Thaya in Böhmen. Dort hat ihre Fahrt ein Ende. Unterwegs<br />

will sie niemanden ihr Antlitz noch ihre Hände sehen lassen noch wird sie zu jemandem ein Wort sprechen. ...<br />

Swâ der brief kom in diu lant<br />

und mîne vart dâ tet bekant,<br />

des wâren al die ritter vro.<br />

Wan tiutschiu lant di stuonden sô<br />

daz niemen was dâ êren rîch,<br />

er müeste varn ritterlîch<br />

und wesen durch vrowen hôchgemuot.<br />

Des was dô site und wær noch guot.<br />

125<br />

Wohin auch immer in die Lande mein Brief kam<br />

und meine Fahrt anzeigte,<br />

freuten sich die Ritter.<br />

Denn in deutschen Landen war es Sitte,<br />

dass niemand für ehrenwert galt,<br />

der nicht auf Ritterfahrt ausfuhr<br />

und um der Frauen willen hochgemut war.<br />

Das war damals so üblich und es wäre gut, wenn es auch heute noch so wäre.<br />

Der letzte Satz gilt vielen als Zeichen von Epigonentum: eine Epoche entwickelt keine eigenständigen Werte,<br />

sondern versucht die der vorangegangenen zu verwirklichen (griech. epigonoi ‚die Nachgeborenen‘). Wenn man<br />

den Frauendienst aufmerksam liest, merkt man aber deutlich, dass Ulrich weit über das Niveau eines Epigonen<br />

hinauskommt.<br />

Dass ähnliche Dinge – Turniere in Verkleidung nach literarischen Figuren – üblich waren, erfahren wir aus<br />

Chroniken aus Italien und den Kreuzfahrerländern. Ulrichs Aktion war zwar reichlich exzentrisch, aber nicht aus<br />

dem Geschmack der Zeit. Betont muss werden, dass seine Vorbilder tatsächliche Aufführungen bzw. Feste sind<br />

und nicht etwa Dichtungen, in denen solche fingiert werden. Es liegt daher nahe, dass diese Teile von Ulrichs Be-<br />

113 Ein Stück zuvor wurde erzählt, dass Ulrich einen Finger verloren hatte.<br />

114 Nach antiker Überlieferung ist Aphrodite aus dem Schaum des Meeres geboren.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!