Literaturgeschichte 750-1500
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der Abfassungszeit des Erec. Trotzdem hätte eine Dichtung des Berufsdichters Chrestien mit einem Inhalt wie dem<br />
‚Erec‘ am Anfang der siebziger Jahre am Hof in Nantes sicher Aussicht auf Honorar gehabt. Und mehr Anspielungen<br />
an das Herrscherhaus, als zur Regelung der Honorarfrage nötig sind, brauchen wir auch von Chrestien nicht<br />
erwarten. Er wollte ja, wie er im Prolog sagt, „so lange die Christenheit besteht“ berühmt sein, und dann dürfen<br />
nicht wesentliche Teile des Werkes nur für Zeitgenossen verständlich sein. Natürlich wissen wir nicht, ob es wirklich<br />
der pekuniäre Gesichtspunkt war, warum Chrestien den Schluss des Erec mit Plantagenet-Symbolen aufputzte.<br />
Doch ist es der einzige plausible, der der Literaturwissenschaft bisher dazu eingefallen ist.<br />
Im politischen Umfeld der Bretagne, wo Heinrich II. zwar formell anerkannt wurde, sich aber allenthalben der<br />
Widerstand regte, auch von seinen eigenen Familienmitgliedern, ist die kritische Distanz zum Artushof – wir haben<br />
von einem ‚schwachen Artushof‘ im Erec gesprochen – besonders gut verständlich.<br />
Da interessiert uns die Rolle des Truchsessen (so heißt dieses Hofamt in Deutschland; etymologisch von<br />
einem längst ausgestorbenen Wort druht ‚Gefolgschaft‘ abgeleitet, ‚der dem Gefolge vorsitzt‘; synchron aber im<br />
Mittelalter als ‚der auf der Truhe sitzt‘ verstanden – der Vorsteher der Gefolgschaft und Verwalter von Geld und<br />
Speisen. In Frankreich Seneschall ‚Altknecht‘; auf Lateinisch dapifer ‚Speisenträger‘): Bei Geoffrey und Wace<br />
kam dem Truchsessen am Artushof eine besondere Rolle zu; der Herzog der Normandie war ausersehen, dieses<br />
Hofamt auszuüben, er wird als besonders vortrefflicher Ritter hervorgehoben und hat eine besondere Stellung am<br />
Artushof. Den Namen aus der keltischen Artussage, den man damit verband, nahm man von Kei, einem besonders<br />
hervorragenden Begleiter von Artus in der keltischen Sage. Dort gehört etwa zu seinen wunderbaren Eigenschaften,<br />
dass sich in einem Wald seine Körpergröße der Höhe der Bäume anpasst und anderes mehr. Warum hatte man<br />
Ursache, am Plantagenet-Hof gerade das Amt des Truchsessen so hervorzuheben?<br />
Wir unterscheiden zwei verschiedene Formen der Hofämter: Das eine sind die von einem Verwaltungsbeamten<br />
tatsächlich ausgeübten Funktionen, ohne die der Herrscher nicht auskam: Jemand musste darauf achten, dass die<br />
Ritter sich nicht ungebührlich benahmen und kein Gesindel unter ihnen war, die Kasse, die Vorräte usw. verwalten,<br />
und dazu waren Personen notwendig, die das Vertrauen des Herrn genossen. Die andere Form des Hofamtes ist die<br />
des Ehrenhofamtes, die ein Vorrecht bestimmter Fürsten ist. Auch in Deutschland hat es solche ‚Ehrenhofämter‘<br />
gegeben. Die höchsten Reichsfürsten (in Deutschland später die Kurfürsten) hatten das Vorrecht, dem König am<br />
Tage der Krönung bestimmte Dienste zu leisten (in Deutschland etwa war später, als die Ehrenhofämter genauer<br />
geregelt waren, der Truchsess des Reiches der Pfalzgraf bei Rhein, Mundschenk der König von Böhmen usw.). Am<br />
Artushof Geoffreys von Monmouth übt der Herzog der Normandie das Amt des Seneschalls aus; den<br />
Normannenherzögen als Vorfahren Wilhelms des Eroberers muss natürlich schon zu Zeiten von Artus eine<br />
besondere Position zugesprochen werden. Heinrich II. verfolgte in diesem Punkt eine ähnliche Politik wie sein<br />
normannischer Großvater mütterlicherseits, dem Geoffrey mit dem Truchsessenamt des Normannenherzogs Kei<br />
geschmeichelt hatte. Er ließ von einem seiner Truchsessen, Hugo von Clers, ein Werk ‚De maioratu et senescalcia<br />
Franciae‘ herstellen, das die Geschichte seiner väterlichen Familie, der Grafen von Anjou, beschreibt, und dessen<br />
Wahrheitsgehalt nicht sehr hoch anzusetzen ist. Dort heißt es, dass die Grafen von Anjou<br />
immer schon erbliche Inhaber der Würde eines Seneschalls von Frankreich<br />
waren. Dass Heinrich II., obwohl englischer König, in seinen französischen Besitzungen formell Lehensmann des<br />
französischen Königs war, konnte er nicht ändern. Doch wollte er wenigstens innerhalb der Lehensleute einen<br />
besonderen Status genießen. Obwohl die Schrift des Hugo von Clers natürlich genau so als ‚Fälschung‘ zu bezeichnen<br />
ist wie die meisten der mittelalterlichen Geschichtswerke, mit denen wir hier zu tun haben, ist Heinrich II. mit<br />
seinen Ansprüchen am französischen Hof durchgedrungen: Als 1169 ein Sohn Heinrichs, der ‚junge Heinrich‘, dem<br />
König von Frankreich als Graf von Anjou und Herzog der Normandie huldigen musste, stimmte Ludwig VII. zu,<br />
dass er bei der Huldigung als Graf von Anjou das Ehrenamt eines Seneschalls von Frankreich ausübe. Der junge<br />
Heinrich zog auch wirklich nach Paris und bediente den König bei Tisch als Seneschall von Frankreich.<br />
Auszug aus dem Stammbaum der englischen Königsfamilie<br />
Wilhelm d. Eroberer<br />
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Heinrich I.<br />
|<br />
Mathilde (Gatte: Gottfried v. Anjou-Plantagenet)<br />
| |<br />
Heinrich II. (Gattin: Eleonore v. Poitout) Geoffroy<br />
| |<br />
Heinrich 3 (d.J.) Geoffroy (Gattin: Konstanze)<br />
|<br />
Arthur<br />
Chrestiens Keu trägt nun zwar denselben Namen wie der herzogliche Ehrenhofamtsträger bei Geoffrey und Wace,<br />
aber von seiner Funktion ist er mit diesem nicht zu vergleichen: Er ist kein Herzog der Normandie oder eines