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Literaturgeschichte 750-1500

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richt ebenfalls tatsächlich aufgeführt und nicht nur erdichtet wurden. Ein didaktisches Element liegt darin, dass<br />

Ulrichs Jugendzeit als vorbildliche Epoche gegenüber der ‚Jetztzeit‘ des Mære um 1255 dargestellt wird.<br />

Trotz seiner Dienste findet Ulrich keine Erhörung bei seiner Dame. Ein Stelldichein ist wie die meisten Szenen, in<br />

denen Ulrich der Herrin direkt gegenübertritt, literarisch stilisiert: als Aussätziger verkleidet (wie Tristrant sich<br />

bei Eilhart von Oberg einmal Isalde nähert, aber von ihr gedemütigt wird, weil sie ihn zu Unrecht einer feigen<br />

Handlung verdächtigt; im Tristan von Gottfried von Straßburg findet sich die entsprechende Szene nicht), um nicht<br />

erkannt zu werden kommt er zum Redenzvous. Ulrich versteckt sich im Burggraben, der Wächter pißt auf ihn.<br />

Die Dame ist schließlich bereit, Ulrichs Dienst zu belohnen, wenn er um ihretwillen einen Kreuzzug unternimmt.<br />

Er schwört<br />

geloubet, vrouwe, daz ich iu sage:<br />

Glaubt, Herrin, ich sage Euch:<br />

ich næm ez niht von sîner hant<br />

ich nähme das Kreuz nicht so gerne aus der Hand<br />

Sô gern, der bâbest ist genant,<br />

dessen den man den Papst nennt,<br />

Als von iu, vil sælic vrowe mîn.<br />

als von Euch, meine selige Herrin.<br />

Die Dame erläßt ihm dann doch die Kreuzfahrt, und schließlich belohnt sie ihn sogar mit etwas; Ulrich sagt nicht<br />

genau, womit, aber jedenfalls ist es etwas Verschweigenswertes. Es wäre wohl eine Kompromittierung, ihr<br />

nachzusagen, sie habe ihn nie erhört.<br />

Trotzdem kommt es bald zum Ende dieses ersten Dienstes: seine Dame tut Ulrich etwas Schmachvolles an. Er<br />

quittiert den Dienst. Zuerst verfaßt er Schmählieder gegen sie. Eine andere Dame überredet ihn, der Herrin nicht<br />

mehr zu zürnen, und er gibt daher das Schreiben von Schmähliedern auf. Seine Gedichte der folgenden Zeit sind<br />

wânwîsen, Liebeslieder, die man schreibt, ohne tatsächlich verliebt zu sein. Das Vorhandensein dieses Terminus<br />

zeigt uns, dass es nicht selbstverständlich war, dass Minnegedichte ohne ein tatsächliches Minneverhältnis geschrieben<br />

wurden (wenn sie auch natürlich kein direktes Wirklichkeitsabbild darstellen), sondern eher das Gegenteil.<br />

Aber wânwîsen gab es eben auch, das bezeugt ja der Terminus ebenfalls, und daher können wir zwar kaum<br />

einzelne Lieder der einen oder der anderen Gruppe zuordnen, aber sicher falsch liegen verallgemeinernde Aussagen<br />

„den fiktiven Minneverhältnissen der Dichtung entsprachen reale Minneverhältnisse der Dichter“ oder „den fiktiven<br />

Minneverhältnissen der Dichtung entsprachen keine reale Minneverhältnisse der Dichter“.<br />

Schließlich trägt Ulrich seine Dienste einer anderen Dame an, die ihn gerne annimmt; Ulrich hat hiemit seine<br />

‚zweite Herrin‘. In ihrem Dienst wird er reichlich belohnt; wie, wird wieder verschwiegen. Nachdem der Lohn<br />

verschweigenswert ist, können wir annehmen, dass er nicht gering war. Das Lied, das er im ‚Frauendienst‘ an die<br />

Stelle positioniert, wo er Erhörung fand, drückt den hôhen muot aus, den er nun trägt. Es ist ein Tanzlied:<br />

Ein tanzwîse, diu zwô unde zweinzigeste. 22. Tanzweise<br />

Hôher muot, nu wis enpfangen<br />

Hochgemut, nun sei<br />

in mîn herze tûsent stunt.<br />

in mein Herz tausendmal empfangen.<br />

Lâ dich bî mir niht belangen.<br />

Dir soll bei mir nicht langweilig werden.<br />

Dû bist mit ein hôher funt.<br />

Ein großes Glück ists, dass ich dich fand.<br />

Al mîn vreude was zergangen:<br />

All meine Freude war zerstört,<br />

die het trûren mir benomen:<br />

die Trauer hatte sie mir genommen;<br />

diust mir mit dir her wider komen.<br />

mit dir ist sie mir zurückgekommen.<br />

Hôher muot, dâ ich dich funden<br />

Hochgemut, wo ich dich gefunden habe,<br />

hân, dar nîge ich immer mê.<br />

dort werde ich mich immer dankend verneigen.<br />

Mit dir hân ich überwunden<br />

Mit dir habe ich Schmerz und<br />

trûren, daz mir tet ie wê:<br />

Trauer überwunden.<br />

Dêst mir gar von dir verswunden.<br />

Du hast sie zum Verschwinden gebracht.<br />

Wol mich, wol mich, daz dich ie<br />

Wohl mir, wohl mir, dass dich je<br />

min minne gerndes herze enpfie.<br />

mein nach Liebe verlangendes Herz empfangen hat.<br />

Hôher muot, dich hât gesendet<br />

Hochgemut, dich hat mir eine Frau gesandt,<br />

mir ein wîp diu êre hât.<br />

die sich auf Ehre versteht.<br />

An die hân ich gar gewendet<br />

An die habe ich mich gewandt;<br />

mich: daz ist der minne rât.<br />

das hat mir die Minne geraten.<br />

Under schilden sper verswendet<br />

vom Schild gedeckt, werden um ihretwillen<br />

wirt durch si von mîner hant,<br />

von mir Speere verschwendet,<br />

diu dich zuo mir her hât gesant.<br />

die dich (den hôhen muot) zu mir gesandt hat.<br />

Hôher muot, dû und diu minne<br />

Hochgemut, du und die Minne,<br />

sult mir helfen dienen ir<br />

ir sollt mir helfen, ihr ohne Falsch<br />

sunder valsch mit slehtem sinne:<br />

und geraden Sinnes zu dienen.<br />

sô mac wol gelingen mir.<br />

dann kann ich Erfolg haben.<br />

Wirt si mîner triuwen inne,<br />

Wenn sie meiner Treue inne wird,<br />

sô tuot mir vil freuden kunt<br />

so verheißt mit ihr<br />

ir kleinvelhitzerôter munt.<br />

zierlichhitzeroter Mund Freude.<br />

sleht ‚gerade‘.<br />

Hôher muot, nâch dîner lêre<br />

Hochgemut, du lehrst mich,<br />

wil ich werben umbe ir lip.<br />

um sie zu werben.<br />

Si hât schoene, si hât êre,<br />

Sie besitzt Schönheit, sie besitzt Ehre,<br />

sist ein reine süeze wip,<br />

sie ist eine reine feine Frau,

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