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Literaturgeschichte 750-1500

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NACH 1230<br />

Aufgabe: Was waren die folgenschwersten Ereignisse während Ulrichs Lebenszeit a. für Österreich, b. für das<br />

Imperium?<br />

Nach dem Tod Hermanns von Thüringen (1217), Leopolds VI. von Österreich (1230) und dem Kreuzzzug von<br />

1227ff., sah die literarische Szene anders aus.<br />

ULRICH VON LIECHTENSTEIN: LITERARISCHE UND<br />

GESELLSCHAFTLICHE EXISTENZ<br />

Einer der wenigen weltlichen Dichter aus mittelhochdeutscher Zeit, von dem wir sowohl ein umfangreiches Werk<br />

erhalten haben als auch einiges über sein Leben wissen, dessen Stand im Leben wir also mit seiner – literarischen –<br />

Haltung zum anderen Geschlecht vergleichen können, ist Ulrich von Liechtenstein.<br />

Sein Leben bezeugen uns außer aus seinen literarischen Werken: an schriftlichen Quellen Urkunden, in denen<br />

er als Zeuge oder Vertragspartner genannt wird, und Erwähnungen in Werken von jüngeren Zeitgenossen; an<br />

Sachzeugnissen besitzen wir im Großen die ‚Frauenburg‘ bei Unzmarkt in der Steiermark und im Kleinen seinen<br />

persönlichen Siegel, die an seinen Urkunden befestigt wurden.<br />

An literarischen Werken besitzen wir von ihm<br />

- ca. 60 Lieder,<br />

- den ‚Frauendienst‘, eine oft als Roman bezeichnete Autobiographie,<br />

- das ‚Frauenbuch‘, eine theoretische Abhandlung über das richtige Verhalten der Geschlechter zueinander, in<br />

Form eines Gespräches zwischen Ritter und Dame. Dieses ist weniger bekannt als der Frauendienst, denn wo Ulrich<br />

nicht seine Taten schildert, sondern theoretisiert, wirkt er viel blasser.<br />

Uns interessiert hier der Frauendienst, der aber nicht den Erwartungen entspricht, die ein heutiger Leser an eine<br />

Selbstbiographie stellt. Für einen mittelalterlichen Leser war das Werk gattungsmäßig auf jeden Fall etwas Neues,<br />

denn es ist, je nach dem wie man es betrachtet, entweder die erste Autobiographie oder der erste Ich-Roman in<br />

deutscher Sprache. In den Frauendienst eingelegt sind auch Ulrichs Lieder (die uns aber auch in einer Liederhandschrift<br />

überliefert sind) und „Büchlein“; literarische Werke, die er in seinen jüngeren Jahren an seine Dame<br />

gerichtet haben will und die er jetzt in der Autobiographie bei den entsprechenden Jahren einflicht. Originell ist das<br />

Werk jedenfalls; sei es die erste Autobiographie oder der erste Ich-Roman in deutscher Sprache. Wichtig ist, dass<br />

die Daten, die das Ich des Frauendiensts von sich berichtet, mit denen des historischen Ulrich übereinstimmen; z.<br />

B. entspricht das Todesjahr von Ulrichs Vater im Frauendienst dem der letzten Urkunden, auf denen der Vater des<br />

historischen Ulrich genannt wird.<br />

Die fortlaufende Erzählung, das mære, ist in achtzeiligen Strophen geschrieben, die eingelegten Jugendwerke<br />

sind in unterschiedlicher Versform, je nach ihrer Gattung; dementsprechend der „Brief der Frau Venus“ in Prosa.<br />

Wenn man von der Ichform absieht, kommen gattungsmäßig die allerdings viel kürzeren provenzalischen Trobadorviten<br />

noch am ehesten für einen Vergleich in Frage. Die Trobadorviten (vita = Lebensbeschreibung, Biographie)<br />

wurden erst nach dem Tod der betreffenden Dichter verfaßt und enthalten inhaltlich großteils nicht mehr als<br />

man aus ihren Liedern herauslesen konnte, das heißt, was in ihnen berichtet wird, ist oft aus den in Ichform geschriebenen<br />

Liedern herausgezogen und weitergedichtet, nicht historische Überlieferung. Die Trobadorviten wurden<br />

aber wohl im 13. Jahrhundert, also von Ulrich und seinen Zeitgenossen, für wahr genommen. Wenn sie als<br />

Vorbilder für ihn angesehen werden sollen, dann wohl für biographische, nicht fiktive Dichtung. Auf Vorbilder<br />

aus der südlichen Romania für Ulrich weist auch die Erwähnung Ulrichs bei Herrand von Wildon dem Jüngeren,<br />

einem Steirer und jüngeren Zeitgenossen Ulrichs, der Ulrich als Gewährsmann für einen Ehebruchs-Schwank aus<br />

Friaul nennt (‚Der verkêrte wirt‘ v. 17.) An ‚Wahrheits‘ebenen sind im Frauendienst sicher vorhanden:<br />

1. Historisch tatsächliche Begebenheiten<br />

2. Allegorische bzw. verfremdete Darstellung tatsächlicher Begebenheiten<br />

3. Fiktives, Novellistisches.<br />

Die Trennung dieser drei Realitätsebenen ist für uns heute nicht in jedem Fall mehr möglich, weil die historische<br />

Quellenlage für die Alpenländer vor 1250 sehr schlecht ist und wir den Wahrheitsgehalt nur weniger Aussagen<br />

überprüfen können.<br />

Aus diesen Quellen – historische Quellen und einige sicher autobiographische Aussagen im Frauendienst – erfahren<br />

wir über Ulrich: er wurde 1200 als Sohn eines steirischen Ministerialen geboren; der Herzog von Steier,<br />

damals schon in Personalunion mit Österreich, war sein Dienstherr. 106 Schon Ulrichs Vater († 1219) trat oft auf<br />

Urkunden in den Zeugenlisten auf, war also kein unbedeutender Mann. Auch Ulrichs Bruder Dietmar begegnet uns<br />

des öfteren in Urkunden. Ulrich selbst hat den Grund für den Aufschwung des Geschlechtes gelegt. Mit elf Jahren<br />

trat er als Page in den Dienst eines Herrn; mit 15 als Knappe in den Dienst des Markgrafen Heinrich von Ysterrich,<br />

womit wahrscheinlich Heinrich von Istrien, der noch eine weitere Rolle im Frauendienst spielt, und nicht Österreich<br />

106 Also Leopold VI., dann Friedrich II. – Als mit dessen Tod 1246 die Babenberger ausstarben, wurden die Verhältnisse<br />

kompliziert.

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