Literaturgeschichte 750-1500
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sól (f.) ‚Sonne‘; scína ‚scheinen‘; sunnan ‚von Süden her‘; á ‚auf‘; salr (m.) ‚Gebäude (Saal)‘, hier Gen. Plur. – Hier sind<br />
natürlich nicht menschliche Wohnungen gemeint. Meist bezeichnet salr herrschaftliche Wohngebäude, daher ist oft die Übersetzung<br />
mit ‚Palast‘ angebracht (insbesondere wenn der Plural salir für ein Gebäude steht); steinn (m.) ‚Stein‘, hier Akk.<br />
Plur. (Steine der Wohnungen: wessen Wohnungen?)<br />
Die Sonne schien von Süden auf die Steine der Wohnungen,<br />
þá var grund gróin<br />
grœnom lauki.<br />
grund (f.) ‚Grund, Erdboden‘; gróin ‚bewachsen‘ (PPP von gróa ‚wachsen‘, engl. grow); grœnn ‚grün‘; laukr ‚Lauch‘.<br />
da war Boden bewachsen mit grünem Lauch.<br />
Diese Verse sind im ‚Wessobrunner Gebet‘, 400 Jahre vor der Snorra Edda und 450 Jahre vor der Liederedda,<br />
sogar noch mindestens 100 Jahre vor einer vermuteten spätheidnischen ‚Ur-V÷luspá‘, Beginn eines Gebetes an<br />
den christlichen Schöpfergott, und der archaisch-indogermanische Ymir fehlt in dieser Strophe nicht nur im<br />
Wessobrunner Gebet, sondern auch bei Snorri. Hat hier die Liederedda geneuert? Oder ist die Tradition der Liederedda<br />
echt heidnisch, älter als die Fassung, die Snorri kennen lernte, und sogar älter als das Wessobrunner<br />
Gebet? Wie sollen wir uns die Beziehung zwischen dem poeta des christlichen Textes und der heidnischen Seherin<br />
denken?<br />
OTFRID VON WEISSENBURG (EVANGELIENHARMONIE)<br />
Die Haupthandschrift von Otfrids Evangelienharmonie liegt in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien.<br />
Sie entstand unter den Augen Otfrids und wurde von ihm selbst korrigiert.<br />
Sie können sicher nicht Althochdeutsch und vielleicht nicht einmal Latein. Daher werden Sie in der Bibliothek<br />
eine Übersetzung suchen müssen, um den folgenden Text verstehen zu können. Benutzen Sie bitte:<br />
Althochdeutsches Lesebuch. Hg. von Wilhelm Braune. 17. Aufl. Tübingen 1994.<br />
Althochdeutsche Literatur. Eine Textauswahl mit Übertragungen. Hg. von Horst Dieter Schlosser. Berlin 1998<br />
Otfrids Evangelienbuch. Hg. Oskar Erdmann. 6. Aufl. v. Ludwig Wolff. Tübingen 1973 (= ATB 49).<br />
Otfrid von Weissenburg: Evangelienbuch. Auswahl. Ahd./Nhd. Hg., übersetzt und kommentiert von Gisela<br />
Vollmann-Profe. Stuttgart 1987 (= Reclam UB 8384).<br />
Wolfgang Haubrichs, Die Anfänge: Versuche volkssprachiger Schriftlichkeit im frühen Mittelalter (ca. 700-<br />
1050/60). 2., Aufl. Tübingen 1995 (= Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn<br />
der Neuzeit. Hg. von Joachim Heinzle. Band I/1).<br />
Die folgende Quellenangabe regt Sie vielleicht an, auf der TITUS-Homepage zu stöbern. Dort finden Sie viele<br />
alte Texte; den Otfrid-Text nach der ATB-Ausgabe von Erdmann.<br />
This text is part of the TITUS edition of Otfrid von Weissenburg, Evangelienbuch.<br />
Copyright TITUS Project, Frankfurt a/M, 2.3.2003. No parts of this document may be republished in any<br />
form without prior permission by the copyright holder. Otfrids Evangelienbuch, herausgegeben von Oskar Erdmann.<br />
6. Auflage besorgt von Ludwig Wolff. Tübingen: Niemeyer, 1973 (Altdeutsche Textbibliothek Nr. 49).<br />
Sie brauchen nicht zu versuchen, den ganzen folgenden auf Ahd. abgedruckten Text zu lesen, das tun Sie nur<br />
in einer Übersetzung. Aber: Sehen Sie sich die am Anfang jeder 2. Zeile stehenden Großbuchstaben an und versuchen<br />
Sie, nur diese im Original zu lesen, und dann betrachten Sie auch den letzten Buchstaben jeder dieser<br />
Zweiergruppen. Wie nennt man so etwas?