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Literaturgeschichte 750-1500

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die ständige Spannung zwischen dem aus den literarischen Quellen abstrahierten Ritterideal und einer nach heutigen<br />

Maßstäben wenig human anmutenden Herrschafts- und Kriegspraxis 12 .<br />

1.5 Rituale. Die Initiation des Ritters erfolgte rituell in Form eines Erhebungsakts: durch die Schwertleite in<br />

Form der feierlichen Umgürtung, die im 13. und 14. Jahrhundert allmählich abgelöst wurde durch den Ritterschlag.<br />

Bedeutsam für das Selbstverständnis der Ritter waren die Kampfspiele der "Turniere", Höhepunkte des höfischen<br />

Festes 13 .<br />

1.6 Ritterlich-höfische Dichtung. Die faszinierendste Hinterlassenschaft des hochmittelalterlichen Rittertums<br />

ist die Hochblüte der volkssprachlichen Literatur im 12. und 13. Jh., in deren Hauptgattungen - höfischer Roman (-<br />

>Epos) und Lyrik der Troubadours und Minnesänger - den ritterlichen Werten zentrale Bedeutung zukommt 14 .<br />

Antike Stoffe wurden aufgegriffen (insbesondere im ->Troja-Roman), ->Chrétien de Troyes begründete den abenteuerreichen<br />

Artusroman (->Artustradition) und fand in ->Hartmann von Aue und anderen mhd. Autoren bedeutende<br />

deutsche Nachfolger, Minne wurde zum beherrschenden Thema der Erzählung im "Tristan" (->Tristan und<br />

Isolde) des Gottfried von Straßburg und in weiteren Epen, und im ->"Parzival" diskutierte Wolfram von Eschenbach<br />

religiöse Grundfragen ritterlicher Existenz. Das Bild wäre freilich unvollständig ohne einen Hinweis auf die<br />

mittellateinische Literatur, die sich der "Renaissance des 12. Jahrhunderts" verdankt und ebenfalls die Aufbruchstimmung<br />

der Zeit erkennen läßt. Höfische Werte bestimmten aber auch die ->"chansons de geste" und die Heldenepik<br />

(->Heldensage, ->Nibelungenlied).<br />

2. Kontinuität des Rittertums und Ritter-Renaissancen<br />

Die Erscheinungsformen des Rittertums seit dem 13. Jh. werden geprägt durch die ständige Verschränkung von<br />

Kontinuität und Revitalisierung, "survival" und "revival", was eine einfache Antwort auf die Frage nach dem "Niedergang"<br />

des Ritterwesens unmöglich erscheinen läßt15. Neben Konstanten sind immer auch retrospektive Tendenzen<br />

und Reprisen, etwa im Modus nostalgischen Rückblicks ("Ritterromantik"16) in Rechnung zu stellen.<br />

Ältere Ansichten über den Verfall des Rittertums im "Herbst des Mittelalters" (J. Huizinga17) haben einer differenzierten<br />

Sichtweise weichen müssen. So sind auch holzschnittartig vergröbernde Ansichten über eine allgemeine<br />

Adelskrise im Spätmittelalter18 und das sog. "Raubrittertum"19 mit Recht in die Kritik geraten.<br />

Dem sozialen Formierungs- und Konsolidierungsprozess des niederen Adels in Deutschland20, der gegenüber den<br />

Landesfürsten auf seine Autonomie bedacht sein mußte und sich zunehmend von den städtischen Oberschichten<br />

abschottete, bot der Ritterbegriff ein Identifikationspotential, wie nicht zuletzt die Bezeichnung "Ritterschaft" sowohl<br />

für die Reichsritterschaft als auch für die territorial eingebundenen Ritterschaften21 demonstriert. Diese Korporationen<br />

standen in der Tradition der spätmittelalterlichen Adelsgesellschaften22, wie überhaupt das Bündniswesen<br />

ein wesentlicher Faktor für die Tradierung ritterlicher Werte und Rituale gewesen ist. Das gilt nicht nur für die<br />

spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Hoforden23, sondern auch für die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts von<br />

Bürgerlichen wie Adeligen gegründeten "Ritterbünde"24 und die aktuellen, äußerst publikumswirksamen Freizeitaktivitäten<br />

im Zeichen des "Re-Enactments". Dass sich auch auf dem Feld des frühneuzeitlichen Militärwesens die<br />

Professionalisierung des Soldatenberufs und eine Berufung auf ritterliche Ideale nicht ausschlossen, haben neuere<br />

Forschungen gezeigt25. Nach wie vor lebendig war in der humanistischen Debatte und der Literatur der frühen<br />

Neuzeit das Ideal des "miles christianus"26. Neben den bis weit in die frühe Neuzeit üblichen Rittererhebungen<br />

blieb die rituelle Dimension des Rittertums vor im allem im höfischen Festwesen präsent. Ritterspiele waren ein<br />

fester Bestandteil des Renaissance-Festes. Zum Vorbild vieler weiterer "Thementurniere" wurde ein im flandrischen<br />

Binche 1549 abgehaltenes Fest, das in Anlehnung an Motive aus dem ->Amadisroman, der ->Artustradition<br />

und weiterer Ritterdichtungen (s.u.) den abenteuerlichen Kampf guter Ritter gegen einen bösen Zauberer inszenierte27.<br />

"Die Ritterspiele verbanden festliche Selbstdarstellung mit der Beschwörung von alten standesgemäßen<br />

Tugenden, womit sie zugleich die Bedeutung und den Anspruch des jeweiligen Herrschers dokumentieren"28. Das<br />

Rittertum war also paradoxerweise keinesfalls ganz vergessen, als es in der zweiten Hälfte des 18. Jh. "wiederentdeckt"<br />

wurde (->Mittelalterrezeption). Mit ungeheurer Dynamik zog es die Gebildeten - und nicht nur diese, wie<br />

die Ritterromane zeigen (s.u.) - in seinen Bann. Im 19. Jh. war man nur zu bereit, sich auf eine "Zauberreise in die<br />

Ritterschaft" (so der Titel eines Stücks von J. Nestroy) zu begeben. Man errichtete historistisch neue Ritterburgen<br />

(oder sogar Ruinen) nach den alten Vorbildern29, und wohl nicht nur der von alter Ritterherrlichkeit träumende<br />

Prinz Friedrich von Preußen verkleidete seine Domestiken im mittelalterlichen Kostüm, wenn er auf der von ihm<br />

erbauten Burg Rheinstein weilte.<br />

So weit der Brief von Herrn Graf. Was waren also ‚Ritter‘?

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