Literaturgeschichte 750-1500
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Daz was ein wunderlîch geschiht,<br />
Das war eine seltsame Geschichte,<br />
daz man den lîp von danne treip<br />
dass man den Leib vertrieb<br />
und daz mîn herze aldâ beleip:<br />
und dass mein Herz dort blieb.<br />
daz was bî ir naht unde tac,<br />
Das war Tag und Nacht bei ihr<br />
daz ez vil selten ruowe pflac.<br />
und kam nie zur Ruhe.<br />
Die bekanntesten Aktionen Ulrichs sind wohl die „Venusfahrt“, die Ulrich, nach dem Frauendienst muss es im<br />
Jahre 1227 gewesen sein, als Frau Venus verkleidet von Mestre bei Venedig durch Friaul, Kärnten, die Steiermark<br />
und Österreich bis an die böhmische Grenze unternommen haben will und sicher auch unternommen hat, und die<br />
„Artusfahrt“ von 1240, als er als König Artus mit einigen Ritter, denen er Namen von Tafelrundenrittern aus Artusromanen<br />
gab, durch die Steiermark bis Katzelsdorf bei Wiener Neustadt, wo damals die Grenze zwischen Österreich<br />
und Steier verlief. Diese Fahrten bestanden darin, dass er die Reiseroute entlang in jedem größeren Ort station<br />
machte und gegen die dortigen Ritter Lanzen verstach – ein kleiner Gahmuret. Das hat seine Beliebtheit beim steirischen<br />
Rittertum sicher erhöht, und zu diesem Zweck hat er wohl die Fahrten unternommen.vor allem die Schilderung<br />
der Venusfahrt ist anschaulich und humorvoll (S. 160-164,24):<br />
Aventiure wie der Uolrîch in küneginne wîse fuor durch diu lant mit ritterschefte.<br />
Dô ich die botschaft vernam, Als ich diese Botschaft vernahm, 112<br />
mîn lîp was frô, das herze sam,<br />
waren ich und mein Herz froh,<br />
daz ir mîn vart geviele wol,<br />
dass ihr meine Fahrt Freude machte,<br />
des wart ich aller freuden vol.<br />
Und Freude erfüllte mich ganz.<br />
Al zehant bereit ich dô<br />
Sofort machte ich mich bereit<br />
mich unde was von herzen frô<br />
und war von Herzen froh,<br />
daz mîn gevert si dûhte guot:<br />
dass mein Aufzug sie gut dünkte:<br />
dâ von was ich vil hôchgemuot.<br />
davon war ich ganz hochgemut.<br />
sam ‚ebenso‘; dûhte Präteritum von dünken.<br />
Mîn lîp bereitet palde wart<br />
Bald wurde ich für die Ritterfahrt ausgerüstet.<br />
ûf die vil ritterlîchen vart.<br />
Ich huop mich als ein bilgerîn<br />
Ich verließ das Land als ein Pilger.<br />
sâ von dem lande: daz muost sîn.<br />
Das war notwendig,<br />
Durch heln ich taschen unde stap<br />
um die Reise zu verheimlichen. Tasche und Stab<br />
sâ nam (ein priester mir daz gap),<br />
borgte ich mir von einem Priester,<br />
als ich ze Rôme wolde varn.<br />
als ob ich nach Rom fahren wolle,<br />
Ich bat mich sêre got bewarn.<br />
und empfahl mich in Gottes Obhut.<br />
Ze Venedige ich vil palde quam.<br />
Bald erreichte ich Venedig.<br />
Ein herberge mîn lîp dâ nam<br />
Dort nahm ich mir eine Herberge<br />
vil verre von den liuten hin.<br />
weit weg von den Leuten.<br />
Daz tet ich wan ûf sölhen sin,<br />
Das tat ich nur in der Absicht,<br />
daz niemen mich erkande dâ:<br />
dass mich niemand erkenne,<br />
daz behuot ich dâ und anderswâ.<br />
darauf gab ich dort und überall acht.<br />
Den winder allen ich dâ lac.<br />
Dort blieb ich den ganzen Winter.<br />
Nu hoeret wes mîn lîp dâ pflac.<br />
Nun hört, was ich da tat:<br />
verre ‚fern‘.<br />
Stilistisch wunderbar geglückt ist, wie Ulrich die Beschreibung seiner Kleidung in Tätigkeit (Befehle an die<br />
Handwerker und Ausführung) umlegt:<br />
Ich hiez mir snîden vrowen cleit.<br />
Ich ließ mir Frauenkleider zuschneiden.<br />
Zwelf röckel wurden mir bereit,<br />
Zwölf Röcke wurden mir bereitet<br />
und drîzic vrowen ermel guot<br />
und dreißig gute Frauenärmel<br />
an kleiniu hemd: daz was mîn muot.<br />
für zierliche Hemden; so wollte ich es.<br />
Dar zuo ich willeclîch gewan<br />
Dazu ließ ich mir<br />
zwên schoene zöpfe wol getân,<br />
zwei schöne dicke Zöpfe machen,<br />
die ich mit perlîn wol bewant,<br />
die ich mit Perlen umwand.<br />
der ich dâ wunder veile vant.<br />
Von denen gab es dort unglaublich viel zu kaufen.<br />
Man sneit mir sâ an der zît<br />
Man schneiderte mir damals auch<br />
drî wîze kappen von samît.<br />
drei Mäntel aus weißem Samt.<br />
Die setel wâren silberwîz,<br />
Die Sättel waren silberweiß,<br />
dar an der meister grôzen vlîz<br />
die fertigte der Meister mit Fleiß<br />
mit sîner meisterschefte leit.<br />
und Kunst.<br />
Von wîzem tuoch man drüber sneit<br />
Darüber schneiderte man Satteldecken aus weißem Tuch<br />
lanc unde wît vil meisterlîch.<br />
meisterhaft lang und weit.<br />
Die zeume wâren koste rîch.<br />
Die Zäume waren wertvoll.<br />
Zwelf knappen sneit man sâ zehant<br />
Für zwölf Knappen schneiderte man bald<br />
von wîzem tuoche guot gewant.<br />
aus weißem Tuch gutes Gewand.<br />
Man macht mir ouch wol hundert sper,<br />
Man machte mir auch etwa hundert Speere,<br />
von silber wîz, nâch mîner ger.<br />
silberweiß, nach meinen Anweisungen.<br />
112 Dass seine frouwe seine Venusfahrt billigte.